Frequenzwechsel. Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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Frequenzwechsel - Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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und Bootshaken die langsam schwimmende Plattform von Holzstämmen stromrecht zu halten bemüht waren, etliche kleine Strohhütten als zeitweilige Bleibe errichtet. Vor diesen Hütten wurde gebrutzelt und gekocht, und wenn ein „Künstler“ unter den paar Männern auf einer Drift war, dann spielte er auf einer Quetschkommode seinen Leidensgenossen „an Bord“ lustige und wehmütige Weisen vor. Wir standen als Kinder oftmals auf einer der beiden die Memel überspannenden Brücken Tilsits und bestaunten das Treiben der meist recht stabilen Männergestalten auf der Drift - sie wurden im Volksmund “Dschzimkes“ genannt -, wenn diese ihre Flöße kunstgerecht zwischen den Brückenpfeilern hindurchzirkelten. Bei günstigem Wind kam mitunter auch eines der oben erwähnten großen Boydacks per Segelkraft stromauf angetrudelt, um am Stadtkai seinen Liegeplatz einzunehmen, ein malerisches Bild war das, man musste nur Zeit mitbringen, wenn man das Ereignis in allen Einzelheiten verfolgen wollte. Alles war jedenfalls für meine Person interessanter, als das alljährlich im Herbst zwei oder drei Wochen lange Jahrmarktsgeschehen mit Zuckerbuden, Karussells, Kinomatograph und Sensationsschwindel. Eine Wucht waren im Übrigen die Pferdemärkte auf dem Anger - größte Freifläche im Stadtinnern -‚ wo Bauern, Juden und Zigeuner einander wortreich im Handel um oft armselige Zossen von Gaul zu übervorteilen versuchten. Wir Kinder waren zweifellos an Eindrücken und Reizwirkungen natürlicher und realer Art just so ausgelastet, wie die heutige junge Generation vor dem Fernseher oder bei künstlich gestalteten, oft nostalgisch motivierten „Spektakeln“. Noch einmal kurz zurück zur Memel: Sie war Tilsits Tor zur „weiten Welt“ schlechthin. Sie teilte sich weit stromab hinter Tilsit in zwei Arme, die beide in das Kurische Haff mündeten. Auf dem Haff erreichte man direkt mit nördlichem Kurs die Seehafenstadt Memel, mit südlichem via Kanal einen Nebenfluss des Pregels und den oder die Pregel selbst, die Provinzhauptstadt Königsberg, das wiederum selbst per Seekanal durch das Frische Haff Ostseehafen war. Beide Fahrtwege waren landschaftlich sehr reizvoll und mit ihren zum Teil menschenleeren Ufern und der eigenartig schönen weiträumigen Landschaft dahinter eine wahre Perle für aufmerksame Wanderer, enthusiastische Naturforscher und Kunstmaler. Als Schüler auf den oberen Klassen lernte ich die genannten Gewässer und deren Umgebung — incl. Kurischer und Frischer Nehrung sowie die Samland-Küste dazwischen, also die gesamte ostpreußische Seeküste — kennen und irgendwie innig lieben. Diese auf Schul- und Ferienfahrten erfolgte frühzeitige Berührung mit allen möglichen maritimen Dingen in stetem Verein mit behutsam erweckter Wanderlust, stiller Begeisterung über die Vielfalt der Umwelt und allmählich geschultem Weitblick mag vielleicht neben den ersten gegenständlich noch vagen Kindheitseindrücken meine spätere Hinneigung zur Seefahrt umso mehr bestärkt haben. Bezogen auf das Endresultat der Berufswahl hat sich vergleichsweise das „Häkchen“ schon frühzeitig „gekrümmt“.

      Das Kapitel Kindheit möchte ich nun nicht abschließen, ohne vorher meiner Eltern in einigen wenigen Sätzen gedacht zu haben und ihnen nachträglich meinen tief empfundenen Dank für ihre dem Kleinkind und Kind gespendete Liebe und nach meinem Empfinden verständnisvolle Erziehung und bestmögliche charakterliche Lenkung zuteil werden zu lassen. Vermutlich war ich in Naturell und Veranlagung kein schwierigeres oder problemloseres Kind, als die Mehrzahl aller anderen Kinder damals oder heute, also mit guten und schlechten Eigenschaften wie jeder Menschensprössling zu etwa gleichen Teilen und in mehr oder weniger ausgeprägter Weise belastet. Das objektiv richtig zu beurteilen, entzieht sich für meine „Frühzeit“ einer möglichen Einschätzung. Ich möchte aber annehmen, dass dieses physisch in summa wohl gesunde, körperlich sonst schmächtige und damals für Erkältungskrankheiten sehr anfällige Kind, das sich oftmals dickköpfig, jähzornig und seinen Spielgefährten gegenüber selten ängstlich und kontaktarm zeigte, seitens seiner Eltern mit behutsamer und geschickter Hand geführt werden musste. Von welchem Elternteil mehr Erbgut übernommen wurde, mag dahingestellt bleiben, im Nachhinein betrachtet scheint es jedenfalls eine gute Mischung gewesen zu sein, was mir die Eltern für meinen Weg durchs Dasein als stete Begleitung mitgaben. Bild und Eindruck heute von meinem Vater: gütig und verständnisvoll, fleißig und getreu in aller Pflichterfüllung, honorig und korrekt in seinem Habitus, ein sorgsames Oberhaupt für seine Familie, ansonsten ein konservativer Mann in seiner Geisteshaltung, aber durchaus kein Untertan seiner Obrigkeit, kurz gesagt, der Urtyp eines kaiserlich-preußischen Beamten, der er rechteigentlich bis zu seinem mit 63 Jahren zu frühen Tod (1934) trotz Weimar und Drittem Reich allzeit blieb. Seine hohe Moral versteht sich nach geschilderten Aktiva von selbst. Alles in allem also war Vater ein braver Preuße von gutem Schrot und Korn, der einerseits den Seinen lebte, andrerseits - wie konnte es derzeit auch anders sein - dem Kaiser gab, was des Kaisers war. Seine Vorfahren rekrutierten sich laut Familien-Stammbaum aus kleinen Handwerkern, beharrlichen Landwirten, Müllern und staatlichen Bediensteten oder Beamten. Für einen Bürger seines Standes mit erreichter Obertertia-Schulreife war Vaters umfangreiches Wissen in Geschichte und Literatur irgendwie erstaunlich. Er hatte sich wohl vieles davon als Autodidakt aus Büchern, Zeitschriften oder durch Theaterbesuch ihn interessierender Aufführungen - in Königsberg / Preußen und Leipzig – angeeignet. Seine Erkenntnisse, sowohl im Schöngeistigen, als auch im Historischen und daraus ableitbaren Realen, wie er es jedenfalls sah, versuchte er, seinen beiden Söhnen schon so früh wie möglich mitzuteilen — wie ich glaube mit gutem Erfolg. Darüber hinaus hatte er im Punkte Kindererziehung oftmals eine vielleicht überflüssigerweise harte Hand und war nach heutiger Lesart in summa ein gestrenger Vater. Daher gingen wir Kinder mit unseren Sorgen mehr zur Mutter, zumal sie in ihrer Ausgeglichenheit ein überaus guter Vertreter ihres Typs war. Daneben zeichnete sie eine einzigartige Bescheidenheit und Selbstlosigkeit in ihren Ansprüchen an des Daseins Äußerlichkeiten aus. Wir zählten nicht zu den wohlhabenden Familien, es gab aber bei uns weder Mangel noch Geiz in Abwicklung des Familienunterhalts und der sonstigen Verpflichtungen, Mutter war eben auch eine gute und geschickt sparsame Hausfrau. Ihre Vorfahren waren teils Landwirte, teils Landschullehrer gewesen mit hier und da vereinzelten Vertretern des akademischen Standes dazwischen. Gegenüber ihrem prinzipientreuen und ehrempfindlichen Ehepartner mag sie es in puncto Kindererziehung nicht immer ganz leicht gehabt haben, aber trotzdem scheint sie darin mit diplomatischem Geschick letztlich dennoch viele ihrer Ansichten und Meinungen durchgesetzt zu haben. Nachträglich möchte ich jedenfalls beiden Elternteilen - Vater starb 1934, Mutter 1959 - meinen innigen Dank sagen für all das, was sie an Gutem und Schönem für mich und meine charakterliche Entwicklung getan, beziehungsweise mir für das Leben mitgegeben haben.

      Schulzeit – 1. Weltkrieg

      Die im Folgenden beschriebene Zeit bringt zur Hauptsache eine Aufzeichnung von äußeren Geschehnissen in Verbindung mit meiner Person, sie umfasst die Jahre 1913 bis 1926, meine Schuljahre und den Ablauf des 1. Weltkriegs nebst seinen Folgeerscheinungen, kurzum die Entwicklungsphase vom Kind zum jungen Mann. Im Frühjahr 1913 wurde ich in die Gymnasium-Vorschulklasse „Nona“ in Tilsit mit mehr oder weniger freudigen Erwartungen meinerseits aufgenommen. Mein erster Lehrer, ein großer‚ schlanker Herr mit dem Ruf eines gestrengen Pädagogen, flößte mir einen riesigen Respekt ein, und das war wohl bei der ganzen Horde von über 30 Mitschülern der Fall, „Demonstrationen“ irgendwelcher Art wären vermutlich im Keime erstickt worden. Wir lernten jedenfalls das ABC, Lesen und Rechnen mit angemessenem Pflichteifer und mit dem unbewussten Gefühl, solches unseren lieben Eltern und der Reputation dieser einzigen Tilsiter Vorbereitungsanstalt für den ferneren Besuch eines Gymnasiums schuldig zu sein. Dass Schule keine Idylle war, war den damals mit einem solchen Schulanfang irgendwie privilegierten Kindern bereits vorher daheim eingetrichtert worden, wir lebten ja derzeit im kaiserlichen Deutschland, wo bei einer Bewahrung Bildungsvorzüge mit später höherer gesellschaftlicher Einstufung belohnt werden konnten. Welcher Sohn sollte übrigens in Zukunft nicht einmal mehr erreichen, als es dem Vater je geglückt war. Nun, ich lernte rasch und leicht und war züchtig, das zumindest unter einem gewissen Zwang, aber gern ging ich nicht zur Schule, und das traf für die ganze Schulzeit von 13 Jahren zu. Ein Schüler „comme il faut“ (mustergültig) war ich demnach nie, auch nicht als ABC-Schütze mit anfänglich bester Rangordnung laut Zeugnis-Zensuren. Das gab es nämlich damals noch sogar in der Vorschule, und wer unter den ersten sechs guten Schülern seiner Klasse war, schien fast schon den berühmten „Marschallstab“ im Tornister zu tragen. Dass wir Deutschen damals, zum Teil à conto vieler alter, abgetragener Hüte,

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