Frequenzwechsel. Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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Frequenzwechsel - Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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style="font-size:15px;">      Das erste Erwachen aus dem gewohnten Tagesablauf brachte am 1. August 1914 der Ausbruch des ersten Weltkrieges. Ich erinnere mich sehr gut der letzten Wochen vor Kriegsbeginn. Die Eltern und wir beiden Söhne weilten just während der langen Sommerferien im kleinen Seebad Försterei bei Memel. Dieser unbedeutende, anspruchslose Badeort ist in meiner Erinnerung mit seinen verschwiegenen Wäldern und Heide-Freiflächen ringsum dicht am Rande der Ostsee ein wahres Paradies für Kinder und Erholungssuchende gewesen. Ein breiter Sandstrand säumt die flache Küste, Menschen sind im Uferland, soweit man es nach Norden und Süden überschauen kann, nur als vereinzelt eingesprenkelte dunkle Punkte auszumachen, zum anderen sieht man draußen auf dem Meer nur selten ein Schiff vorüberziehen. Die Welt scheint, so wie sie sich dem Beschauer äußerlich dartut, nur angefüllt mit Schönheit, Freude und Frieden, den ewigen, so trügerischen Sehnsüchten des Menschen. Dass die Luft über und um uns seit längerem unheilgeschwängert und mit politischer Spannung inzwischen bis zum Überdruck aufgeladen ist, weiß jetzt wohl jeder erwachsene Deutsche, auch wenn es dieser oder jener vielleicht nicht wahrhaben mag. Schließlich merken selbst wir Kinder etwas davon, erahnen die Brisanz des kommenden Geschehens um so mehr, als unsere Nachbarn in der Ferienbleibe, zwei Offiziersfamilien und unser netter deutsch-russischer Freund samt seiner Mutter, über Nacht sozusagen abreisen. Die beiden Offizier-Väter sollen zur Truppe zurückgerufen sein, heißt es unter den noch verbliebenen Sommergästen. Dann muss Vater vorzeitig zum Amt zurück, und jüngere Männer unter den Sommerfrischlern erhalten Gestellungsbefehle zum Wehrdienst. Als Kind weiß man dann noch nicht so recht, warum die Mütter und Frauen auf einmal und schier unmotiviert so viel weinen müssen, weshalb Abschiednehmen so schrecklich sein muss, dass nun auch manche Kinder, die Mädchen zumindest, mit dem Flennen anfangen. Eigentlich ist es doch nun schade, dass man die Ferien in einem Paradies wie Försterei nicht mehr ganz auskosten kann. Für einen kleinen Jungen ist Krieg, den die Erwachsenen so schrecklich ernst zu nehmen scheinen, doch eine irgendwie forsche Angelegenheit ‚ jedenfalls oder zumindest nach den herrlichen Bildern aus Vaters Prachtbild-Bänden über den „Alten Fritz“ und die Befreiungskriege 1813/14. Siegreich marschiert sind die Deutschen übrigens auch 1870/71, nach den Bildern aus allen jenen Kriegen gibt es ja nicht nur Tränen, sondern sichtbar weitaus mehr Begeisterung und forschen Siegeswillen der ausziehenden Krieger. Dass dieser Krieg dann in der Folge nicht ganz so harmlos war, militärische Rückschläge die anfängliche Besserwisserei und Begeisterung bald erheblich dämpften und stiller Resignation Platz machten, dafür sorgten die ab Kriegsbeginn per Bahn, Flussschiffe und LKW einkommenden Verwundeten-Transporte und die sehr variablen Kriegsberichte in den Tageszeitungen. Die laufend sich verschlechternde Ernährungslage und die stetig anwachsende Zahl der Kriegsgefallenen ließen noch weniger Gedanken an eine rasche Beendigung und einen glücklichen Ausgang des Krieges keimen. Wir Kinder im militärischen Aufmarschgebiet Ostpreußen, nicht fern von der Grenze zu Russland hörten und sahen jede Menge vom Krieg und seinen Schrecknissen, vom Überleben und Sterben. Wir waren auch 1915, als die deutsche Offensive gegen die schnell kampfmüde gewordenen Russen einsetzte, viel unterwegs, um Kuchen und Früchte an unsere „Krieger“ und verwundeten „Helden“ zu verteilen, die an die Front fuhren oder von ihr her zurückkamen. Die Front war ja, zumindest in den ersten Kriegsmonaten, sozusagen in allernächster Nähe. Der Schulbetrieb lief anfänglich nach Kriegsausbruch der vielen eingezogenen Lehrer wegen ziemlich auf Sparflamme, die Schüler lernten trotzdem eine Menge, und die Ersatzpauker, Pensionäre oder Lehrerinnen, waren den Wissensdurstigen gegenüber keineswegs nachsichtiger und zarter, als deren frühere amtlichen, ausschließlich männlichen Vorgänger. Einen Schulausfall hatte ich nur im September / Oktober 1914, als Mutter mit uns Kindern - Vater kam später auch nach – zu Verwandten nach Oliva bei Danzig geflüchtet war. Wir entgingen damit der etwa dreiwöchigen Besetzung Tilsits durch die Russen. Auch nach Rückkehr aus Oliva war noch monatelang danach die Gefahr einer nochmaligen Eroberung der Stadt durch den „Feind“ sehr groß. Auf dem Memel-Nordufer befand sich nur ein schmaler Gebietsstreifen in deutscher Hand, der Russe hielt den ganzen Nordzipfel Ostpreußens, also auch das paradiesische Försterei - mit relativ starken Kräften besetzt. Es blieb uns allen Tilsitern unverständlich, dass damals im ersten Kriegswinter der russische „Moloch“ angesichts unserer schwachen Verteidigungskräfte nicht zum erneuten Angriff auf unsere Stadt überging. Tilsit wurde nicht einmal mit Artillerie-Beschuss konfrontiert. Die für die deutschen Armeen erfolgreiche Schlacht bei Tannenberg schien die Angriffsinitiativen der obersten russischen Heerführung entscheidend gelähmt zu haben, und der Deutschen Glaube an den Tannenberg-Sieger Hindenburg als Garanten für ihren Schirm und Schutz war so unerschütterlich, dass niemand der Tilsiter an ein nochmaliges Flüchten dachte. Im Übrigen hatten sich die russischen Eroberer seinerzeit in Tilsit sehr anständig und zurückhaltend gezeigt, wie es uns auch unser daheim gebliebener Großvater damals bestätigte. Ich entsinne mich zum anderen, dass wir den Anfang Dezember 1914 verstorbenen Großvater (mütterlicherseits) unter fern grollendem Geschützdonner zu Grabe trugen, über Memel im Übrigen einzelne in Brand geschossene Gehöfte vom höher gelegenen Friedhof aus zu sehen waren. Was Krieg heißt, hat sich also schon recht früh in mein Gedächtnis eingeprägt. Da ich zum anderen bei Kriegsbeginn noch sehr jung und unreif war, erlaubte mir das Gesehene noch keine Folgerungen hinsichtlich einer Beurteilung vom Ernst der Lage und darüber hinaus vom Krieg mit seinen Schrecken als solchem. Das wurde mir erst im weiteren Verlauf dieses Ringens um Sieg oder Niederlage á cto des stetig zunehmenden Darbens und Hungerns eindringlicher bewusst. Der für Deutschland unrühmliche Kriegsausgang 1918 musste bei mir als Kind, das in Elternhaus und Schule in zweifellos nur einseitiger und z. T. überspitzter patriotischer Denkungsart ausgerichtet und erzogen war, daher naturgemäß einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Noch heute steht mir im Übrigen im Vollzug der Umwandlung des Althergebrachten 1918 das lebhaft vor Augen, was in Tilsit diesem Prozess in Form von Plünderung und Verwüstung der örtlichen Geschäfte und Kaufläden durch den Mob vorausging. Es stellte umgekehrt des Pöbels Hass gegen die gute alte Ordnung und das Militär als deren Garant sehr in Frage, als er mit seinen inzwischen zahlreich gewordenen Sympathisanten seinen lauthals propagierten Widerstand gegen die heimkehrenden Reste der beiden Tilsiter Regimenter schlichtweg vergaß. Schließlich zogen die Truppen wider das Veto des hiesigen Soldatenrates in geschlossener Formation und mit klingender Marschmusik vom Bahnhof her zu den Kasernen. Die in vier Kriegsjahren „brutalisierten“ Soldaten hätten unter Umständen ja schießen können - wahrscheinlich hatten die Männer nach erfolgter Kapitulation und Auflösung der kaiserlichen Wehrmacht überhaupt keine Munition mehr bei sich -, aber, wie dem auch sei, Krieg und Revolte sind recht eigentlich eben nur schön ohne das Risiko eines „Helden“- oder „Märtyrer“-Todes, dabei zu sein ist vielleicht gut, zu überleben ist besser, hinterher gegebenenfalls etwa vorhandene Rosinen aus dem Kuchen zu picken, ist am besten. Von den Schuljahren 1914-1918 gibt es sonst aus dem persönlichen Bereich wenig zu berichten. Ostern 1916 wurde ich in die Sexta des Tilsiter Realgymnasiums als hoffnungsvoller Anwärter auf spätere Würden übernommen, meine gute Versetzungs-Rangnummer der letzten Vorschulklasse (Septima) ließ wohl diesbezüglich einiges erwarten. Das heißt jedoch keineswegs, dass inzwischen bei mir eine Art Liebe für die Schule als solche aufgekeimt war. Nichtsdestoweniger war ich auch weiterhin auftragsgemäß fleißig und begriff in allen Fächern das Dargebrachte recht rasch. Heute meine ich, dass meine jeweiligen Pauker mit vielleicht ganz wenigen Ausnahmen auch gute Pädagogen waren. Frühzeitig entwickelten sich überdies Deutsch, Erdkunde und Geschichte zu meinen Lieblingsfächern, für die ich zweifellos sowohl in den Schulstunden als auch zu Hause gerne gelernt und gearbeitet habe. Dem auf Sexta beginnenden Französisch galt meine Sympathie nicht. Dank meines erwähnten Fleißes sowie „Gottes und des Nebenmannes“ Hilfe kam ich im Unterricht jedenfalls gut voran, fand bei Lehrern und Kameraden die etwa gebührende Anerkennung, aber blieb wohl auch als Schüler ein, wenn auch nicht kontaktarmer, so doch etwas „reservierter“ Junge mit einiger Neigung zu gedanklicher Abwesenheit und Träumerei. Was oder wen ich aber mochte, das oder den mochte ich ohne Vorbehalt und treuer Anhänglichkeit, gar Bewunderung und gegebenenfalls Hilfsbereitschaft meinerseits konnte der „Auserwählte“ sich bewusst sein. Was den Sport anbetraf, war mir im Übrigen das Wasser als Betätigungsfeld lieber, als das Land. Trotz kleinkindlicher Wasserscheu lernte ich frühzeitig schwimmen und erwarb bereits als Zwölfjähriger den „Toten-Schwimmer-Schein“. Boote und Schiffe wurden mir mit zunehmenden Altersjahren immer sympathischere Fortbewegungsmittel, in natura sowohl als auch in

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