Wo ist denn eigentlich dieses Glück?. Katja Pelzer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wo ist denn eigentlich dieses Glück? - Katja Pelzer страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
Wo ist denn eigentlich dieses Glück? - Katja Pelzer

Скачать книгу

Mensch, aber irgendwie dennoch immer schnell unterwegs. Als sei jemand hinter mir her. Ich selbst bin es vermutlich. Oder meine hohen Ansprüche an mein Tagespensum.

       So, da bin ich...

      Ich straffe meinen Rücken, nehme eine positive Haltung ein und öffne die Tür des Seniorenheims, in dem ich als Pflegeschwester arbeite. In Schichten. Immer acht Stunden. Wie ein Uhrwerk.

      Der Bau ist aus Glas und viel Holz, modern und leicht gebaut, als wollte er die Schicksale kontrastieren, die in seinem Inneren in ihre letzte Phase treten.

      Ich gehe den hellen Flur des Eingangsbereichs entlang, grüße Christel, die am Empfang sitzt und mich freundlich zurückgrüßt und betrete den langen, etwas weniger hellen Flur zu unserem Aufenthaltsraum.

      Aus der Kantine kriecht ein Geruch nach Sauerkraut und gepökeltem Schweinefleisch. Er hat bereits große Teile des Flurs erobert, obwohl es erst neun Uhr morgens ist.

      Eine der Nachtschwestern kommt mir entgegen, grüßt knapp und sagt emotionslos:

      „Herr Schroer ist heute Nacht um eins gestorben.“

      Wo täglich gestorben wird, sind Emotionen Luxus.

      Ich nicke, während leichter Ekel in mir hochsteigt, als ich kurz das teigig-bleiche Gesicht von Herrn Schroer vor meinem geistigen Auge sehe. Sofort schäme ich mich dafür. Aber es ist so, dass Herr Schroer ziemlich große Hände hatte, mit denen er uns Schwestern gerne an sich gezogen hat. Wahllos, wen er eben zu packen kriegte.

      „Schwesterchen“ hat er mich immer genannt.

      „Setz dich doch zu mir!“, hat er gerufen, wenn ich auf der Pflegestation nach ihm gesehen habe.

      Er hat immer sehr laut gesprochen, weil er schlecht hörte. Aber natürlich habe ich mich nicht zu ihm aufs Bett gesetzt. Also bitte!

      Hin und wieder habe ich ihm mal über den Kopf gestreichelt. Oder den Oberarm. Das hat mich natürlich auch ziemliche Überwindung gekostet, weil ich keine weiteren Erwartungen in ihm wecken wollte. Aber alte Menschen brauchen eben besonders viel Zuwendung. Gleichzeitig bekommen sie meist am wenigsten. Einer dieser Widersprüche im Leben.

      Jetzt ist Herr Schroer also tot. Diesen Weg gehen sie hier alle. Auch die Netten, Charmanten, Lebenslustigen. Zu diesen gehörte Herr Schroer nicht. Aber über Tote spricht man nicht schlecht. Daher würde ich meine Meinung über den Alten natürlich nie laut äußern. Obwohl ich weiß, dass ich mit dieser Ansicht nicht allein bin.

      Stattdessen frage ich die Nachtschwester: „Weiß seine Tochter Bescheid?“

      „Wir dachten, dass du vielleicht anrufen könntest. Du hast so eine nette Art“, antwortet die Nachtschwester.

      Ach ja, meine nette Art. Das meiste bleibt an mir hängen. Ich seufze innerlich. Irgendwie hat immer jemand eine Bitte, ein Anliegen. Und ich sage dann eben nicht nein.

      Gerade wundere ich mich, warum die diensthabende Schwester es nicht einfach selbst getan hat, dann wäre es längst erledigt. Aber dann schlucke ich die Frage herunter, bevor sie aus meinem Mund heraustreten und im Raum stehen kann. Ich komme mir direkt kleinlich vor, dass ich das überhaupt denke. Das ist schon in Ordnung, dass ich den Anruf mache. Das erledige ich am besten direkt, damit es abgehakt ist.

      „Habt ihr die übrigen Vorkehrungen getroffen?“, frage ich stattdessen.

      „Er ist bereits abgeholt worden“, antwortet die Nachtschwester.

      Erleichtert atme ich auf. Ich hätte den Tag nur ungern mit der Leiche eines kauzigen, übergriffigen, alten Mannes begonnen. Wenigstens das bleibt mir erspart.

      Wie so oft wird mir gerade vor Augen geführt, dass unser Tun im Seniorenheim sich durch eine gewisse Vergeblichkeit auszeichnet. Egal, wie wohl sich jemand hier fühlt. Egal wie unglücklich oder glücklich jemand in seinem Leben gewesen ist – am Ende werden sie alle abgeholt.

      „Schwester Alice“, die Stimme in meinem Rücken gehört Doktor Benno Franzen. Sie ist tief und weich und treibt mir Röte und Wärme ins Gesicht. Außerdem besitze ich plötzlich Knie aus Gummi. Schrecklich. Ich hasse es, dieses lebende Klischee zu sein. Denn ja, natürlich bin ich in den Doktor verknallt. Ein bisschen zumindest. Na gut, ziemlich. Aber hoffnungslos. Schließlich ist er verheiratet und hat zwei Kinder, so viel ich weiß.

      Ich wende mich um und schaue ihn erwartungsvoll an. Wird er mich endlich, endlich in die Arme nehmen und küssen?

      Leider ist mir kurz entgangen, dass ich gerade nicht in einer meiner Lieblingsserien unterwegs bin.

      „Könnten Sie bitte mal in der Drei nachsehen! Frau Eberhard braucht ihre Hilfe“, nüchtern sagt er das. Ohne den geringsten Hauch von Charme.

      „Aber natürlich, Herr Doktor“, sage ich und lächele ihn an. Doch da hat er sich schon wieder umgedreht und ist weiter den Gang hinuntergeeilt.

      Und ich muss in die entgegengesetzte Richtung. Zu Frau Eberhard.

      Dr. Franzen sieht tatsächlich immerhin so aus wie die Männer aus meinen türkischen Lieblingsserien und Bollywood-Filmen, die ich Dank Netflix sehen kann. Sie sind meist dunkelhaarig, tragen Dreitagebärte oder einen Schnauzbart und haben wunderbar geformte, starke Arme. Allein bei dem Gedanken an diese Arme, wird es in meiner Körpermitte ganz weich, warm und sehnsüchtig. Aber genug geträumt. Weiter geht’s, immer weiter. Zur Drei, zu Frau Eberhard.

      Das Seniorenheim „Zum kleinen Apfelbaum“, in dem ich nun immerhin schon fünf Jahre arbeite, gehört übrigens zu den besseren Einrichtungen seiner Art. Die Einwohner können ihre eigenen Möbel mitbringen und ihren ganzen Nippes noch dazu und sie in die zwischen zwanzig und siebzig Quadratmeter großen Appartements stellen – je nach Geldbörse. Das ist prima für die Privatsphäre, hat der Träger der Einrichtung beschlossen. Zu jeder Wohnung gehört ein Balkon, manchmal sogar eine Terrasse. Die Bewohner können uns Schwestern rufen, wann immer sie etwas auf dem Herzen haben – so eine Art betreutes Wohnen ist das hier. Auch so schauen wir regelmäßig vorbei – für routinemäßige Untersuchungen, wie Blutdruckmessen oder Herz abhören. Außerdem achten wir darauf, dass die etwas Vergesslicheren ihre Medikamente pünktlich einnehmen. Einige von uns, ich gehöre dazu, leisten den Menschen auch immer mal Gesellschaft, wenn sie sonst nicht viel Besuch bekommen. Wir spielen Uno oder Mensch ärgere dich nicht mit ihnen, oder was sie sonst für Spiele im Wohnzimmer Schrank haben. Cluedo war auch schon dabei, aber da gehören mehrere Spieler dazu. Oder das Spiel mit der Burg, ich habe gerade den Namen vergessen. Frau Eberhard spielt das so gerne. Allerdings ist sie eine totale Pfuscherin. Wenn ihr die gewürfelte Zahl nicht gefällt, würfelt sie einfach noch mal. Oder sie würfelt so, dass der Würfel unter den Tisch fällt. Sie hebt ihn dann auf und legt die Zahl nach oben, die ihr in den Kram passt.

      Ich finde das okay, ich muss nicht immer Recht haben. Hauptsache, sie hat ihren Spaß. Und sie ist eine echt schlechte Verliererin. Ich lasse sie daher eh meistens gewinnen.

      Eigentlich sind wir hier eher Kümmerer, als Schwestern und Pfleger. So lassen sich die letzten Lebensjahre jedenfalls gut verbringen, da sind wir uns hier alle einig – Kümmerer wie Bewohner.

      Ich habe schon ganz andere Zustände erlebt.

      Teilweise waren wir in anderen Heimen so unterbesetzt, dass ich die Bewohner regelmäßig dehydriert und apathisch vorgefunden haben, mit Maden unter den Achseln.

      Es

Скачать книгу