Wo ist denn eigentlich dieses Glück?. Katja Pelzer

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Wo ist denn eigentlich dieses Glück? - Katja Pelzer

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      Ich habe dort versucht überall gleichzeitig zu sein und jedem Einzelnen genug Aufmerksamkeit zu schenken. Aber das konnte mir natürlich nicht gelingen und irgendwann bin ich in meinem Hamsterrad regelrecht durchgedreht. Ich war so ausgebrannt, dass ich gehen musste, um nicht auch noch vor die Hunde zu gehen. Das fiel mir schwer, denn ich habe ja die lieben alten Leutchen ihrem Schicksal überlassen. Ich hatte große Schuldgefühle deswegen. Ich habe dann aber einsehen müssen, dass ihre Leben nicht von mir abhingen. Es musste sich grundsätzlich etwas ändern in der Einrichtung.

      Meine Therapeutin, Frau S., sah natürlich noch viel mehr in meinem Verhalten, als das vergebliche, sisyphosartige Anrennen gegen schlimme Zustände. Sie ist schließlich Therapeutin und balanciert meist über die Metaebene.

      Sie sagte mir, ich würde nicht damit klarkommen, dass ich den Tod meiner Eltern nicht hätte verhindern können. Im Heim hätte ich versucht, alles Menschenmögliche zu geben, um all die dort Lebenden zu retten oder ihnen zumindest ein wertes Leben zu ermöglichen. Aber das sei illusorisch und zum Scheitern verurteilt gewesen. Ich sei an meinen eigenen Ansprüchen zerbrochen.

      Na ja, ich habe es jedenfalls überlebt.

      Nach einem Jahr Schonzeit habe ich mich dann im Seniorenheim „Zum kleinen Apfelbaum“ beworben. Der Name erschien mir so hoffnungsvoll und lebensbejahend, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass es dort ähnlich menschenverachtend zugehen könnte, wie an meinem vorherigen Arbeitsplatz. Und genauso ist es.

      Ich habe das Gefühl, dass in diesem Heim die Menschen noch gesehen werden, und nicht einfach nur auslaufende Nummern sind.

      Auch die zuständigen Ärzte sind fähig und freundlich. Vor allem natürlich Doktor Franzen. Aber er sieht dazu auch noch umwerfend aus. Finde ich jedenfalls.

      Es gibt neben dem Seniorenheim übrigens nicht nur einen kleinen Apfelbaum, sondern gleich eine ganze Streuobstwiese. Zwischen den Apfelbäumen mit alten Sorten wie Berlepsch und Topaz steht auch der eine oder andere Birnenbaum. Bewohner, die noch können und Schwestern, die Lust dazu haben, sammeln die Früchte gemeinsam im Laufe des Spätsommers. Dann gibt es frischen Apfelsaft aus der großen Presse, die der Koch angeschafft hat.

      Frau Meier, eine Bewohnerin des Heims, kocht köstlich-zimtiges Apfelkompott und macht es ein. Ich backe gedeckten Apfelkuchen, nach einem Rezept meiner Mutter. Und auch unter den Bewohnerinnen ist immer eine, die ein leckeres Kuchenrezept kennt und Kuchen beisteuert.

      So, jetzt bin ich bei der Nummer Drei angekommen. Und auch wenn Herr Dr. Franzen mich nicht explizit darum gebeten hätte, wäre ich als erstes bei Frau Eberhard vorbeigegangen. Sie ist einer meiner Lieblingsschützlinge. Wenn ich das so sagen darf. Denn natürlich sollte ich für alle gleich gerne da sein. Aber ich bin eben auch nur ein Mensch. Und jeder Mensch hat so seine Vorlieben und Lieblinge. Frau Eberhard berührt mich jedenfalls auf ganz besondere Art.

      In diesem Moment erwartet sie mich bereits in ihrer Appartementtür, auf ihren Rollator gestützt, aber dabei ganz aufrecht. Sie trägt ein schönes, dunkelblau-weiß-gestreiftes Seidenkleid, mit goldenen Knöpfen, auf die kleine Anker geprägt sind.

      Frau Eberhard hat noch immer einen auffallend guten Stil, finde ich. Ihr liebes Gesicht leuchtet auf, als sie mich sieht.

      „Oh Schwester Alice, wie schön! Danke, dass sie vorbeikommen. Ich brauche bitte Milch für meine Katzen.“

      Ich lächele verständnisvoll und nicke der zarten kleinen Frau wohlwollend zu.

      „Na, dann werde ich gleich mal welche holen“, antworte ich und versuche, dabei munter zu klingen. Munter ist hier wichtig.

      Auch wenn Frau Eberhards Katzen reine Hirngespinste sind. Die Dreiundachtzigjährige leidet nämlich unter Parkinson und zu den schubweisen Lähmungserscheinungen gesellen sich immer wieder höchst lebendige Halluzinationen. Regelmäßig ruft sie nachts um Hilfe, weil sie ganze Partygesellschaften in ihrem Wohnzimmer wähnt. Wenn ich nachts im Dienst bin, schicke ich die unerwünschten Gäste einen nach dem anderen nach Hause. Auf Frau Eberhards kindlich-hübschem Gesicht breitet sich dann selige Entspannung aus und sie schläft rasch wieder ein, als wenn nichts gewesen wäre.

      Jetzt schaut sie mich erwartungsvoll an. Und ich mache auf dem Absatz kehrt, um in der großen Hauptküche Milch zu holen.

      Doch als ich wenige Minuten später mit der Milch zurückkomme, schaut Frau Eberhard mich nur erstaunt an und sagt. „Aber Schwester, Sie wissen doch genau, dass ich keine Milch mag!“

      So ist das meistens. Ich lächele, streichele über eine von Frau Eberhards Hände, die schmal, knochig und von Altersflecken übersät auf den Griffen ihres Rollators liegen.

      „Weiß ich doch!“, sage ich. „Ich wollte sie Herrn Arnold bringen. Der möchte sie für seinen Kaffee.“

      „Ach so“, sagt Frau Eberhard. „Dann bestellen Sie dem Herrn Arnold mal charmante Grüße und wohl bekomm’s!“ Sie knipst mir kess ein Auge zu, während sie das sagt.

      Herr Arnold hat nämlich eine große Schwäche für Frau Eberhard. Aber sie mag ihn auch. Das hat sie mir mal anvertraut. Außerdem sehe ich die beiden an sonnigen Tagen manchmal nebeneinander auf ihren Rollatoren unter einem der Apfelbäume sitzen. Auch schon mal Händchen haltend und die Köpfe tuschelnd oder schmusend zusammengesteckt. Mich rührt der Anblick dieser beiden reizenden Alten so sehr, dass er mir ins Herz zwickt. Ich denke dann an meine Eltern und dass sie zusammen haben alt werden wollen.

      Kapitel Drei

      Meine Eltern waren gläubige Menschen. Sehr gläubige.

      Jeden Sonntag schleiften sie mich in die Kirche. Schon in einem Alter, in dem mir die Worte von der Kanzel wie eine Fremdsprache erschienen.

      Mein Vater hieß Paul und als ich ein kleines Mädchen war, engagierte er sich hin und wieder in der Gemeinde. Er las während der heiligen Messe manchmal das Evangelium, holte die Hostien aus dem Tabernakel und verteilte sie gemeinsam mit dem Pastor. Wenn der Pastor während der Wandlung dann Papst Paul dankte und für ihn betete, war ich überzeugt, dass mein Vater der Papst war, schließlich machte er ja die ganze Zeit all diese sinnvollen Dinge während des Gottesdienstes. Und er hieß Paul. Mir kam das sehr schlüssig vor.

      Eines Tages, nach der Messe, fragte ich ihn. Weil ich so davon überzeugt war, kam die Frage, vermutlich eher rhetorisch rüber, nach dem Motto: „Du bist doch der Papst, oder!?“

      Ich habe meinen Vater noch nie so lachen sehen. Vorher nicht und nachher nicht. Und als er es Sekunden später meiner Mutter erzählte, weil ich die Frage nicht besonders laut gestellt hatte, lachte auch meine Mutter schallend. Erst war ich leicht beleidigt. Dann freute ich mich aber, dass ich sie so zum Lachen bringen konnte. Und dann sah ich auch ein, dass mein Vater ja gar keine Zeit hatte, der Papst zu sein, weil er eigentlich als Jurist bei einer Firma gearbeitet hat. Meine Mutter war seit meiner Geburt zu Hause geblieben. Vorher hatte sie als Sekretärin in derselben Firma gearbeitet wie mein Vater.

      Alice heiße ich, weil meine Mutter Lewis Carroll liebte. Sie war selbst eine große Geschichtenerzählerin. Und Lewis Carroll war für sie sozusagen der Urvater der Fantasy. Sie nahm mich einmal mit ins Kino in den Disney-Trickfilm Alice im Wunderland. Ich habe nur ihr zu Liebe durchgehalten. Am liebsten wäre ich schreiend rausgerannt. Vor allem die Herzkönigin und ihre Garde waren mir als Kind zu unheimlich. Meine Mutter hat mir einmal gesagt, dass sie mich Alice genannt hat, weil sie hoffte, dass ich für mich auch eine Art Wunderland finden würde,

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