Wo ist denn eigentlich dieses Glück?. Katja Pelzer

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Wo ist denn eigentlich dieses Glück? - Katja Pelzer

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zu meiner Wohnung hinaufsteige.

      Kapitel Fünf

      Manchmal gehe ich mit dem Gefühl durch den Tag, ich sei eine dieser Figuren aus meinen Filmen. Ich schaue mit ihren Augen in die Welt. Nicht mit jenen von Alice, sondern beispielsweise mit jenen von Feride, dem wunderschönen Schulmädchen mit dem großen, verletzten Herzen, das die Eltern früh verlor und daher bei Tante und Onkel aufwuchs. Sie ist heimlich verliebt in ihren Cousin Kamran.

      Mit diesem Schatz im Herzen gehe dann auch ich durch den Tag und das können mir alle ansehen, denen ich begegne, an einem solchen Tag. Da bin ich mir sicher. Und was kann mir schon geschehen, wenn ich Kamran in meinem Leben habe und so wunderschön bin wie Feride? Das fühle ich dann auch genauso. Ich bin dann nicht mehr so allein. An solchen Tagen bin ich viel stärker, selbstbewusster. Es gibt dann jemanden, für den es sich zu leben lohnt.

      Beinahe im nächsten Augenblick denke ich, dass doch auch alle diese alten Menschen, für die ich da bin, ein guter Grund sind, dass ich lebe. Und dann wird es wieder ruhig in mir und ich bin wieder Alice.

      Alice, die Krankenschwester. Und neben ihrer Arbeitsstätte blühen Apfelbäume. Das klingt doch gar nicht so schlecht.

      Genau so ein Tag ist heute.

      In diesem Moment stellt ein Schornsteinfeger sein Fahrrad vor einem Haus ab, direkt vor meiner Nase.

      Ich gehe auf ihn zu, sage höflich „Guten Tag“, und frage „darf ich?“

      Er dreht sich lächelnd zu mir um und sagt „Na klar!“

      Und da lege ich ihm die Hand auf die Schulter und er sagt „Viel Glück!“

      Mein Herz macht einen ausgelassenen Sprung.

      Ich gehe weiter und bin mir gar nicht sicher, ob es genügt hat den Schornsteinfeger an der Schulter anzufassen. Oder ob ich an seinen Goldknöpfen hätte drehen müssen. Jedenfalls gehe ich mit einem regelrechten Hochgefühl weiter die Straße entlang.

      Und dann radelt doch tatsächlich noch ein zweiter Schornsteinfeger an mir vorüber.

      „Guten Tag“ rufe ich und winke ihm strahlend zu. Allein sein Anblick macht mich jetzt noch ein wenig glücklicher. Falls das überhaupt geht.

      Er antwortet „Guten Tag“ und winkt lächelnd zurück.

      Was das wohl mit den Schornsteinfegern macht, dass sie für das Glück der Menschen verantwortlich sind? Vielleicht sind sie ja dadurch selbst ganz besonders glückliche Menschen.

       Aber vielleicht ist es ja auch nichts weiter als ein alter Aberglaube.

      Und dann frage ich mich zum ungezählten Mal – wo es denn eigentlich ist – dieses Glück?

      Kapitel Sechs

      Beata bedeutet die Glückliche. Das kann also eigentlich nur bedeuten, dass Schwester Beata echt Glück hat, finde ich. Mit so einem Namen geht sie sicher federleicht durchs Leben.

      Gerade hat sie sich in den Mutterschutz verabschiedet. Sie hat bereits einen vierjährigen Sohn und sie wird fürs Erste nicht zurückkommen. Das ist schade, denn wir sind gut miteinander ausgekommen.

      Irgendwie beneide ich sie. Es ist sicher schön, Mutter zu sein. Ich kann da leider nicht mitreden. Bei mir hat das mit den Männern und den Kindern irgendwie nie geklappt. Es hat zwar mal einen Mann gegeben, da war ich in meinen frühen Zwanzigern, der wollte das volle Programm mit mir. Nest bauen, Familie gründen. Aber als er mir das gesagt hat und mich fragte, ob ich ihn heiraten wollte, packte mich das kalte Entsetzen im Nacken. Verlust schrie es in mir. Das Gefühl breitete sich daraufhin in meinem ganzen Körper aus und stand beinahe leibhaftig vor mir. Eine Bildabfolge spulte sich vor meinem inneren Auge ab. Und mir wurde klar: Je mehr ich haben würde, desto größer würde die Angst werden, es zu verlieren.

      Mein Nein hatte jener Mann damals allerdings auch als ein Nein gegen sich selbst verstanden. Davon haben wir uns nicht mehr erholt. Auch wenn ich ihn gebeten habe, mir noch ein wenig Zeit zu lassen.

      Er hat mich dann verlassen. Mit den Worten: „Du musst endlich Deine Eltern loslassen und erwachsen werden.“

      Aber zurück zum „kleinen Apfelbaum“.

      Beatas Vertretung ist Dana, eine junge Bulgarin.

      Die Einrichtung sieht sich verstärkt im osteuropäischen Ausland nach Hilfe um. Beim deutschen Nachwuchs in der Altenpflege sieht es nämlich seit Jahren mau aus. Das kann ich aber auch irgendwie verstehen. Ich habe zwar immer das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, aber wie gesagt, es ist so schwierig hinterherzukommen mit allem. An manchen Tagen bin ich noch immer überfordert.

      Dana kann erst wenig Deutsch, doch mit Englisch durchmischt, funktioniert die Verständigung ganz gut. Sie läuft an ihren ersten Arbeitstagen bei mir mit. Sie soll die Bewohner kennenlernen. So hat es die Oberschwester beschlossen und mich vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie ist die einzige Kollegin, mit der ich nicht so gut klarkomme. Aber was soll’s und was soll ich in diesem Fall schon dagegen haben? Dana ist total süß mit ihren großen, glänzenden braunen Augen, ihrem runden Gesicht mit den rosigen Wangen – so jung und hübsch und voller Energie.

      Herr Schmitt ist auch ganz entzückt von ihr.

      Seine Demenz äußert sich derzeit vor allem darin, dass er seinen Sohn nicht erkennt und ihn die drei dazugehörigen Enkelkinder zwar erfreuen, er sie aber nicht als seine eigenen ansieht und sie nicht einmal in die nähere Verwandtschaft einzuordnen weiß.

      Er hat schon mehrmals versucht Dana an sich zu ziehen und nennt sie fortwährend „Mein Liebling“.

      Ich nehme sie zur Seite und erkläre ihr, dass sein Verhalten sicherlich nicht hormonell sondern krankheitsbedingt ist. Dana hat nämlich eine auffallende Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau Inge, als diese noch jung war. Das weiß ich, weil Herrn Schmitts Hochzeitsfoto auf seinem Nachttisch steht. Die abgebildete Braut ist bereits zehn Jahr tot.

      Als ich Dana das Bild zeige, streicht sie daraufhin Herrn Schmitt liebevoll über die Hand. Sie lächelt ihn an und verfolgt ansonsten aufmerksam meine Handgriffe, während ich Herrn Schmitt gegen seinen Willen untersuche, ihm den Blutdruck messe, ihn wiege und sein Herz abhöre, während er dafür immerhin kerzengerade auf seiner Bettkante sitzt.

      Diese Untersuchungen sind nicht von allzu großer Bedeutung. Herrn Schmitts Herz ist schließlich schon vor zehn Jahren gebrochen und dennoch nicht seine Schwachstelle. Das sind die abgestorbenen Nervenzellen in seinem Gehirn. Und gegen dieses Leiden wächst bisher kein Kraut.

      „Mein Liebchen“, murmelt der alte Mann. Und legt seinen Kopf gegen Danas, zierlich wie sie ist, sind sie so auf einer Höhe. „Wie gut, dass ich Dich wiederhabe.“

      Dana lächelt nachsichtig. Macht sich dann aber rasch wieder frei, weil es noch andere Patienten im Haus gibt, die auf uns warten. Ich kann kaum mit ihr Schritt halten. Ich finde es wichtig, immer auch ein wenig Zeit mit jedem Menschen hier zu verbringen. Auch wenn die Ärzte das immer mal kritisieren. Sie finden, dass ich mir zu viel Zeit lasse. Sie befürchten, ich käme mit der Arbeit nicht hinterher. Keiner kann sich diese Zeit heute noch leisten. Zeit ist das höchste Gut. Mit Gold nicht aufzuwiegen.

      Das

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