das goldene Haus. Sabina Ritterbach
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Ich war am Morgen mit dem Taxi zum Flughafen gefahren und nutzte die Wartezeit bis zum Abflug, meine Mitreisenden zu beobachten. Ein buntes Gemisch aus Geschäftsleuten, Frauen mit Kindern, zünftig ausgerüsteten Jugendlichen und Touristen mit merkwürdig länglichen Taschen. Im Flugzeug saß ich mitten in einer Männergruppe, die sich ausgelassen auf die nächsten Tage freute. Es waren Angler, die zum Shannon unterwegs waren. Nun wusste ich, was ihre länglichen Taschen beherbergten. Der Flug war schnell vorbei, es war viel gelacht worden, eine lustige Bemerkung folgte der anderen, auch mich bezog man freundlich ein. Am Gepäckband standen wir noch zusammen, dann ein fröhliches und lautes "Schönen Urlaub". Am Autoverleih meine ersten englischen Worte, vorsichtig formulierte Fragen, und dann hatte ich Mühe, die raschen Antworten zu verstehen. Nach Beendigung geringer Formalitäten bekam ich den Autoschlüssel über die Theke geschoben. "Schöne Ferien", diesmal auf Englisch. Ich fand es sehr aufregend, lief in die verkehrte Richtung und auf den falschen Parkplatz und fand doch irgendwann das Auto, zu dem der Schlüssel passte. Ein Rotes, fast Neues. Volle Konzentration beim Verlassen des Flughafengeländes, immer vorsichtig hinter den anderen Autos her, und das erste Mal links in den Kreisverkehr. Nach dieser Aktion war ich klatschnass geschwitzt, und ich sprach mir ziemlich laut Mut zu. Mein Wunsch war, nur raus aufs Land. Nach Dublin wollte ich erst auf dem Rückweg. Die Straßenkarte hatte ich auswendig gelernt, nicht für die ganze Reise, ich hatte noch keine richtige Vorstellung, wohin ich eigentlich wollte, nur für diese Tagesetappe, und so fand ich die Straße, die nordwärts führte, auf Anhieb. Nun wurde das Fahren fast problemlos, ich fuhr nicht schnell, die Hecken, unübersichtliche Kurven, noch traute ich mich kaum, ein anderes Fahrzeug zu überholen. Außerdem wollte ich nichts von der Landschaft verpassen. In meinem Kopf stapelten sich die Fotos aus Bildbänden und Kalendern, und ich erwartete, dass sich nach der nächsten Kurve endlich das Irland auftun würde, das in meinem Kopf vorprogrammiert war.
Als nächstes musste ein Fluss kommen und dann der Ort, in dem ich rechts abbiegen musste, und dort lagen so viele historische Stätten und Denkmäler, dass ich erstmal für Stunden beschäftigt sein würde. Ich fuhr in eine große Kurve, bremste an der roten Ampel und fasste den Entschluss, dort oben zu den Ruinen zu gehen.
Es war Mittagszeit, Sommer, und alles war in hellgelb gefiltertes Licht gehüllt. Die Bäume umfingen mich mit ihren sanften Schatten, und die großen dunklen Mauern der Ruine ragten in den Himmel. Meine Nackenmuskeln entspannten sich, meine vor Anstrengung leicht feuchten Hände umklammerten kein Steuerrad mehr, ich stand allein zwischen den alten Mauern und hatte nichts zu tun. Ich hatte nichts zu besorgen, nichts zu organisieren, nichts. Ich war allein.
Ich lehnte mich wie Halt suchend gegen eine der großen Mauern, und vom Boden durchs Gras, über meine Sandalen in die Fußsohlen wuchs dieses Einsamkeitsgefühl in mir hoch. Es ergriff Besitz von mir und aller Mut und alle Tüchtigkeit fielen von mir ab. Noch wehrte ich mich gegen die Tränen, die schon in meinen Augen brannten und meinen Körper auszufüllen schienen. Ich schüttelte den Kopf, ich wollte nicht weinen, aber ich weinte, ich weinte und sackte auf den Boden. Es war mir, als könne ich nie wieder damit aufhören. Ich weinte über alle Kränkungen, die mir zugefügt worden waren, ich weinte, weil ich am Ende meiner Jugend angekommen war, ich weinte über mein Verlassen- und Alleinsein. Mir fielen immer mehr Dinge ein, die ein paar Tränen lohnten. Ich sah durch meinen Tränenschleier auf den Fluss, den Boyne, gedachte der mörderischen Schlachten, die dort stattgefunden hatten, an die vielen Toten, und auch um die weinte ich.
Nun blicke ich auf den Hügel, die kahlen Bäume und die schwarzen Ruinen und sehe mich wie ein Schattenbild dort hocken. Die Ampel zeigt Grün, und wir fahren über den geschichtsträchtigen Fluss. Ich wende mich zur anderen Seite und schaue den Mann neben mir an. Ich sehe sein Profil, sehr konzentriert, eine steile Falte zwischen den blauen Augen mit den harten kleinen Pupillen. Das dunkle Haar mit den wilden Locken fällt in die gerade Stirn. In den letzten Jahren haben sich die grauen Haare an seinen Schläfen stark vermehrt, und auch in den dichten Bart mischen sich unübersehbar die silbernen Fäden. Ich sehe es mit tiefer Befriedigung, so, als würde jedes einzelne graue Haar die Jahre, die zwischen uns liegen, vermindern.
Jäh bremst er im Ort vor einem kleinen Laden und brummelt etwas von zu trinken kaufen. Ich steige schnell aus, laufe die zehn Meter zur Kreuzung und stehe vor dem Wegweiser. Dem Wegweiser, der alle die Orte aufzeigt, die ich damals vor zehn Jahren aufsuchen wollte. Und wieder sehe ich mein Schattenbild vor diesem Wegweiser stehen. Die dunkle Sonnenbrille vor den geschwollenen Augen, unfähig auch nur das kleinste Besichtigungsprogramm in Angriff zu nehmen.
Ein kurzer Pfiff, ich sehe ihn ins Auto verschwinden, ich renne, denn schon hat er den Motor angelassen, aber meine Gedanken bleiben bei dem Tag vor zehn Jahren.
Todmüde und schlaff fühlte ich mich damals und war nur von einem Wunsch beseelt, möglichst zu schlafen. Ein ziemlich absurder Wunsch, denn die Sonne stand hoch am diesigen Himmel. Ich beschloss, beim ersten "Bed and Breakfast" anzuhalten. Die Gegend war lieblich. Hügelig, von Hecken umsäumt, Blumen an den Wegrändern, wenig Häuser und kein Schild mit dem Hinweis, dass dort ein Bett für mich gerichtet sein könnte. Die Wegweiser lockten mit Ganggräbern und Hochkreuzen, aber ich wollte und konnte mir nichts ansehen, und so fuhr ich langsam nordwärts. Mitten auf einer kleinen Kreuzung standen zwei alte Männer. Sie hatten ihre Fahrräder dabei und stützten sich auf die Lenker. Trotz der Wärme trugen sie Schiebermützen, alte Jacken und verbeulte Hosen. Vier Hosenbeine wurden von roten dicken Gummis zusammengehalten. Nur widerwillig gaben sie den Weg frei, freuten sich aber, als ich ausstieg und mich ihnen näherte.
"Nice day, isn‘t it?" erklang es wie aus einem Munde. Ich fragte nach einer Unterkunft. Erst verstanden sie mich nicht, dann aber, als ihnen klar wurde, was ich wollte, gaben sie mir sehr gern Auskunft, nicht jedoch, bevor sie sich ein wenig stritten. Und so zeigte der eine mit großer Überzeugungskraft nach rechts, und der andere stand ihm um nichts nach und zeigte eindringlich nach links. So fuhr ich erst nach rechts, dann nach links an Hecken und Schafen vorbei und landete auf einem holprigen Weg. "Straße ohne Wiederkehr", dachte ich und schon stand ich auf dem Vorplatz eines Bauernhofes. Ich musste wenden. Eine Frau erschien in der Tür, sie blickte abwartend zu mir herüber. Ich wollte gern aussteigen, aber der Hund, schwarzweiß gefleckt, jagte wie verrückt um mein Auto. Er sprang es an, pinkelte in wilder Hast an die Räder, und sein Bellen überschlug sich. Die Frau trat auf den Wagen zu, packte den Hund, gab ihm einen festen Klaps, und er verkroch sich sofort in einen Schuppen. Jetzt konnte ich fragen, wo hier in der Gegend eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden wäre. Ja, sie hätte ein Gastzimmer, aber ich möchte doch so lieb sein und noch eine halbe Stunde am Strand Spazierengehen, dann wäre das Zimmer fertig. Ich solle gleich durchs Gatter über die Weide gehen.
Ich ging über die Koppel und hatte Angst, denn alle schwarzen Kühe hörten gleichzeitig auf zu grasen und folgten mir. "Ruhig", flüsterte ich mir zu. Sie, die Frau, würde mich doch nicht in den sicheren Tod schicken. Am Ende der Koppel war natürlich kein Gatter. Es war mir ungemütlich, vor mir der Stacheldraht, hinter mir die Kühe. Ich suchte einen Trittstein, der mir helfen sollte, den Draht zu überwinden und sah keinen, und somit war es das erste Mal in diesem Land, dass ich ziemlich flach am Boden lag, um unter einem Zaun hindurchzukriechen. Ich hoffte, dass mich niemand beobachtete.
Feiner weißer Sand, Dünen, blaues, kaum bewegtes Wasser, alles für mich allein. Ich ließ mich in eine Dünenmulde fallen und nach hinten sinken, der Sand rieselte angenehm durch meine Finger, und ich spürte, wie mein noch immer tief inneres Schluchzen verebbte. Und das, was ich erhofft und ersehnt hatte, traf ein: ich schlief, schlief traumlos und fest, und wer weiß, wann ich wiedererwacht wäre, hätte mich nicht dieser schwarzweiße Hund mit seinem Gebell geweckt.
Ein