Hüben und drüben Davor und danach. Beate Morgenstern

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Hüben und drüben Davor und danach - Beate Morgenstern

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Gespenst. Der Konteradmiral eine Gestalt aus Sagenzeiten, als es Hitler gab. Die Lis eine Überlebende. Frauen überlebten. Doch der Konteradmiral gestorben. Das gehörte sich so, dass die von damals nur noch in Erzählungen unseligen Angedenkens nicht mehr existierten. Also nicht gestorben. Ein alter Mann, der sich an Herthas Geburtstag erinnerte.

      Wie alt ist er denn?, fragte sie Heinrich.

      Etwas über neunzig. Und nun iss. Wenn Hertha telefoniert, hat sie nachher sowieso kaum Appetit.

      Sie nahm von den Ravioli, von der mit Basilikum gewürzten zerlassenen Butter, dem Parmesankäse. Und als Hertha ihr Gespräch beendet hatte und tatsächlich nur wenig aß, genehmigte sie sich noch eine zweite Portion. Sie hatte den ersten Teller voll ja nicht vor Herthas Augen gegessen. Und vor Heinrich schämte sie sich auch, aber weniger.

      Hertha sprach über den alten Verwandten. Von Schuld wisse er nichts. Und er könnte bis heute nicht verwinden, dass ihn die Russen wegen missbräuchlicher Benutzung sowjetischer Straßen verurteilt hatten. Auch habe es ihn gekränkt, dass er seiner Rückkehr in die Bundesrepublik zunächst um zwei Gehaltsstufen zurückgestuft wurde. Er hat wohl bei seinen Truppen auf der Ostsee nicht mitbekommen, was in Hitlerdeutschland passiert ist!, sagte Hertha ungewöhnlich nachsichtig. (Als ob man sich nicht danach noch informieren konnte!) Das Ehepaar lebte heute in der Schweiz. Ihre alte Haushälterin hätten sie vorbildlich mit einer guten Rente versorgt, sagte Hertha, und er kümmerte sich rührend um seine gelähmte Frau. Offenbar war es Hertha darum zu tun, das Ansehen des Alten ein wenig zu heben und damit die Freundschaft zu ihm in günstigerem Licht erscheinen zu lassen. Sie hielt ja auch Heinrich nicht mehr vor, dass er Offizier gewesen war. (Mit dem Vorhalten dieser auf Heinrich lastenden Schuld hatte sie die Söhne auf ihre Seite gebracht, wusste sie von Stefan. Heinrich, der Fremdgeher, Heinrich, der Nazi.)

      Jaja, sie befand sich in dem Land, in das die Generäle und Admiräle und Konteradmiräle gegangen waren. Andere, die mehr zu befürchten hatten, gingen nach Südamerika zum Beispiel, wohin zuvor die Emigranten vor Hitler geflüchtet waren. Oder Südafrika. Irgendwo mussten auch die leben. Die Generäle hatten bloß Krieg geführt, wozu ihre Kaste ja ausgebildet war. Und was da noch vorgekommen war an Dingen, zu denen selbst Krieger nicht berechtigt waren, davon hatten sie natürlich keine Ahnung, das entzog sich ihrer Kenntnis. Die Logik, weshalb sie mit sehr guten Renten belohnt wurden, so dass sie sich auch gegenüber ihren Haushälterinnen großzügig zeigen konnten, war ihr allerdings nicht zugänglich.

      Das Abendessen früh, damit sie noch in die Oper gehen konnte. Hertha brachte sie bis zum Theater, drückte ihr hundert Mark in die Hand. Frag, ob jemand noch eine Karte abgibt. Isch billiger! Doch sie kriegte den Mund nicht auf, so dass sich Hertha - leicht unwillig - für sie aufmachte. Hertha schritt durch das Foyer, sprach Leute an. Unter den Theaterbesuchern keine wie Hertha. Die weißhaarige, löwenhäuptige Dame in weiter, eleganter Kleidung erkannte man überall heraus. Herthas kam zurück mit einer Karte für Studenten, Bundeswehr, Ersatzdienst. Mach dein jüngschtes Gesicht!, sagte Hertha, was sie eine sehr hübsche Bemerkung fand. Doch ihr Lachen blieb nicht lange, denn Hertha wollte die hundert Mark wieder, und sie hatte keine mehr. Am liebsten wäre sie gar nicht mehr vorhanden gewesen! Schon gut!, sagte Hertha, schnitt mit scharfer Geste Worte der Entschuldigung ab, suchte auf dem aushängenden Plan, wo sie sitzen würde, übergab ihr ein Theaterglas. Sie hatte im dritten Rang ihren Platz, ging die Treppen hinauf. Während des ersten Akts ihre Aufmerksamkeit geteilt zwischen dem Geschehen und Gesang auf der Bühne und dem Opernglas, das sie in den Händen hielt. Jeden Augenblick vergewisserte sie sich, ob sie es noch hielt, da an diesem Tag ihren Händen, Schlüssel, Geld und sonst vielleicht noch Gegenstände auf unerklärliche Weise entkamen.

      Der Vorhang fiel. Man klatschte, war in die Pause entlassen. Kaum stand sie auf, als sie angesprochen wurde.

      Fräulein Krüger?, fragte eine Dame vom Einlassdienst. Ja?, Sie war kaum verwundert, dass sie mit dem fast richtigen Namen, dem Mädchennamen ihrer Mutter, angesprochen wurde. Ich möchte von Ihrer Tante, der Frau Conradi, ausrichten, das Geld hat sich angefunden!, sagte die Dame. - Danke, danke!, erwiderte sie, war ebenso gerührt, ja geradezu überwältigt von Herthas Fürsorge, wie sie vorher entsetzt gewesen war. Hertha hatte sich bis in den dritten Rang aufgemacht, wusste ja ihren Sitz, und dafür gesorgt, dass ihr nicht der ganze Abend verdorben wurde durch ihr angebliches Missgeschick. (Sie immer so ganz ohne Gedächtnis dafür, was man ihr gegeben oder genommen hatte, so dass sie in dieser Familie die ständige Verliererin sein würde.) Hertha hatte gutmachen wollen und war auch etwas durcheinander gewesen, dass sie wieder mal die Namen verwechselte. Es kam öfter vor, dass Hertha sie mit dem Vornamen ihrer Mutter ansprach. Sie nahm für Hertha den Platz der Mutter ein. Ich vermisse nichts, hatte Hertha gesagt. Du bist ja da. War vielleicht kein so schlechter Tausch, eine Cousine zu haben mit zwar wenig Interesse für Religion, aber dafür anderen Interessen und eine Generation nach ihr. Und dass Hertha Verlust spürte und Ausgleich suchte und den Namen der Mutter noch im Kopf hatte, zeigte eine Anhänglichkeit und Treue, die sie an Menschen immer gut leiden mochte.

      Angekündigt für den Sonntagmorgen die Andacht der Quäker im Haus. Kannsch dran teilnehme, hatte Hertha gesagt. Da dät dir kein Zacke aus der Krone breche. Das war eine milde Aufforderung gewesen. Sicher konnte Hertha ermessen, was ihr an religiöser Übung zuzumuten war. Sie hatte ja keine Feindseligkeit, nur eben gar keinen Glauben. Hertha und Heinrich hergerichtet in feierlichem Sonntagsstaat. Ihr gefiel das Festliche am Sonntag immer, wenn sie selbst ihn auch von Wochentagen nie unterschied außer in etwas aufwendigerem Frühstück. Das hier würde nun besonders lecker. Sie sah den Käse, die Trauben, die verschiedenen Sorten Brot, am Tag zuvor mit ihr auf dem Markt gekauft. Aber das Frühstück weit in den Tag hineingeschoben bis nach der Andacht.

      Wenige fanden sich zur Zusammenkunft ein: zwei ältere Damen, ein Ehepaar, sie schmal in bescheidenster Kleidung, er graubärtig in der Kluft des Wandersmannes, ein Jüngling, der wohl in der Annahme, auch sie sei Quäkerfreundin, den still-begeisterten Blick lange nicht von ihr wendete. Heinrich von der Runde etwas abgesondert am Gasofen in seinem Lehnstuhl.

      Hertha las ein Stück aus einer vor Jahrhunderten verfassten theologischen Schrift. Mit einem Mal hörte sie ihre Großmutter, die eine leidenschaftliche Vorleserin gewesen war. Die gleiche altersraue Stimme, die Rachenlaute auffallend, noch mehr als bei der Großmutter. Stunden hatte die Großmutter vorgelesen und hätte man bei der nüchternen, spröden Frau niemals eine solche Leidenschaft vermutet. (Tante Traudchen, Hertha wie auch Heinrich sprachen mit großer Zärtlichkeit von ihr. Sie war ein Mensch sehr unterschieden von anderen gewesen, auch im Alter eine Zuhörerin, immer interessiert an dem, was in der Welt und mit anderen Menschen vorging, so dass sich wohl die Jüngeren jeder Generation von ihr angezogen fühlten.) Hertha hätte immer so weiterlesen können aus dieser in guter Sprache geschriebenen Schrift. Doch hielt das Vorlesen nicht lange an. Das Ende der Lesung dann auch das Ende aller Worte. Fort und fort schwieg man. Langsam dämmerte ihr, man gäbe ihr auf die Weise zu verstehen, sie störe den Kreis durch nicht genügend Andacht und Glauben. Man warte darauf, dass sie endlich aufstände und ginge. Dann würde man fortfahren in der Andacht, reden, widerreden, singen vielleicht auch, beten. Heiß wurde ihr, die Hitze zuerst im Gesicht, flutete durch den ganzen Körper. Wie sie schon aufstehen wollte, war ihr, dass ihre Worte, ihr Weggehen noch mehr Unheil anrichteten. So blieb sie doch lieber auf ihrem Platz, bis einer etwas zu ihr sagte. Doch niemand richtete das Wort an sie. Da endlich wurde ihr klar: Das Schweigen war Andacht! Verstohlen sah sie auf die Gesichter. Die angespannt wie bei harter Arbeit. Wieder dachte sie an die Großmutter, wie die um Versenkung gerungen hatte. Die Stirn gerunzelt, die Lippen zusammengezogen, dass Fältchen um den Mund entstanden, so hatte sie leise gebetet. Bei dieser Anstrengung der Großmutter war ihr oft zum Lächeln zumute gewesen. Als könne man Gott zwingen!, hatte sie sich gedacht.

      Eine dreiviertel Stunde vergangen. Noch immer schwiegen Quäker-Freundinnen und -Freunde. Das unerwartete Schweigen wurde dadurch gelohnt, dass sie am Mahl teilhaben konnte. Sie versuchte, unauffällig immer wieder zuzugreifen, während die anderen miteinander sprachen.

      Wie

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