Hüben und drüben Davor und danach. Beate Morgenstern

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Hüben und drüben Davor und danach - Beate Morgenstern

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ungerecht, Hertha. Du machst dir ein Idealbild von deine Söhne, vor dem es ja nur Versage gebe kann.

      Und du, Beate, wie angepasst du die ganze Zeit warscht!

      Sie lachte. Hertha hatte den Punkt getroffen. Sie hatte vor der Übermacht von Meinungen kapituliert, hatte sich im Übrigen schon lange Reden gegen taube Ohren abgewöhnt. Hertha hätte sicher gern eine Rebellin gehabt an dem Abend, eine, die das Maul aufmachte.

      Was war in der Familie angelegt!, sagte Hertha. So viele großartige Leut!

      Denkst du an deinen Großvater, diesen Senatspräsidenten in Stettin?

      Den vielleicht auch. Aber der isch feig gewese in der Liebe. Hat net die g´heiratet, die er hat wolle. Eine Schauspielerin, des war verpönt zu dere Zeit. Hat die g´heirat, die er hat solle. Und die Arme is in de Neuros geflücht, weil sie´s net ausgehalte hat mit ihm.

      Nichts hasst Hertha mehr als Feigheit in der Liebe, dachte sie, erinnerte sich, wie aufgebracht Hertha von Heinrichs Versagen in früher Ehe berichtet hatte. Nicht, dass er eine Geliebte hatte, erschien ihr jetzt das Schlimmste, sondern Heinrichs Reaktion. Die Vesper muss weg!, hätte er sofort gemeint, als Hertha ihn gestellt hatte. Die Veschper! Wie er von ihr sprach!, hatte Hertha gesagt. Dabei hätt er bloß genau hinhören müssen. Nicht oben, habe ich gesagt. Wenn´s sein muss, dann im Gartenhäuschen. Und wieso musste sie denn gehen, wieso nicht ich? Bin ich als Ehefrau etwas so viel Höheres, Erhabeneres? Nur wegen einem Fetzen Papier. Die Männer sind so feig, hatte Hertha eines Abends in Ostberlin erbittert ihren Bericht geschlossen. Sie sind innerlich nicht über ihre Pubertät hinaus. Sie gehorchen ihren Ehefrauen, wie sie früher ihren Müttern gehorcht haben. Darüber solltest du schreiben. Das wäre ein Thema. Warum sich junge, attraktive Intellektuelle, Frauen mit Geist, auf solche Verhältnisse einlassen.

      Hertha präzisierte. I denk an den Vater seiner Frau, der in Berlin vortragender Rat im Kultusministerium war. Noch mehr annen Brandenburger Kröger, den Tuchfabrikante. Warsch mal in der Brandenburger Kirch und hasch nach seinem Grabstein g´schaut?

      Sie schüttelte den Kopf, war Herthas Aufforderung immer noch nicht nachgekommen.

      Der war so einer, der net nur an sich un an sein Kapital gedacht hat. Ja, das ischt ein durchgängiger Zug in unserer Familie. Das Religiöse un des Soziale. I hab mir gedacht, unsere Söhne wäret religiös veranlagt. Aber ´s scheint net der Fall zu sein. Das Religiöse is net da. Un für die Kunscht interessiere se sich auch net. Unsere Bilder, die Bücher, alles dahin, wenn wir amal nimmer sind.

      Stellsch uns ja wie Banause hin, intervenierte Götz, ´s wird schon in die richtige Händ gelange, Hertha!

      Um auf mein Anliege zurückzukomme: In unsere Familie hen se net bloß für sich selbsch gelebt, sie hen auch was leischte wolle inner Gesellschaft.

      Hertha war in stärkeres Schwäbisch verfallen. Je nach Gefühlslage redete sie mehr Hochdeutsch oder mehr Schwäbisch, wobei sie ein eigenartiges „R" sprach, aus dem Rachen her wie im Französischen, was sie wohl aus dem Hochschwarzwald mitgebracht hatte, wo sie herstammte, oder aus der Zeit, die sie als junges Mädchen bei der Schwester ihrer Mutter in Frankreich verbracht hatte. Um ihre Behauptung zu untermauern, erzählte sie eine wilde Geschichte von weiteren Verwandten, die nach Amerika ausgewandert seien, weil ihnen das Deutschland vor dem ersten Weltkrieg unerträglich gewesen sei. Und der Hofprediger Stoecker schloss sie, der im Haus von meinem Großvater überhaupt erscht gläubig g´worde is, war wohl ein schlimmer Antisemit gewese, aber doch mit starkem sozialen Engagement. I denk bloß an das Stoeckerstift in Berlin-Weißensee! Jetzt Stefanus-Stift. Sie vergegenwärtigte sich, was sie von den Vorfahren wusste. Die Linien der Großmutter bis ins fünfzehnte Jahrhundert hinein zu verfolgen. Durchweg hatten sie Beamtenposten bekleidet, waren Amtsrichter, Bürgermeister, Pastoren, mehr oder weniger hohe Gerichtsbeamte gewesen. Keiner, der in all den Jahrhunderten aus der sozialen Schicht herausgefallen war. Und waren doch sicher nicht alles kluge Leute gewesen! Die Krügersche Linie, die ihres Großvaters, auf die sich Hertha bezog, nicht so lang. Doch gab es mehr schriftliche Zeugnisse. Und durch die Frau, die ein Vorfahr Krüger geheiratet hatte, schließlich im 16. Jahrhundert mit einem Vorfahren von Goethes Mutter verwandt. Hatte Gisel gesagt, die die Dokumente aufbewahrte. Auch die Krügers erzkonservativ gewesen, ausgenommen vielleicht der Großvater von Hertha, Gisel und ihrer Mutter. Bis hin zum berüchtigten Hofprediger Adolf Stoecker, den eine Cousine des Großvaters geheiratet hatte. Und was war mit dem Konteradmiral oder mit seinem Bruder, der eine hohe Funktion bei der Post gehabt hatte? Hertha wünschte sich etwas zurecht und verwies zudem ihren Vater, einen mittellosen Bauernsohn, aus der Reihe verdienstvoller Ahnen. Im Gespräch mit Götz hatte sie mitbekommen, Götz hatte nicht die geringste Ahnung von dessen Existenz. Vielleicht auch, weil er sich nicht interessierte. Durch Gisel wusste sie mehr als er.

      Könnt man sich net denke, dass bei einer so reich veranlagte Familie net amal ´n Durchbruch kommt!

      Was redesch vom Durchbruch!, sagte Götz zornig. Was verstehsch überhaupt darunter.

      Ein lichter Augenblick! Hertha machte eine unbestimmte Bewegung. In ihrem Gesicht das Lächeln einer Erleuchteten …

      Hertha hatte zu viel getrunken. Sie neigte dazu, zu viel zu trinken. Wie anders hatte sie Beruf, Familie und ihrem starken Anspruch auf Freunde, auf Genuss am Leben verwirklichen können. Alkohol setzte bei ihr Kräfte frei.

      Du redesch wie von nem religiöse Ereignis, sagte Götz.

      Darf i net meine Gedanke, meine Wünsche habe! Hertha schlug die Beine über, tat ihren einen Ellenbogen aufs Knie, stützte den Kopf in die Hand. Sie hatte ein eher schmales Gesicht. Hohe, runde Stirn, die Jochbögen der eingefallenen Wangen wegen gut sichtbar. Die kleinen Augen von keiner bestimmbaren Farbe blickten sehr intensiv. Kurz und gerade die Nase, die Mundpartie vorgewölbt wie ständig kampfbereit, kräftig das Kinn. (Eine gewisse Ähnlichkeit gab es mit Götz.) Der grauweiße Stirnpony verlieh ihrem Gesicht zusätzlich etwas Verwegenes. Löwenhaft sah sie aus. Ja, jetzt hatte sie es. Sieht sie nicht aus wie eine Löwin?, sagte sie zu Götz.

      Götz schaute seine Mutter an, grinste. Stimmt, ja. Hasch vollkomme recht.

      Hertha schien zu überhören, was über sie gesagt wurde, war nach außen hin noch eine Spur ärgerlicher.

      Kannsch net mal konkret sein. Was isch für dich denn wichtig, was zählt? Götz führte das Streitgespräch mit großer Geduld fort.

      Dass mer was aus seim Lebe macht, dass mer´s gestaltet, einen Entwurf hat. Dass mer, was mer mal als richtig erkannt hat, durchsetzt un unbedingt seinen Weg geht!

      Gut. Einverstande, sagte Götz. Un was hasch als richtig erkannt?

      So allerhand, mein Sohn. Hertha nickte überlegen und leicht besoffen. Weisch, warum i mich in die Asylantenfrage so engagier. Weisch, warum Heinrich un ich, wir beide alte Leut, in Mutlange mitg´macht habet bei der Sitzblockad un habet uns wegtrage lasse? Des isch, weil´s war was Ungeheures, dass wir nach dem Hitler eine Demokratie bekomme habe. Wir hen sie quasi geschenkt kriegt, un jetz müsse wir se verteidige. Denn die Demokratie, des isch was ganz Koschtbares. Hertha formte mit ihren Händen eine Schale. Der Martin, deiner Mutter ihr Bruder - sie wandte sich an sie, ihren einzig übrig gebliebenen Gast - der meint, mer solle um Himmels wille nich an die Verhältnisse rühre, sonsch würde alles no schlimmer. Aber der Heinrich wie i denken, wir müsset was tun, damit net alles in die negativ Richtung geht. Und das kann leicht passiere, glaubet mir.

      Stillstand gibt´s nicht, pflichtete sie Hertha bei. Wahrscheinlich muss man eine Demokratie immer aggressiv ausfüllen, um sie zu erhalten.

      Vielleicht so, sagte Hertha. Mir wisse ja, was bei dem Hitler war.

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