Hüben und drüben Davor und danach. Beate Morgenstern
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Du sollst nur nicht sagen, du kommst und kommst dann nicht.
Ich komm aber. Drum frag ich doch. Isch kompliziert, oder? Götz lachte. Er nahm nun von dem Kaviar, rosa und groß die Eier. Beiß drauf, mit den Schneidezähnen. Dann platzen sie wie eine Blase!
Isch ja direkt unanständig!, sagte Götz.
Heinrich fotografierte. Trotz seines Tatterichs. Fotografieren, wie sie inzwischen wusste, eine Leidenschaft. Heinrichs Vater war in Breslau Fotograf gewesen. Er richtete den Apparat auf sie und Götz. Sie wurde aufmerksam. Heinrich machte ein unschuldiges Gesicht, als wolle er alles Mögliche fotografieren, nur nicht Sohn und Nichte. Wie sie ihn mochte! Ihn und seinen Sohn Götz auch. Sie unterhielt sich weiter mit dem Cousin, der seinen Lebenslauf hersagte. Sie sprachen über Politik, verständigten sich schnell. Mal sah sie auf Heinrich. Seine Hände lagen ganz ruhig auf dem Tisch. Das also gab es auch.
Sie dachte daran, was Hertha über die Krankheit geschrieben hatte. (Hertha eine große Briefschreiberin. Und sie bekam von ihr fast noch ausführlichere Antworten.).Das Krankheitsbild wird immer klarer. Wir leiden auch miteinander und versuchen, unserem Vorsatz - von der Heirat her - heiter sterben zu lernen, treu zu bleiben bzw. es zu lernen.
Gisel war gekommen. Herthas jüngere Schwester. Sie stand im Raum, kleiner als Hertha, füllig, die grauen, dichten Haare halblang nach innen gewellt, ihr Gesicht hübsch, sah man von einer kleinen Asymmetrie ab. Die Eltern hatten sie als knapp Fünfjährige für eineinhalb Jahre zu Gisel in den Schwarzwald gegeben, wo sie im elterlichen Haus Kinder gegen Geld betreute.
Und dann stand Hertha neben der Schwester, groß, schlank, etwas nach vorn gebeugt, herb das Gesicht, in milder Abwehr. Gisel reckte sich. Immer noch schien sie ihre Kraft an der älteren Schwester messen zu wollen.
Fotografier doch die beiden, sagte sie zu Heinrich.
Später, antwortete er ausweichend.
Am Kamin im vorderen Teil des Raumes bildete sich um Frau Vesper und Götz eine Runde. Man lachte und erzählte dort. Sie blieb an der Tafel sitzen. Mit ihr Kat und Gisel. Vielleicht blieb Kat nur da, um sie nicht mit Gisel allein zu lassen. Deren Schweigen beunruhigte. Kat unterhielt. Die laute Stimme hatte sie ja und die Unbefangenheit.
Spät am Abend erschien ein sehr korrekt gekleideter Herr. Schnauzbärtig, glattgesichtig. Hertha kam mit ihm an die Tafel, wo sie mit Gisel und Kat wie festgenagelt saß. Wir kennen uns von der Asylarbeit, sagte sie. Er möchte dich kennenlernen. Er ist an euch drüben so interessiert. Er bezeichnet sich selbst als konservativ. Als was er mich sieht, weiß ich nicht. Hertha lachte, starke Kehllaute ausstoßend. (Anmerkungen über ihre Person begleitete sie meist mit solchem Lachen.) Aber er engagiert sich stark bei den Asylanten. Übrigens spricht er immer noch von „Zone".
Besuchen Sie mich, sagte sie. Meine Tante gibt Ihnen die Adresse. Ich wohne im Zentrum. Ist ganz einfach zu finden. Der Herr lächelte sehr sympathisch.
Zeit war es für den Champagner. Götz schenkte ein. Ein Pommery!, sagte er. Den verträgscht garantiert! Nach dem Öffnen gab er ihr zur Erinnerung einen Korken. Alle hoben die Gläser, sahen zu Hertha.
Nicht viel später verabschiedete sich Heinrichs Nichte. Sie sah bleich aus.
Den ganzen Abend hat man dich net esse sehe. Du solltest wenigstens amals probiera!, sagte Götz zu ihr.
Nein, nei, mir isch so schlecht!, ´s war vielleicht ein bissele viel, seit früh immer im Trab. Und jetzt muss i noch fahre. Mei Mutter mag i net ans Steuer lasse bei dere Dunkelheit. Sie meinte die Schlesierin, Heinrichs Schwester.
Zwei Stunden hatte Gisel schweigend verharrt. Jetzt stand sie auf. Ihr entschuldigt mich!, sagte sie, ging bis zur Raummitte. Ich hab einen anstrengenden Tag hinter mir, redete sie in die Gesellschaft hinein. Ich muss meine Zeiten einhalten. Leider. Ihr Gesicht verzog sich zu einem schmerzlichen Lächeln. Morgen in der Früh fahr ich. Sie sah jeden einzelnen noch einmal an, hob ihre Arme wie zu einer segnenden Geste. Ihr wisst, Abschiede gibt es für mich nicht! Diesen wunderbaren wie rätselhaften Satz sagte sie und hatte, beabsichtigt oder nicht, einen hervorragenden Auftritt in der Gesellschaft ihrer Schwester.
Gegen Mitternacht holte Hertha Herrn Böck, der oben im Haus die kleine Wohnung hatte. Über Herrn Böck hatte Hertha schon gesprochen. Ein Anthroposoph, Schauspielschüler bei den Anthroposophen. Hertha stand der Steinerlehre nahe, sagte, sie sei allerdings zu dumm, um alles zu verstehen, Gisel sei da viel weiter. Auch Anne, Gisels Tochter. Ihre Mutter sei zuletzt ebenfalls Anthroposophin gewesen. Herr Böck saß nun zwischen den anderen Gästen, bleich, unschön, die Lider gesenkt, bis er befragt wurde. Worüber konnte man Herrn Böck befragen? Über seine Schauspielkunst! Nun redete er, den Blick über die Gäste hinweg mit einer tönenden Stimme für fünfzig Zuhörer. (Auch er eine Attraktion, dachte sie.) Plötzlich sank der anthroposophisch schauspielernde Herr Böck in sich zusammen.
Sie hatte ihn wieder und wieder angesehen, und ihre großen Abneigung absichtlich in ihr Gesicht gelassen. Vielleicht war er dauerhaft ihrem Widerspruch nicht gewachsen gewesen. Sie maßen sich immer noch einmal mit Blicken. Einer gab dem anderen nichts nach. Das hatte sie manchmal, dass sie einen Menschen vom ersten Augenblick an geradezu verabscheute. Bei näherem Kennenlernen änderte sich das meist.
Heinrich saß für sich allein an der Tafel. Der lange Tag hatte ihn genauso wenig mitgenommen wie Hertha. Seine Hände lagen weiter ruhig. Sie setzte sich neben ihn. Kannst du dich eigentlich noch an mich als Kind erinnern?, fragte sie.
Sicher.
Ich weiß noch, wie du mich in Dornstetten auf dem Motorrad mitgenommen hast. Wir sind an einem Kornfeld vorbeigefahren. Ich hab so eine Angst und gleichzeitig so eine Freude gehabt.
Heinrich älter als die anderen, das hatte sie deutlich wahrgenommen. Und seine Freundlichkeit. Seit dem gestrigen Abend wusste sie, Heinrich und Hertha hatten sich immer eine Tochter gewünscht. Deshalb wohl die besondere die Zuneigung zu Heinrichs Nichte Bärbel, und Gisels Tochter Anne. Sie selbst erfuhr ebenfalls Zuwendung, die ihr nicht ganz erklärbar war. Unser erstes, das tot geboren wurde, war eine Tochter, hatte Hertha gestern traurig gesagt. Und woran erinnerst du dich?, fragte sie Heinrich.
Du hattest ganz helle blaue Augen, fast durchsichtig. Hast du die eigentlich immer noch?
Nein.
Und an deinen Augenaufschlag erinnere ich mich!
Sie lachte. Das war Heinrich, der sich die Koketterie eines Kindes merkte.
Hertha befragte jeden, brachte dann Teller, auf denen verschiedenste Käsesorten und Weintrauben lagen. Wie sie herumging: eine Herrscherin, die diente.
Sie unterhielt sich mit Götz. Mit einem Mal saßen sie nur noch zu viert an der Tafel. Die Gäste verschwunden.
Hertha wurde von plötzlichem Ekel gepackt. Ach, Heiner, wo stehet wir jetzt? Was habe wir erreicht? Sie streckte sich, griff mit der einen Hand in ihren Nacken, mit der anderen suchte sie Heinrichs Arm, ihre leichte, gelb umrandete Brille hatte sie in das kurze, glatte Haar geschoben. Den Kopf halb im Nacken liegend, schaute sie auf Götz. Darf man als Mutter net was von seine Söhne verlange? Isch das abartig, wenn man sich von ihne was erhofft? Von Stefan, da wolle wir jetz net rede. Aber Götz, was tusch du, das man sage kann, ja er leischtet was. Er geht seinen Weg.
Leischte i nix?, sagte Götz aufgebracht. Du mit deiner Meinungsforschung, du tusch doch auch nur, was die wollet, damit