Hüben und drüben Davor und danach. Beate Morgenstern
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Die Türklingel schellte. Die Nichte brachte eine Dame herein. Hertha stellte vor: eine Angestellte der Filialbank, in der Hertha und Heinrich ihre Konten führten. Die Bankangestellte überreichte Hertha einen großen Strauß Blumen und gab das Geschenk der Bank des festlichen Anlasses wegen bekannt: Alle wegen eines kürzlich aufgenommenen Kredits anfallenden Arbeiten würden umsonst geleistet.
Isch des nich nett, Heinrich!, sagte Herta, offenbar gewillt, sich an diesem Tag über jedes Geschenk zu freuen. Die Bankangestellte wurde zum Bleiben genötigt und mit dem besonderen Gast von drüben bekannt gemacht. Meine Cousine aus Ostberlin, sagte Hertha.
Ach ja?... Kürzlich hatten wir Verwandte aus Halle in der DDR zu Besuch! Die Bankangestellte sagte es so, als wolle sie mit einer eigenen kleinen Errungenschaft auch nicht hinter dem Berg halten. Ach, wie wir mit ihne durch die Geschäfte gegange sin, un sie haben die Dinge gesehe, die man zum Baue braucht. Sie baue nämlich. Sie haben alte Möbel. Drüben in der DDR hat man das. Darum baue sie sich ein Haus. Aber an allem isch Mangel.
Erwiderung war verlangt. Ja, das ist schon so, gab sie zu.
(Als mache sie sich selbst klein, wenn sie einräumte, sie käme aus einem solch ärmlichen Land.)
Un denke Sie: Meine Verwandte ware seit vierzig Jahre zum erschte Mal in Deutschland!
Sie sah auf die Angestellte der Filialbank, sah dann auf Hertha, Heinrich, die Nichte. Offenbar hatte sie richtig gehört. Und alle schienen damit einverstanden, dass es nur dieses eine Deutschland gab, nämlich das, in dem sie lebten. Obwohl doch Hertha und Heinrich so aufgeklärt waren, tolerant, aufgeschlossen, eben das alles. Aber wo leben wir dann für sie?, dachte sie. Beginnen die russischen Weiten bis zur Taiga hin in der Vorstellung dieser Menschen schon gleich hinter dem Eisernen Vorhang?
Etwas später machte der Verwaltungsdirektor des Krankenhauses, in dem Hertha gearbeitet hatte, seine Aufwartung. Auch ihm wurde die Cousine vorgestellt. Hertha vereinfachte die Verwandtschaftsbeziehung. Vielleicht war im Schwäbischen die Vereinfachung auch üblich. Der Verwaltungsdirektor von körperlichen Ausmaßen, die eine gebührende Stellung erwarten ließ, zeigte sich ebenfalls sehr wohlwollend. Zum Abschied bekam sie fest die Hände gedrückt.
Und nutzen Sie jede Stunde, sagte er eindringlich. In Freiheit, ergänzte sie für sich. Sie befand sich wohl in der Lage eines Freigängers. Mach ich, sagte sie. Ja, sie hat sich sehr viel vorgenommen, bestätigte Hertha.
Paul mit kleiner Tochter wieder gegangen. Hertha und Heinrich im Gespräch. Nein, nein, sagte Heinrich mit einem Mal lauter. Das geht nicht mit meinem Tatterich. Er streckte die Hände, um sein Händezittern zu imitieren. Es geriet ihm nur um weniges stärker als das, was man von ihm kannte.
Ach richtig, dein Tatterich, den vergess ich immer!, sagte Hertha, lachte so frei, dass jeder denken konnte, sie vergäße den Tatterich tatsächlich.
Am Nachmittag traf Heinrichs Schwester ein. Eine resolute Frau, eine Schlesierin, die Färbung ihrer Sprache ihr gut bekannt, der Typ auch. Du bist so dünn geworden!, sagte sie zu Heinrich.
Er hat grad für den Tag gefastet! , erwiderte Hertha.
Als Heinrich außer Hörweite war, sagte sie: Das gehört zum Krankheitsbild. Man muss doch erfinden!
Hertha konnte grob werden, auch ohne erkennbaren Grund, brüskierte, sagte ihre Meinung möglichst so, dass andere sich an ihr stießen. Sie war radikal und rücksichtslos im Umgang mit Worten. So hatte sie Hertha kennengelernt. Erst als sie sich gesagt hatte, sie ließe sich von Hertha einfach nicht mehr beleidigen, kam sie in etwa mit ihr zurecht. Zu wie viel Zartgefühl Hertha fähig war, erlebte sie jetzt im Umgang mit Heinrich. Nachdem er seine Praxis mit achtzig Jahren endlich hatte aufgeben müssen, hatte sie ihn ganz für sich und genoss es. Offenbar war eine Altersliebe gewachsen. Durch wie viel Jahre, in denen sie sich gegenseitig wehgetan hatten, waren sie bis dahin gegangen! Hertha in den Aussagen über ihre Ehe, Heinrichs Zuwendung zu anderen Frauen so offen wie in allem, was sie redete.
Zum Tee kam noch Pauls Frau, so schön, wie sie sich das vorher gedacht hatte.
Sie sprach Heinrichs Nichte an, die sich neben sie gesetzt hatte. Wenn du mal nach Berlin kommst, könntest du mich besuchen!
Bärbel schüttelte den Kopf. Noi, noi. Da sind so viele Bestimmungen zu bedenke. Was i hab alles beachte müsse, als mein Sohn mit der Klasse nach Frankfurt/Oder g´fahre ischt. Keine Aufkleber, keine Reklame an der Kleidung, nix, was provoziert. Meinem Sohn hat´s nix ausgemacht. Aber i bin ganz durchanander g´wesa im Kopf!
Die Abfuhr freundlich wie verständlich. Herthas jüngere Schwester Gisel hatte sie vor wenigen Jahren in Berlin besucht. Mit geradezu panischem Schrecken hatte sie von dem Grenzübertritt gesprochen. Von den Hunden. Und wie sie später durch ein halbzerstörtes Gelände eines Chemiewerkes gefahren war. Das wolle sie nicht noch einmal auf sich nehmen, hatte sie gesagt. Die einen wagten sich in den Osten, die anderen ließen es. So war das nun mal.
Der Abend brach an. Die Gäste mehrten sich. Unter ihnen die schwarzhaarige Kat, vielleicht Mitte fünfzig, hübsch anzusehen. Wenn ich nicht irre, sind wir verwandt, sagte Kat munter mit lauter Stimme. Ihre schwarzen Augen blitzten. Sie nannte ihren Nachnamen.
Der Konteradmiral?
Jawoll. Ja. Is mein Vater.
Der Konteradmiral hatte in Familienerzählungen häufig eine Rolle gespielt, nicht nur seines Ranges wegen. Mein Vater war auch bei der Marine, sagte sie.
Is ja interessant! Kat, sicher seit Jahrzehnten im Süddeutschen lebend, sprach immer noch mit norddeutschem Akzent.
Aus dem Stoff seiner Uniformen hab ich meine Skihosen bekommen. Das war sehr festes Material.
Kindheitserinnerungen interessierten die schwarze Kat weniger.
Wieder läutete es. Hertha ging nun immer selbst. Die Gäste, die kleine Feier mit ihnen, das eigentliche Geschenk dieses Tages. Sie kam mit einer Frau in den Sechzigern zurück. In Heinrichs Augen wieder ein Blinken. Jede Frau, ja jeder Mensch, den er kannte, konnte sich von ihm besonders geliebt fühlen.
Frau Veschper!, stellte Hertha vor. Das also die langjährige Hausdame und Geliebte Heinrichs, wie sie von Hertha wusste.
Hertha hatte ihren Facharzt der Anästhesie in der Schweiz gemacht. Familie und Beruf mussten immer zusammengehen.
(Und Leben musste auch sein, so dass sie nachts einluden und zu Einladungen gingen.) Heinrich hatte das Alleinsein auf Dauer nicht ausgehalten. Frau Vesper inzwischen offenbar auch ein Mitglied der Familie. Vielleicht hatte Hertha auch aus anderem Grund als aus alter Verbundenheit nicht verzichten wollen. Frau Vesper die Tochter des bekannten Verlegers, Schwester eines Mannes, der mit einer bekannten Terroristin liiert gewesen war, die sich umgebracht hatte. Hertha hatte starke Neigung zum Sozialen, besaß aber auch eine Schwäche für Menschen, die sich durch irgendetwas vor anderen auszeichneten, sei es durch ihre Herkunft aus fremden Landen oder durch eigene oder ererbte Verdienste. Frau Vesper führte eine kleine Buchhandlung in einer kleinen nördlichen Universitätsstadt. Um diese am Leben zu erhalten, arbeitete sie außerdem als Vertreterin für einige Verlage. Die letzten Informationen hatte sie am Nachmittag von Hertha erhalten, die offenbar eine Freundschaft zwischen ihnen zu stiften hoffte - Hertha stiftete so gern Freundschaften!- oder sich wenigstens eine interessante Abendunterhaltung versprach.
Frau Vesper musterte sie ganz