Hüben und drüben Davor und danach. Beate Morgenstern
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Читать онлайн книгу Hüben und drüben Davor und danach - Beate Morgenstern страница 4
Mittag hatte es wegen des ausgedehnten Frühstücks nicht gegeben. Zum Kaffee hatte sie gerade mal ein Stück Kuchen zu sich genommen. Der Aufbau des Büfetts wurde immer noch verschoben. Götz muss noch kommen!, hieß es. Götz der jüngere der beiden Söhne. Mit Stefan, dem älteren, war nicht zu rechnen. Nicht mitten in der Woche, hatte Hertha gesagt. Er hätte ja eine Feier am Wochenende vorgeschlagen! Aber ob er am Wochenende noch käme, wenn jetzt gefeiert würde, sei fraglich. Er hatte die Mutter nachts halb eins angerufen. Stefan wohnte in Westberlin. Fuhr Hertha zu ihrem älteren Sohn, verbrachte sie immer einen Nachmittag/Abend in Ostberlin. Meist kamen dann Stefan und Freundin mit. Das ging schon fast zehn Jahre. Sie war Stefan schon auf ihrer ersten Fahrt in frühen Kindheitstagen begegnet. (Der Vetter, der Bananen aufaß, die ihr an der Grenze geschenkt wurden und die sie nicht mochte, der Vetter, mit dem sie ein Weihnachten mit einer leider dann doch vertrockneten Kokosnuss unter einem Tisch feierte. Die Tischdecke hing tief herunter, so dass sie sich wie in einer Höhle fühlten.) Stefan heute sehr zurückhaltend. Sie hatte die Mühe um ihn aufgegeben. Auf Götz war sie neugierig. Götz sollte ganz anders sein.
Götz immer noch nicht da.
Ob Hertha anrufen wolle, fragte man.
Das sieht aus, als will ich ihn drängen, sagte sie, weigerte sich. Die Beziehungen in der Familie offenbar schwierig. Was sie bei Herthas harschem Wesen viel eher verstand als dass sie so zahlreiche Freunde an sich band. Einige Freunde hatte sie verloren, redete auch darüber, gab sich die Schuld. Ihre Mutter - in Jugendzeiten sehr mit ihr befreundet - hatte sich von Hertha abgewandt. Der hier in der Nähe lebende Bruder der Mutter, der lange Jahre gemeinsam mit ihr erzogen worden war, hatte sich, wie er sagte, fortwährenden Beleidigungen entzogen. Ihn vermisste Hertha, konnte seinen Rückzug nicht begreifen. In der Regel aber wohl die Anziehung, die Hertha ausübte, so stark, dass man gelegentliche Kränkungen vergaß.
Das Büfett wurde dann doch aufgebaut und eröffnet, ohne dass Götz erschienen war. Sie stand vor den Speisen, Früchten. Manches kannte sie gar nicht. Nehmen Sie doch!, sagte Heinrichs Schwester. Am Nachmittag hatte Heinrichs Schwester erklärt, so (üppig) gehe es bei ihnen (im Westen) sonst nicht immer zu. Unter den Augen der Schwester hatte sie dann gerade mal ein Stück Kuchen genommen. Jetzt war es nicht nur Zurückhaltung, sie konnte sich auch nicht entscheiden. Ich bin doch ungeneußlich, sagte Heinrichs Schwester und lächelte. - Ungeneußlich? - Das ist schlesisch. Ungenießlich, gierig.
Tja, was nehmen? Die schwarze Kat stand neben ihr. Woll auf alle Fälle Kaviar, mein ich. Übrigens, da gibt´s ne hübsche Geschichte. Ein Dötchen. Wie mein Vater nach zehn Jahren russischer Kriegsgefangenschaft zu uns heimkommt, bringt er vier Dosen Kaviar mit. Stelle man sich mal vor. Kommt mit vier Dosen Kaviar aus russischer Kriegsgefangenschaft! Als es nach Hause ging, haben die Russen sie mit Verpflegung überhäuft. Rucksackweise.
Offiziere!, dachte sie. Wie streng noch in Gefangenschaft die Rangordnung eingehalten wurde, war ihr bekannt.
Doch wie sie gehört haben, dass ein Speisewagen mitfährt, haben sie die Verpflegung dagelassen für die, die noch blieben.
Nur den Kaviar haben sie mitgenommen. War ja nich lebensnotwendig, nich? Kaviar muss dort woll fast ne Art Volksnahrung sein, quasi zum Leben dazugehörend, oder?
Kenn ich mich nicht aus.
Ich ja auch nich. Wie soll ich auch, nich?
Bei Tisch saßen sie dann auch nebeneinander. Kat redete weiter. Ich hab auch mal angefangen, meine Kindheit aufzuschreiben, aber denn hab ich schnell wieder aufgehört.
Warum?
Warum?, fragte auch Frau Vesper.
War so schwarz, so negativ. Also, das wollt ich denn doch nich.
Warum nicht?
Nee, dat war mir nichts. Aber ich frag mich, warum ich mich nur an solche Sachen erinner. Immer nur, wo ich enttäuscht war, wo ich eins draufgekriegt hab, wo mir elend war. Dabei hat mir meine Mutter erzählt, jeden Morgen, wenn sie mich geweckt hätt, hätt ich gestrahlt und gesagt: Mutter, ich freu mich ja so. Kannst du dat verstehen?
Nicht gleich.
Nur reinwech negativ. Ich versteh nich, warum sich nur so was in mein Kopf festgesetzt hat. Das hab ich nich aufschreiben wolln, nee. Wozu soll dat gut sein, nich? Übrigens, nu sind wir schon beim du, nich wahr? Irgendwo sind wir ja woll auch Cousinen. Meine Großmutter war ne Krügerin. Und mein Großvater ein Krüger. Der Bruder von Herthas Mutter.
Ach so seid ihr verwandt!
Götz ist da, teilte Frau Vesper mit.
Götz is da, na endlich!, sagte die schwarze Kat.
Na endlich, sagte Heinrichs Schwester.
Mit einem erlösten Lächeln stand Hertha auf, ging auf den Sohn zu.
Götz nicht besonders groß. Der Schädel kräftig, die Augen klein, das Kinn stark ausgeprägt. Schräge die Stirn-Nasenpartie, kurzer Hinterkopf. In seinem Gesicht eine kampfbereite Offenheit. Der Körper erschien dagegen eher schmal, wenn auch nicht mager.
Der Götz, des isch aber schön! Wir haben schon gefragt, wo du bleibsch, ob du überhaupt kommsch. Hertha legte ihren Kopf an den des Sohnes, ihre Hände umschlossen seine Schultern.
Na sicher komm ich, was denkscht denn du, sagte Götz. Seine Stimme reich, melodiös. Und guck, ich hab mich rasiert, extra für dich. Er rieb mit der Hand seine Wange. Sein Mund zum Lachen geöffnet. Tadellose Zähne. Mit einem Blick, die Hand noch an der Wange, erfasste er die Gesellschaft im hinteren Raum. erklärte dann sein Geschenk, ein Buch von Umberto Ecco, Der Name der Rose.
Wie schwierig es auch anderen war, Hertha etwas zu schenken, hatte sie am Tag erfahren, als sie das Haus besichtigt hatte. Alles vorhanden, das Notwendige und Praktische wie das Schöne überreichlich: alte Möbel, Bronzen, Bilder. Hertha und Heinrich ja Sammler. Am auffälligsten der Messingkopf einer Afrikanerin auf der Barockkommode. Der Kopf konnte ein historisches Stück sein. Und die schwarze, stark abstrahierte Büste einer Afrikanerin auf der anderen Seite der Tür zum Garten. Bücher, so hatte Hertha mehrmals am Tag verkündet, betrachte ich als einen Angriff auf meine Freiheit. Man muss sie dann lesen. Und was ich lese, das will ich mir selbst aussuchen!
Un du bischt die Beate, sagte Götz, als sie wieder am Büfett stand, sah sie aufmerksam an mit fast zärtlichen Augen.
Und du der Götz.
Was zu erraten war. Götz lächelte. Übrigens, ich war schon öfter bei euch drüben. Ich war ziemlich links, musch du wissen, sogar DKP-nah.
Ah ja.
Was nimmt man denn hier?
Sie nun kenntnisreicher, beriet.
Götz tat sich auf. Ich besuch dich mal, wennsch dir recht is.
Ja, sagte sie zögernd.
Willsch net?
Stefan kommt nicht mehr. Die Nanne auch nicht. Naja, Ille, wenn sie Nanne besucht. Sie sagte die Namen ihrer Westberliner Cousine und deren Schwester.
Ach die Ille! Kennsch die Ille?
Sie ist das Patenkind meiner Mutter. Und der Vater von Ille und Nanne