Hüben und drüben Davor und danach. Beate Morgenstern
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Читать онлайн книгу Hüben und drüben Davor und danach - Beate Morgenstern страница 10
Gell, s´isch was Herrliches, erwiderte Hertha. Der Heinrich und ich, wir lieben das Leuze über die Maßen! Sie lächelte wieder einmal dieses besondere, dieses Nicht-von-dieser-Welt-Lächeln, glückselig wie schon den Himmel erschauend, entblößte ihre Zähne. Sie war dem Gesicht von Hertha so nah, und das lag vor ihr im Tageslicht, dass sie sah: die Zähne lang und gelb. Und das Gesicht auch so blass mit Altersflecken und einer moosig-rötlichen Flechte. Also Hertha sonst geschminkt und jetzt nicht. Das Fleisch der Arme nicht sehr fest. Aber um den Brustkorb ging´s noch. Hertha gab sich ganz ihren scharfen Augen preis und hatte eine Würde dabei, schon wunderbar. Fast machte sie das Alter mit allem Hässlichen zu dem, das man eigentlich ersehnen sollte. Wenn man erst einmal die Schwelle der Scham überschritten hatte! Wenn man so gelassen die Erbärmlichkeit des Körpers nahm, kam daraus Schönheit. Sie durchschwamm die zweite Schleuse in die Halle hinein, begab sich in einen Liegestuhl, sah durch das Glas weiter hinaus ins Freie. Hertha noch bei Heinrich im kleinen, runden Heißwasser-Becken. (Das würde sie nicht so schnell vergessen, wie Heinrich dagelegen hatte im heißen Wasser, seinen mageren, alten Körper badete!)
Später zeigte Hertha ihr die Platane im Innenhof. Was ich die liebe!, sagte sie mit Emphase. Hertha, diese manchmal richtig böse Frau mit sehr unfreundlichen Wort für fast jedermann, neigte zu Gefühlsüberschwang. Das eine stand neben dem anderen ganz unvermischt. Ihr machten solche Worte wie Liebe eher Angst, erzeugten Befangenheit, weil sie selbst mit solchen Worten nicht dienen konnte.
Gläserne Wandelgänge führten um die Platane. Im kleinen Café des Obergeschosses hatte man auch einen Blick auf das Hallen- und Freigelände. Hertha und Heinrich kauften für das Frühstück. Währenddessen kam sie ins Gespräch mit zwei Einheimischen, die ihr sagten, zu welch günstigerem Preis man auch im Leuze baden könne, wollte man häufiger kommen. (Ihr schien vieles so unerschwinglich, was man doch täglich oder wenigstens wöchentlich brauchte wie mit der S-Bahn-Fahren oder auch Baden. Und anderes billig, dass man es kaum glauben mochte, in der Regel Dinge, die man nicht täglich kaufen musste.) Bisher hatte sie noch mit keinem einzigen Menschen von hier außerhalb ihres Verwandtschaftskreises gesprochen. Gleich fühlte sie sich sehr gut. Es stand zwar für sie nie die Frage, hier zu bleiben. Aber sie dachte an die, die es in ihrem Land nicht ausgehalten und es unter schlimmen Umständen verlassen hatten. Ob sie heimisch werden konnten im Süd-, Mittel- oder Nordwesten. Brezeln hatte sie sich bei Hertha gleich zwei bestellt mit Butter, so dass sie satt wurde, was auch nötig war, denn bis zum Abend gäbe es nichts mehr. Sie hätten ja so spät gefrühstückt, sagte Hertha. Immer früh, mittags, abends etwas essen zu müssen! Offenbar hatte sie eine lächerliche, kleinbürgerliche Gewohnheit über vierzig Jahre hin betrieben. Später setzten sie Heinrich in der Urbanstraße ab und fuhren weiter zum Markt am alten Schloss.
So viele Stände, wo die Bauern ihre Ware anboten und Händler südliche Früchte verkauften. Man konnte jedes Gemüse, Obst Stück um Stück begutachten, nach frischen Kräutern Ausschau halten, ob sie auch wirklich frisch waren, vergleichend, verhandelnd herumschlendern zwischen den vielen Ständen.
Hertha redete nun in breiterem Schwäbisch. Tat das ganz ohne sich herabzulassen. Als sei sie eigentlich nur hier unter den Bauern, ihren Frauen zu Hause. Das schätzte sie an Hertha: Sie war mit jedem Menschen, ob hoch oder gering, gleich auf du und du. Sie wanderte Hertha nach, nahm belustigt die Rolle der Bediensteten an, die man mitgenommen hatte, damit sie die Einkäufe hinterher trage. Am Morgen hatte Hertha wie etwas Besonders angekündigt, sie werde mit ihr nach dem Leuze auf den Markt gehen, und sie hatte gedacht: Was soll das schon Besonderes sein? Sie kaufte immer alles auf einmal in der Kaufhalle, das musste für eine Woche reichen. Jetzt verstand sie: auf-den-Markt-Gehen war etwas anderes als bloß einkaufen. Es war eine Zeremonie wie das Kochen, wenn man das nicht zum alleinigen Zweck tat, um sich und andere zu sättigen.
In die Markthalle müsse wir au noch!, sagte Hertha.
Das dann ein fast noch größeres Erlebnis. Stand an Stand, Angebote von vielleicht hundert Sorten Käse, vielerlei Fisch und im Meer lebenden Tieren sonst, von Fleisch und so vielen Arten von Wurst, von Gewürzen und fremdartigen Erzeugnissen, von denen sie gerade Melonen und Oliven herauserkannte. Die Augen gingen ihr über.
Ein Auf und Ab von Menschen und weiter Neues, über dessen Verwendung und Geschmack sie nachzudenken hatte. Sowieso konnte man sich zwischen all den Ständen ganz leicht verlaufen, was nun auch Hertha klar war. Denn sie gab deutliche Anweisungen, wo sie stehen zu bleiben hätte, während sie schnell noch mal da und dorthin ging. Der Einkauf im Wesentlichen für das Quäker-Frühstück morgen, am Sonntag, bestimmt und mehr nebenbei für das, was sie, Hertha und Heinrich am Wochenende brauchten. An Fleischständen ging Hertha vorüber mit der Erklärung, dass sie und Heinrich nun kaum noch welches äßen seit sie wüssten, das Vieh würde mit Futter aus Entwicklungsländern gemästet zum Schaden für die Wirtschaft und Nahrungsmittelversorgung dieser armen Ländern. Sie selbst war gewohnt, in großen Zusammenhängen zu denken und dass man alles erreichen könne, wenn man nur verstünde, die Massen davon zu überzeugen. Zwangsläufig war damit das Handeln des einzelnen nur dann von einem Wert, wenn es sich bündelte mit dem vieler einzelner und ansonsten so vergebens. Zwischen sich und der Gesellschaft einen so persönlichen Zusammenhang herzustellen, wie Hertha und Heinrich es taten, der Gedanke war ihr fremd, doch bedenkenswert. Dass man mit dem ändern wollen in der Welt durch ganz persönliches Handeln im Alltag anfing ohne Rücksicht auf eine sichtbare Wirkung und im Zweifelsfall gegen Windmühlenflügel kämpfte.
Am Ende alles beisammen, Weintrauben, Äpfel, Brot, Gebäck, Käse und geräucherter Fisch. Bei der angebotenen Fülle eine eher bescheidene Ausbeute. Und wie sorgsam hatte Hertha den Käse auswiegen lassen. Sie hätte Pfunde eingekauft.
Puritanerin aber war auch sie, indem sie sich den Gedanken versagte, an einem übernächsten Tag in die Markthalle zurückzukehren, um sich von Herthas Geld den Bauch mit Köstlichkeiten vollzuschlagen.
Am frühen Abend, Hertha hatte gerade Ravioli auf den Tisch gebracht, kam ein Anruf. Lis, du!, rief sie. Dann nahm sie offenbar einen verspäteten Glückwunsch entgegen. Ach Lis, sagte sie dann. Du weißt doch, was du für ein Vorbild für uns alle bist un wie wir uns alle an dir ein Beispiel nehmet!... Ich auch, Lis! Mer könne uns ja gar nich mit dir vergleiche... Grad ich, Lis, kann einschätze, was du leischtest in deinem Leide!
Hertha wie ein junges Mädchen, gab Verehrung so lauthalsen Ausdruck!
Kats Mutter, erklärte Heinrich. Sie ist seit vielen Jahren gelähmt. Rheuma.
Übrigens, die Beate ischt au hier. Aus Ostberlin, denk mal, sagte Hertha. Sie hat die Einreise gekriegt, dabei is sie grad ersch ... Wie alt bisch, Beate?
Sie antwortete, erstaunt, dass der alten Dame ihr Name etwas sagte. Die Verwandtschaft doch so entfernt. Ja, natürlich, sie wusste, wer diese Lis war. Der Konteradmiral hatte eine Rolle in Erzählungen ihrer Eltern gespielt. Seines Ranges wegen. Und wegen seines segensreichen Vergessens von dem, was seine entfernte Nichte und der junge Mann, seit dem Jahre 37 in der Marine, bei ihrem Besuch auf seinem vor Cuxhaven liegenden Schiff gewollt hatte. Der junge Mann, ihr Vater, nämlich wollte sein Abitur nachmachen, um eine Offizierslaufbahn einschlagen zu können. Indem der Konteradmiral vergaß, blieb der junge Mann an Land als Telefonist und damit am Leben und hatte wegen seiner ziemlichen Unschuld nach Kriegsende bald eine Anstellung bei der Stadt mit Aufstiegsmöglichkeiten. (Eine andere Sache, dass er dann in die sowjetisch besetzte Zone ging, wo er nun keinerlei Aufstiegschancen hatte und bald mit dem Staat kollidierte und so von einer weltlichen Laufbahn abgedrängt wurde in eine kirchliche.)
Hertha sprach nun mit einem Richard.
Wer ist das?, fragte sie Heinrich.
Der Mann von Lis.
Der Konteradmiral? Ich hab gedacht, der ist