Denk mal!. Helmut H. Schulz

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Denk mal! - Helmut H. Schulz

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ist deine Reiterei, Großer König?

      Seltsam ist das alles, man könnte meinen, es gebe kein waffenstarrendes Heer am Flussufer, fünftausend Mann stark, Schleuderer, Bogenschützen, Peltasten und Hopliten. Auf dem Fluss ist das gewöhnliche Treiben zu beobachten. Schiffe, mit Waren vollgestopft, treiben den Fluss abwärts, oder sie werden von singenden Schiffsknechten den Fluss hinaufgestakt, so als sei überhaupt keine Gefahr. Sogar Lustschiffe fahren mit geblähten Segeln auf dem Euphrat. Ist es möglich, dass niemand etwas von dem Riesenheer ahnt? Und die Dörfler? Kommen sie nicht in die Stadt und berichten, wie stark die Truppen sind, die in der Ebene bei Ananeh lagern?

      Hat die Gottheit euch mit Blindheit geschlagen? Was erhofft ihr? Dass die Gottheit ein Wunder verrichtet?

      Im Lager ist alles gespannte Erwartung, kein Soldat des Erleuchten darf es ohne besondere Genehmigung durch die Feldherren verlassen, auch wer sich beim Tross aufhält, hat in Lagernähe zu bleiben. Jeder weiß, dass etwas bevorsteht. Täglich schicken die Feldherren Patrouillen aus, aber diese kehren stets mit den gleichen Berichten zurück, nirgendwo sammelte sich ein Heer. Natürlich wird requiriert, obwohl die Versorgung des Heeres jetzt laut Befehl, bei den Feldherren selbst liegt. Beim Kauf oder Erwerb von Lebensmitteln kommt es auch zu Übergriffen, die von der Bevölkerung anscheinend mit Gleichmut hingenommen werden. Für jetzt steht allerdings bei schweren Vergehen, wie Plünderung oder Brandschatzung, die Steinigung des Schuldigen auf der Tagesordnung. Nur allzugut ist allen noch die Blutnacht in Erinnerung, als dass sie sich solcher Gefahr aussetzen. Der Tyrann wusste sich Respekt zu verschaffen.

      Eine Rolle spielt das Bewusstsein der nahen Gefahr, auch wenn bisher niemand eine größere Abteilung Feinde gesehen hat. Hin und wieder nähern sich kleinere Reiterabteilungen dem Lager auf Speerwurfweite, ziehen sich aber bald wieder zurück. Sie haben wohl dem Befehl nicht anzugreifen.

      Wie ausgehungerte Wölfe wittern die Soldaten die Fleischtöpfe Sesachs, der Duft des Weines, der Milch, des Honigs dringt zu uns herüber. Es ist der Abglanz des Goldes, der reiche Atem Sesachs, der diese ausgehungerten Strolche mord- und raubgierig macht. Amon-Es scheint äußerlich ruhig, aber Glykera erzählt, er schlafe fast gar nicht mehr. In den wenigen Stunden, die er sich zur Ruhe gönnt, stöhnt er wie auf der Folterbank. Der Wille, Sesach zu besitzen, beherrscht ihn. Spricht er von Babylon, so ist er ganz Hass, die Stadt ist für ihn die Wurzel allen Weltübels, und er ist davon überzeugt, mit ihrem Fall kehre das goldene Zeitalter zurück.

      Andererseits ist der Tyrann tief beunruhigt über die rätselhafte Ruhe, die du bewahrst, Großer König. Es war ein beispielloser Verrat, den deine Satrapen übten und weiter üben. Sie verrieten dich und sie verraten jetzt die Stadt, die sie doch schützen sollen. Werden sie nach einem Sieg Amon-Es zum Großkönig ausrufen? Ist es das, was der schuftige Prophet anstrebt? Und was wirst du tun, Großer König?

      Alle diese Würdenträger, diese Wahrsager, Priester, Schwertträger mit ihren Weibern und weitverzweigten Familien, dazu ihr Gefolge an Höflingen, Leute, deren Mäntel ausreichen würden einen Hopliten ein Jahr lang zu beköstigen und zu kleiden, neigen sich tief vor dem Propheten und bringen immer mehr Geschenke, Geld in großen Kästen, Waffen Pferde.

      Da die Leibwache des Propheten in die Zeugen des Erleuchteten aufgegangen ist, deren Führer ich bin, obliegt mir die besondere Sicherheit all dieser Schmarotzer. Und wir selbst führen ein parasitäres Leben. Unsere schlechten Schwerter sind gegen die besseren persischen Säbel ausgetauscht worden, wir reiten die schönsten und feurigsten Pferde, kein Pfeil vermag die leichten kostbaren Stoffpanzer zu durchdringen, die wir bekommen haben. Demzufolge befinden sich meine vierhundert Mann in bester Verfassung und glänzender Laune. Natürlich werden wir im Lager gehasst, nur wenige der Soldaten glauben noch an das Märchen von den Rachedämonen des Ewigen und Einzigen. Hätten wir in jener Blutnacht nicht die verhüllenden Masken angelegt, würde es keinen lebenden Zeugen mehr geben. Meine Truppe untersteht nicht der Heeresleitung, sondern der Oberaufsicht des Propheten.

      Großer König, Karsos ist wahrhaftig ein Mann, der viel gesehen hat, aber der Zusammenprall zweier Welten am Euphrat bleibt ihm gewiss unvergesslich; Asien und Europa begegneten sich. Das kam ihm zum Bewusstsein, als die Vertreter der Satrapien Sesachs dem Amon-Es gegenübertraten. Der Tyrann im weißen Gewand kahl, hart, mit brennenden Augen, die Vollendung eines okzidentalen Herren und die Satrapen, sich in der Adoratio am Boden windend, zum Saum seines Kleides kriechend, wie die Hunde, seine Sandalen küssend. Aber diese Männer sind nicht so weich, nicht so unterwürfig, wie sie glauben machen wollen. Hinterhältig rachsüchtig sind sie, Verräter; das alles zeigte sich bei dieser Begegnung zwischen ihnen und Amon-Es.

      Großer König, Karsos berichtet.

      "Wo steht das Heer des Großkönigs?"

      "Wir wissen es nicht, Herr."

      "Ist die Stadt Sesach mit einer starken Garnison versehen?"

      "Wir wissen es nicht, Herr."

      "Ich brauche viele Schiffe, ich will mit einem Schlage das Heer über den Euphrat werfen, die Stadt erobern, mich darin festsetzen. Wohlan, der Ewige und Einzige gebietet, 'ich will euch ein Gesetz geben und ich will euch ein Haus geben, darin ihr ewig wohnen sollt, um mein Gesetz zu halten."

      Die Satrapen, sich vom Boden erhebend:

      "Ein Haus, Herr? Ein Gesetz?''

      "Wer wider mich ist, den will ich auslöschen, seinen Namen will ich tilgen von Ewigkeit zu Ewigkeit!"

      Unverblümt fragen die Satrapen:

      "Ist das nicht etwas viel, Herr? Du willst Schiffe? Die können wir dir geben so schnell und so viel du brauchst. Du willst die Stadt? Nimm sie plündere sie, tu nach deinem Belieben. Sesach hat sich unseren Wünschen oft widersetzt, selbst dem Großkönig bot die Stadt Trotz, Sie hat die Meder abgewehrt, sie ist unermesslich reich, unermesslich groß, sie ist einer der Riegel Asiens, sie ist das Tor Gottes. Wir geben sie dir!".

      Am Abend nahm Karsos das Opfer vor. Großer König, Opfer sind zwar verboten, Karsos tat es dennoch. Er nahm zwei Widder, vier seiner Männer hielten das erste der Tiere über den eilig errichteten Altar, dann senkte ich das Messer in den Hals des Opfers. Mit tiefem Ernst sprachen wir die alten heiligen Gebete. Aus den Eingeweiden las Karsos das Schicksal des Amos-Es, ein günstiges Schicksal. Auch das zweite Opfer minderte den Erfolg des ersten nicht. Wieder verbrannte ich alles. Man darf bei solchen Opfern nicht knauserig sein. Amon-Es, der die Handlung nicht unterbunden hatte, fragte später:

      "Was sagt die Gottheit?"

      "Dass dir die Stunde günstig ist, Herr, das sagt die Gottheit. Leber, Herz, Milz, Darm und Magen waren ganz rein."

      Zustimmend lachte der Tyrann.

      "Ich habe die Schiffe bekommen."

      In der Nacht bereiten die Feldherren den Angriffsplan. Nach dem Übergang über den Euphrat wird der eine Teil des Heeres von Norden her in die Stadt einfallen und über die nördlichen Straßen den Tempel des Nilmach besetzen. Danach soll eine Abteilung dieser Hauptmacht versuchen, innerhalb der Stadt die äußere Mauer zu erreichen. Eine kleinere andere Abteilung wird zugleich die Stadt umgehen und sich zwischen dem Kanal Nil und der äußeren Mauer festsetzen. Dann werden die Tore gesprengt und das Heer des Erleuchteten wird sich in die Stadt ergießen, das Heiligtum der Ischtar einnehmen, das des Ninib und Marduk. Kern dieses Planes ist allerdings, sich keinesfalls zum Euphrat zurückdrängen zu lassen; der Fluss schützt die östliche Flanke der Stadt.

      Amon-Es hat sich die Führung der kleineren Abteilung vorbehalten, deren Streitmacht die Zeugen des Erleuchteten bilden sollen, und in der Tat kommt dieser Abteilung

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