Stadt der Sünder. Myron Bünnagel

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Stadt der Sünder - Myron Bünnagel

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Oder wenigstens in mein Hotelzimmer. Oder, dass der verdammte Regen endlich aufhörte.

      Die Autotür schlug zu. Seine Schritte kamen langsam näher, ich konnte sie auf dem matschigen Boden hören. Alles in mir sträubte sich dagegen, aber ich schaute dennoch hin. Shit, er sah aus wie der Teufel. Nicht mit Hörnern, sondern mit Basecap, Jeansjacke, Holzfällerhemd und Lederhandschuhen. Es war dieses beschissene Licht, das ihn einrahmt und sein Gesicht im Schatten ließ. Wie etwas aus dem Wald da unten. Er kam näher und ragte über mir auf. Und er war so verflucht wütend, dass mein Herz einen Sprung tat. Seine Stimme war ein Knurren, sein Mund ein dunkles Loch. Du mieses, kleines Schwein. Du verdammter Drecksack.

      Dann trat er zu. Die Stiefelspitze in die Nieren. Ich biss die Zähne zusammen und unterdrückte einen Schrei. Er wusste, wie es wehtat. Nach dem vierten war mein Rücken nur noch pochender Schmerz, vor meinen Augen flimmerte es. Aber ich schrie nicht. Tränen, aber keinen Laut.

      Er legte eine Pause ein, schnaufte wie ein Stier. Ich konnte nicht mal mehr den Kopf heben.

      Dann schrie ich. Brüllte wie am Spieß, als er einen Stiefel unter meine Beine rammte und mich mit einem Ruck vorwärts beförderte. Ich kippte auf den Abgrund zu, fast wie im Zeitraffer. Und verfluchte mich selbst, meine Vorsätze gebrochen zu haben. Und dachte an sie. Dolores …

      II. Der Job

      Ich habe mich oft gefragt, warum ich gerade in Prezella hängen geblieben war. Wenn ich auf dem Marktplatz die Zeit totschlug. Oder wenn ich beim immer gleichen Metzger eine Rostbratwurst aß. Dann schaute ich mich manchmal um, sah die Häuser und die Leute, von denen ich die meisten schon von Kindheit an kannte. Alles war vertraut, abgenutzt, klein und verschlafen. Und war doch etwas, in dem meine Wurzeln lagen. Ich war darin aufgewachsen, war durch die Gassen gerast. Hatte mir an den Schaufenstern die Nase platt gedrückt. Das widerte mich an, weil es so provinziell, so monoton war. Ich hatte andere Städte erlebt – Berlin, Köln, Leipzig. Groß, anonym, modern. Voller Möglichkeiten, Hoffnungen, Träume. Und doch … hier war ich, saß auf der gleichen Bank, auf der ich als Teenager Bier getrunken hatte. Vertilgte den letzten Rest einer Wurst, die schmeckte wie alle Würste vorher. Prezella, verlässliche Kleinstadt. Einen Steinwurf von der tschechischen Grenze. Hier konnte ich genauso gut auch sterben. Beerdigt neben meinem Großvater, draußen auf dem alten Friedhof. Und wie er, konnte ich mit den anderen Greisen in der Sonne sitzen, abends im Krug oder einer anderen Kneipe, bis sie mich tot raustrugen. Irgendwie so musste es mit ihm gewesen sein, aber ansonsten wusste ich nicht viel über den alten Mann. Vermutlich war er einer der Stränge, die mich hier so lange festgehalten hatten. Trotz allem. Prezella war irgendwo ein Teil von mir, ich von ihr. Und die Leute wussten das, genau wie sie alles andere über mich wussten. Oder zu wissen glaubten. Denn in ihrer Überzeugung lag genügend Sicherheit für mich – für alles, was sie nicht wissen durften. Und ich kannte sie, verstand intuitiv, wie sie reagierten. Wem ich aus dem Weg gehen musste, wer Korn und Bier spendierte.

      Es gab noch mehr … Ich war kein Naturtyp, nichts mit Wandern oder so. Aber manchmal fuhr ich raus aus dem Stadtmief, hinauf in die Hügel. Wald, freier Himmel – seit ein paar Jahren wusste ich das wirklich zu schätzen. Dann gab es noch zwei oder drei andere Dinge, die mich hielten, an die ich aber nie richtig dachte. Weil ich nicht genau wusste, was ich davon halten sollte.

      Ich blickte auf die LCD-Uhr, die ich mir vor ein paar Tagen gekauft hatte. Stoßfestes Plastik, vielleicht ein wenig zu jugendlich. Viertel vor drei, ich musste mich auf den Weg machen. Mein alter Ford stand hinter der Kirche. Metallicbraun, mit Schiebedach und zerbeulter Beifahrertür. Man kannte die Karre überall in der Stadt, so dreckig war sie. Ich wusch sie nur zweimal im Jahr. Dafür konnte ich mühelos erkennen, wenn sich jemand daran zu schaffen gemacht hatte. Ein bisschen Vorsicht konnte nicht schaden. Das Lokalradio plärrte Veranstaltungstipps heraus. Kino, Kirchenchor, Seniorenausflug. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Der Dialekt der Moderatorin tropfte aus den Lautsprechern. Ich war mit ihr zur Grundschule gegangen. Wenn es eins gab, dass ich wirklich nicht verinnerlicht hatte, dann war es der verdammte Dialekt. Ich verstand ihn zwar, sprach ihn aber nie. Vielleicht, um mir hier ein bisschen Andersartigkeit zu bewahren.

      Ich verließ den alten Stadtkern und fuhr durch Habefeld, einem eingemeindeten Vorort, so idyllisch und verschlafen wie ein Hinterwäldlernest. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Zeit seit der Wende an manchen Flecken hier eingefroren war. Dahinter, an die Ausläufer der bewaldeten Hügel geschmiegt, erstreckten sich die Villen. Alte, teure Häuser, in denen die Reichen und Wichtigen von Prezella wohnten, solange ich denken konnte. Die 48 war ein wuchtiges Herrenhaus mit elfenbeinfarbener Fassade, hohem Gitterzaun und einem überdachten Pool, der vor etlichen Jahren an das alte Gebäude angebaut worden war. Die Prezellaer hatten sich monatelang darüber aufgeregt.

      Ein cremeweißes Mercedes-Cabrio stand in der Einfahrt. Ich fuhr daran vorbei und parkte um eine Straßenecke, blieb ein paar Minuten im Wagen, trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Endlich stieg ich aus, kontrollierte den Sitz meines Hemdes, das ich mir eben im Kaufhaus HOJ gekauft hatte. Weiß, mit dünnen, lila Streifen. Dazu Jeans und Turnschuhe. Eine Rasur hätte mir gut getan, andererseits passten die Stoppeln für den Moment.

      Ich konnte mich nicht erinnern, jemals die 48 betreten zu haben, selbst damals nicht, als wir die Gegend unsicher gemacht hatten. Ein paar Jahre nach der Wende war es ein Sport, die ehemaligen Bonzenvillen mit Graffiti zu verschandeln. Eine späte Form von Protest, die Politgrößen waren da schon lange aus diesem Teil der Stadt verschwunden und hatten den Neureichen Platz gemacht. Die Josigers, die hier wohnten, gehörten nicht dazu. Bodo war ein Selfmademan, hier geboren und nach dem Mauerfall mit seiner Spedition und ein paar fragwürdigen Spekulationen zu viel Geld gekommen. Seine erste Frau zählte zum alten Stadtadel, ehe sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Unter Alkoholeinfluss war sie in einen neu gebauten Brückenpfeiler gerast, unten am Fluss. Das musste jetzt zehn Jahre her sein. Bodo war nicht lange allein geblieben. Cornelia zog bei ihm ein und brachte Großstadtflair mit. Nach sechs Monaten heirateten sie, gaben eine verschwenderische Party und ließen den Pool bauen. Ich hatte während meines Studiums ein paar Mal für Josigers Firma gearbeitet, kannte die beiden aber nur flüchtig. So flüchtig man jemanden eben kennen konnte, dessen Leben Stadtgespräch war. Aber ich war mir sicher, dass Cornelia Klasse hatte. Kein verwöhntes Landmädchen, sondern ein Großstadtkätzchen mit Klauen. Als sie mich heute Morgen angerufen hatte, war das durchaus eine Überraschung. Sie hatte einen Job, den ich für sie erledigen konnte. Diskret, gegen Bezahlung. Mehr sagte sie nicht. Dann hatte sie mich für den Nachmittag zu sich eingeladen.

      Ich betätigte den Klingelknopf auf dem verschnörkelten Namensschild und starrte in den Himmel hinauf. Weit im Osten hatten sich die Wolken dunkel verfärbt. Vermutlich würde es heute noch regnen. Die Gegensprechanlage knisterte und eine weibliche Stimme fragte: „Ja?“

      „Gideon“, erwiderte ich. Irgendwo hing bestimmt eine Kamera, aber ich konnte sie beim besten Willen nicht entdecken. Es gab ein Surren und das Gitter öffnete sich. Also ging ich zum Haus hoch und warf dabei einen Blick ins Innere des Coupes. Rote Lederpolster, volle Einkaufstüten auf der Rückbank – von der einzigen Edelboutique am Ort.

      Jemand hatte sich ziemlich viel Mühe mit dem Garten gegeben, ordentliche Blumenbeete, gestutzte Hecken und so. Es gab einen Pavillon mit Tischen darunter, weiter hinten einen Tennisplatz.

      Die Haustür stand offen und führte in eine luftige Eingangshalle mit Marmortreppe und Galerie, Stofftapete und moderner Malerei. Keine Menschenseele. Aber eine Tür führte ins Wohnzimmer. Ledergarnitur, Flachbildfernseher, Bücherregale. Und der Durchgang zum Pool. Ich konnte das leise Plätschern des Wassers hören. Er war weiß gekachelt, mit einem Sprungbrett am anderen Ende und Zugang zum Garten. Aus Kübeln heraus rankten sich allerlei exotische Pflanzen die Fenster hoch. Es war so feuchtwarm, dass ich zu schwitzen anfing.

      Cornelia zog eine Bahn auf mich zu, das Haar unter

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