Stadt der Sünder. Myron Bünnagel

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Stadt der Sünder - Myron Bünnagel

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der Haustür sah ich Tilo Borrmann, seines Zeichens aufstrebender Anwalt. Erledigte so allerlei diskrete Angelegenheiten für jene in Prezella, die sich seine Dienste leisten konnten. Vor fünfzehn Jahren hatten wir im selben Fußballverein gekickt. Nach der Schule ging er zum Studium nach Westdeutschland, aber dann war er doch wieder zurückgekommen und hatte hier eine eigene Kanzlei eröffnet. Nicht lange, und durch seine skrupellose Art hatte er sich mit den örtlichen Kollegen verscherzt. Dafür zählten einige der dicksten Fische zu seinem Klientel. So wie es schien, auch die Josigers. Aber ob Bodo wusste, dass Borrmann seine Frau beriet? Ich zweifelte daran. Scheidung lag in der Luft.

      III. In flagranti

      Was faszinierte mich am Fotografieren so? Nicht das Künstlerische, dafür hatte ich nie eine Ader. Auch nicht die Suche nach dem richtigen Motiv oder Augenblick, ich nahm ohnehin nur Personen auf. Vermutlich bin ich dabei nicht mal ein besonders guter Fotograf. Nein, es war die Nähe. Die Intimität, die ich mit einer Kamera einfing. Unbemerkt. Gesichter, Körperhaltungen, Momente, in denen meine Modelle nicht ahnten, dass sie abgelichtet wurden. Ich war kein Voyeur, mir ging keiner dabei ab. Ich legte es nicht mal darauf an, jemanden nackt oder beim Sex zu erwischen. Klar, vorgekommen war das schon, aber mehr, weil es sich ergab. Ich suchte nicht danach.

      Es ging um eine andere Art von Intimität: Teil von jemandem zu sein, ohne dass er es wusste. Kleinigkeiten mitzubekommen, die sonst niemand sah. Ein bisschen wie dieser Film mit diesem Typen, der Mädchen dabei fotografierte während er sie ermordete. Natürlich brachte ich niemanden um, trat nicht einmal in Erscheinung oder machte jemandem Angst. Obwohl die meisten wohl Panik bekommen hätten bei dem Gedanken, wie nah ihnen ein Objektiv schon gekommen war. Und, wenn ich ehrlich war, hatte es auch irgendetwas mit Macht zu tun. Wie diese Wilden, die sich davor fürchteten, dass ihnen beim Fotografieren ihre Seele gestohlen wurde. In solchen unbemerkt geschossenen Bildern steckte etwas davon. Zumindest fühlte es sich so an.

      Ich war allerdings aus der Übung. Diese Digitalkameras waren immer moderner geworden, seit ich vor ein paar Jahren das letzte Mal eine benutzt hatte. Aber praktisch. Ich besorgte mir eine schnelle Speicherkarte, groß genug, um ganz Prezella abzulichten. Dann fing ich an zu fotografieren, ein paar Probeaufnahmen, während ich wartete. Bodos Firma. Mein geliehener Golf parkte zwischen zwei LKWs und von dort aus konnte ich das Eingangstor samt Pförtnerhaus sehen. Das war nur ein paar Stunden am Tag besetzt. Hier draußen passierte nicht viel und nachts gab es den Werksschutz. Hinter einem weiten Parkplatz standen zwei Lagerhallen, eine Werkstatt und der Anbau mit den Büros. Bodos Räume befanden sich in der oberen Etage. Manchmal meinte ich Bewegungen hinter den Fenstern zu erkennen, aber Bäume versperrten mir die genaue Sicht. Sein blauer Jeep stand im Hof. Gelegentlich fuhren Lastwagen an oder ab, dann versank ich tiefer im Rücksitz, auf dem ich es mir gemütlich gemacht hatte. Das Radio lief leise, aber ich hörte kaum zu. Die Kamera in meiner Hand ließ mir keine Ruhe, seit ich sie letzte Nacht ausgepackt hatte. Sie schien zu Leben. Bilder im Takt eines schlagenden Herzens. Und ich hatte sie im Griff, konnte sie auch einfach beiseite legen und eine Weile aus dem Fenster starren. Draußen zog die Dunkelheit herauf, kroch hinter den Bergen hervor wie ein ungutes Gefühl. Der Wind zerrte an den Ästen und manchmal trommelten Regentropfen auf das Wagendach. Ich knabberte an einem Schokoriegel und sah auf die Uhr – bald neun. Immerhin war ich seit heute Morgen unterwegs, hatte Bodo beim Verlassen der Villa abgepasst, mich an ihn gehängt, als er gegen elf eine Kundentour drehte. Hatte mir ein Rostbrätl reingezogen, während er im Ratskeller zu Mittag aß. Nur, um den Rest des Tages hier abzuwarten. Von einer Geliebten keine Spur. Er hatte mich nicht bemerkt, war viel zu selbst versunken oder in Telefonate vertieft. Und ich hatte ihn fotografiert, anfangs ein paar zur Probe, dann genauer. Es kam ganz von allein. Bild um Bild – Porträt, Profil, Front. Im Jeep, am Firmentor, in der Fußgängerzone. Ich war ganz dich bei ihm – konnte ihn atmen hören, ihm über die Schulter sehen. Es war das alte Kribbeln. Angenehm, aber irgendwo beunruhigte es mich auch. Also ließ ich die Spiegelreflex auf dem Rückweg zur Spedition auf dem Beifahrersitz. Ich hatte alles unter Kontrolle.

      Das grelle Licht der Scheinwerfer schreckte mich auf, ließ mir gerade noch genügend Zeit, abzutauchen. Der Jeep röhrte die Einfahrt herunter, das Tor glitt automatisch hinter ihm zu, dann war er schon an mir vorbei und jagte den Hügel hinab.

      Ich fluchte lauthals und kletterte hinter das Steuer, warf den Motor an und manövrierte den Golf aus der Parklücke. In seinem Büro brannte kein Licht mehr, ich hatte einfach vor mich hin geträumt. Wenn er wie gewohnt fuhr, lief ich Gefahr, ihn aus den Augen zu verlieren. Also riskierte ich ein bisschen was und quälte meinen Wagen durch die Kurven. Der verdammte Regen hatte zugenommen. Endlich sah ich seine Rücklichter und ging vom Gas. Er bog auf die Umgehungsstraße ein. Hier herrschte mehr Betrieb, so dass es ihm nicht auffallen sollte, wenn ein Verfolger hinter ihm blieb. Zudem konnte er nicht so rasen. Ich entspannte mich. Auch wenn ich kein Profi war, lief es doch glatt. Ein wenig Nervenkitzel war auch dabei.

      Wir blieben einige Zeit auf der Schnellstraße, die man nach der Wende um Prezella gelegt hatte. Keinen interessierte es damals, wie sehr man damit die Landschaft verschandelte. An der Ausfahrt Ost orientierte er sich plötzlich von der Stadt weg, in Richtung des Waldes. Einen Moment war ich irritiert, weil ich nicht verstand, wo er hin wollte. Denn hier draußen gab es nur die Kommune, sonst nichts. Dann wusste ich, welches Ziel er haben musste. Direkt neben dem Areal, das den Alternativen gehörte, gab es eine Reihe Ferienhäuser, mitten im Wald. Sie waren vor zwei oder drei Jahren hochgezogen worden und sollten den Anfang einer Ferienanlage bilden. Aber Rechtsstreitigkeiten um den Besitz des Baugrunds hatten das Projekt zum Erliegen gebracht. Die Alternativen besaßen mehr Grund und Boden, als man angenommen hatte. Und sie wollten nicht verkaufen. Seitdem schlugen sich ihre Anwälte miteinander. Josiger war einer der Investoren gewesen, nicht verwunderlich also, dass er sich dort ein lauschiges Liebesnest eingerichtet hatte.

      Ich ließ mich weiter zurückfallen, denn hier draußen war wenig los und meine Scheinwerfer musste er irgendwann bemerken. Außerdem kannte ich die Gegend hier wie meine Westentasche. Die Ferienhäuser hatten einen eigenen Parkplatz, einsehbar von der Straße. Aber zu Fuß konnte man sich der Anlage von der anderen Seite her nähern. Durch den Wald der Kommune. Eigentlich hätte ich den Golf dort parken können, aber man kannte mich und fremde Fahrzeuge fielen sofort auf. Also stellte ich ihn ein Stück zurück am Straßenrand ab und machte mich auf den Weg. So hatte Bodo genügend Zeit, die Dinge etwas warmlaufen zu lassen.

      Nach den ersten fünfzig Metern war ich bereits durchnässt. Der Regen wollte nicht aufhören, aber zwischen den Bäumen würde es nicht mehr so schlimm sein. Über der Einfahrt zur Kommune hing ein Holzschild, das leise quietschte. Ein paar Fahrzeuge standen herum, der klapprige Gemeinschaftsbus, zwei ausgezehrte Schrottautos und ein Kleinwagen. Weiter hinten sah ich die Lichter der ersten Hütten in der Dunkelheit schimmern. Es gab mindestens zwanzig davon, allesamt aus Holz gebaut und im Wald verteilt. Dazu eine Gemeindehalle und die Tofu-Anlage. Trotz des Windes konnte ich sie leise rattern hören. Sie war seit knapp zehn Jahren die einzige Errungenschaft der Kommune und warf neben dem Gemüseanbau und Handwerksarbeiten genügend Kohle ab, um den Laden am Laufen zu halten. Die Kommune gab es schon seit den späten Sechzigern. Während der DDR-Zeit tummelten sich hier Alternative im Deckmantel von Kunsthandwerk und Freikörperkultur. Außerdem ein paar Spinner, die sich dem Erhalt der Indianerkultur verschrieben hatten. Ich konnte mich nicht erinnern, wer schlimmer gewesen war. Die Freaks in Wildlederklamotten und Federschmuck, die auf dem Platz am See Tänze aufführten, oder die bekifften Nackten, die man regelmäßig aus dem Wasser fischen musste. Zumindest die Alternativen waren ausdauernder gewesen, von den Indianern war nur noch ein altes Ehepaar übrig geblieben. Ihren sächsischen Akzent hatten sie trotz Kriegsbeil nie abgelegt.

      Ich hatte hier drei oder vier Jahre gelebt, ich weiß nicht mehr genau. Damals war ich fünf und lief ich genauso nackt und schmutzig umher wie die wenigen Kinder, die es zu der Zeit hier gab. Ich ging den Kommunenleuten heute aus dem Weg, den meisten zumindest. Irgendwie ertrug ich den Gedanken nicht, dass sie mich noch als splitternacktes Kind erlebt hatten. Vor allem der alte Silvester. Er war so etwas wie der Diktator der Gemeinschaft.

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