Stadt der Sünder. Myron Bünnagel

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Stadt der Sünder - Myron Bünnagel

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ein paar Dellen auf.

      Mutti mochte mich. Außerdem wusste ich über seine Zeit als IM der Stasi Bescheid, plauderte aber nicht darüber.

      Es war genau der Ort, an dem ich gerade sein musste. Rau, schmutzig, in genau dem Ton, den meine Wut und Frustration anschlugen. Ich stieg aus und stapfte auf den Eingang zu. Keine Ahnung, wann ich mich das letzte Mal bewusst betrunken hatte. Aber jetzt war ein guter Zeitpunkt dafür.

      IV. Entscheidung

      Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mir klar, was ich zu tun hatte. Die Sonne schien zwischen den Vorhängen herein und brachte meinen verkaterten Schädel in Aufruhr. Der Geschmack in meinem Mund erinnerte an etwas Totes. Ich fühlte mich zerschlagen und müde, aber in meinen Gedanken war eine Schärfe, die ich lange vermisst hatte. Ein konkretes Ziel, ein deutlicher Weg. Kein Warten und Abhängen, ohne dass sich irgendetwas änderte. Der Abend bei Muttis war dagegen nur ein zäher, von zu viel Bier und Schnaps und Kotze zermatschter Brei. Ein paar unzusammenhängende Bruchstücke trieben darin herum – Oskar, ein paar Trucker, ein Mädchen. Aber ich konnte nicht sagen, ob die von gestern oder irgendeinem anderen Tag waren. Der Alkohol hatte die Wut soweit durchweicht, dass die Ideen in meinem Hirn lospolterten. Sie kreisten um Rache, was denn sonst? Bodo dafür zu bestrafen, dass er seine dicken Finger in Kamillas Haut gebohrt hatte. Dass er ihre Brüste gequetscht und seinen Schwanz in ihr Innerstes gerammt hatte. Ja, es war Eifersucht. Rein und heiß. Aber noch etwas anderes, tiefer sitzendes. Das Gefühl eines unausweichlichen Schicksals. Vorherbestimmung. Das alles mischte sich, kroch unter der Oberfläche dahin, wollte raus. Doch ich ließ es nicht. Nicht so. Ich brauchte einen Plan. Und ich wollt wirklich keinen Fehler zweimal begehen.

      Langsam angehen lassen, sich zurücklehnen. Das Mosaik zusammenfügen, bis aus den Ideen ein perfektes Bild geworden war. Erpressung. Simpel und direkt. Keine Gewalttätigkeiten. Keine überstürzten Dummheiten. Eine durchstrukturierte kleine Erpressung. Er würde leiden, langsam und beständig bluten. Und ich würde mehr als bloße Genugtuung davon haben. Das war mir nach der ersten Raserei gestern klar geworden. Alles andere brachte mich nur wieder in Schwierigkeiten. Das hier jedoch war sauber. Der Kniff war, nicht gierig zu werden. Das brach einem früher oder später das Genick. Es war die Erniedrigung, das Ausgeliefertsein, nicht der finanzielle Verlust. Josiger hatte mehr als genug, ein paar Tausend würde er aus der Portokasse bezahlen. Aber wenn sich Cornelia von ihm scheiden ließe … So wie ich das kleine Kätzchen einschätzte, würde sie ihm dabei große Brocken aus dem Leib reißen. Das konnte sie von mir aus später nachholen, jetzt erst einmal wollte ich ihr nichts von der letzten Nacht erzählen. Sie konnte warten. Ich musste sie vorerst hinhalten. Hauptsache, Cornelia kam nicht zu schnell auf die Idee einen anderen Schnüffler auszugraben.

      Die Uhr auf meinem Nachttisch zeigte kurz nach elf. Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Die Krönung war, dass Josiger von Anfang an wissen sollte, wer ihm das Leben zur Hölle machte …

      Das einzige, mit dem ich haderte, war, dass ich gegen einen meiner Grundsätze verstieß. Ich hatte mir geschworen, nie wieder ein krummes Ding abzuziehen. Mich nie wieder in die Probleme zu stürzen, die im Windschatten solcher Sachen lauerten. Doch da war die Wut, die mir den Weg wies und der kristallklar vor mir lag. Außerdem hatte ich mit der Kamera schon gegen einen Grundsatz gehandelt. Und eigentlich hing beides zusammen und war das gleiche. Es brachte was ein, war sicher und konnte nicht schief gehen. Mit der ganzen Scheiße, die an Bodo klebte, konnte er von den Bullen keine Hilfe erwarten. Und einen Skandal musste er ebenfalls vermeiden, war schlecht für die Geschäfte und das soziale Leben in Prezella.

      Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und im nächsten Moment kam Dolores herein, eine schwarze Reisetasche in der Hand. Sie trug ein helles Kostüm, Lackschuhe und ein winziges Hütchen samt Schleier auf dem brünetten Haar. Wie frisch von der Pferderennbahn, nur dass es hier weit und breit nichts desgleichen gab. Ihr Gesicht war makellos geschminkt, man sah ihr das Alter nicht an. Dem Rest ihres Körpers schon gar nicht. Sie konnte Dreißig sein, nicht Ende Vierzig. „Hallo, Schatz, noch nicht aufgestanden?“ Sie stieß die Tür zu und ließ die Tasche auf den Boden fallen, dann kickte sie ihre Schuhe in eine Ecke, nahm den Hut ab und schüttelte ihr Haar. Es war halblang und gerade heller als meines. Dolores lächelte, sah die Briefe durch, die für sie auf dem Schreibtisch lagen, und wandte sich wieder mir zu.

      „Gute Reise gehabt?“

      „Mittelmäßig. Die Nummer vor der Bank werde ich wohl ein wenig ruhen lassen.“ Dolores gähnte, sie sah müde aus, Ringe unter den Augen, schwere Lider. „Aber es reicht vorerst. Jetzt muss ich erst einmal aus diesen Klamotten raus.“ Damit öffnete sie den Durchgang zu ihrem Zimmer und zerrte die Reisetasche mit hinein.

      Ich blieb noch eine Weile liegen und hörte zu, wie sie Sachen in ihren Schrank räumte. Damit war sie sehr genau, sämtliches Arbeitszeug landete in ihrem Wandschrank, zu dem nur sie einen Schlüssel besaß. Schließlich stand ich auf, streifte mir Shorts über und betrat ihren Raum. Er war beinahe eine exakte Kopie von meinem: Ein Hotelzimmer mit nur wenig persönlicher Note. Auf dem Schreibtisch ein gerahmtes Foto von uns beiden, auf dem Sofa mein abgegriffener Teddybär. Und ihre Schminkkommode. Dolores saß davor, nur in lachsfarbener Spitzenunterwäsche, das Haar achtlos hochgesteckt, in der Hand ein Abschminkschwämmchen. Die Jalousien waren halb heruntergelassen. Der Wandschrank stand offen – er war ein großes Modell, das sie extra hatte einbauen lassen. Kleider und Mäntel hingen an einer Stange, darunter stapelten sich Schuhkartons, in Fächern lagen Wäsche und Pullover und auf einer Ablage waren ihre Perücken aufgereiht. Das sorgsam gepflegte Sortiment einer Betrügerin. Dolores Marr. Früher waren wir zusammen auf Tour gewesen, hatten Rentnerinnen und Witwen an der Ostseeküste ausgenommen. Später arbeitete sie gelegentlich mit anderen Partnern, aber bevorzugt allein. In den letzten Monaten hatte sie die Republik als Arztfrau bereist und senile Bankkunden abgezogen. Sie war dabei verdammt gut. Gab vor, Geld für eine Praxisanschaffung zu benötigen, aber nicht an ihr Konto zu kommen. Da es wichtig war, sprach sie bevorzugt alte Opfer an, überzeugte sie, ihr das Geld zu leihen, um es später zurückzuzahlen. Ging sogar mit zum Schalter und forcierte die Auszahlung. Ein paar tausend Euro, wenn es gut lief. Mit Perücke, biederem Kostüm und veränderter Tonlage war sie die perfekte Arztfrau – gebildet, ein wenig hilflos, in diesem Moment verzweifelt. Zwar war die Polizei hinter ihr her, aber sie schöpfte die Masche dennoch weiter aus. Kleinstädte bevorzugt.

      Sie betrachtete mich einen Moment im Spiegel, dann deutete sie auf ihren Rücken: „Hak mich auf, Gideon.“

      Ich trat hinter sie, nahm ihr Parfüm wahr. Ein neues, ziemlich süßes. Auch das wechselte sie mit jedem Auftritt. Die Haut unter dem Büstenhalter war weich und warm. Dolores lächelte und zog die lila Seide ab. Ihre Brüste waren fest und rund, keine Spur von Alter. Ihre schlanken Finger tippten auf die Kommode: „Hier ist dein Anteil. Dreihundert. Den Rest erst, wenn ich abgerechnet habe. Aber erwarte nicht zu viel, die Ausgaben werden immer höher.“

      Ich griff danach, aber sie fasste mein Handgelenk, besah sich die Kratzer auf meinem Unterarm. „Was hast du gemacht?“

      „Bin in ein Dornengestrüpp gefallen.“

      „Als du betrunken warst?“ Sie schaute mich mit hartem Blick aus dem Spiegel heraus an.

      „Und wenn schon … Lass mich los.“

      Sie ließ, bedachte mich aber mit einem skeptischen Blick. „Ich mag es nicht, wenn du alleine trinkst. Es bringt nur Ärger ein.“

      Ohne Dolores anzusehen, zählte ich das Geld und rollte es zusammen. „War nur eine Nacht, kommt so schnell nicht wieder vor.“

      Sie seufzte, dann fragte sie: „Wie wäre es mit einem Danke?“

      „Danke.“

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