Nest im Kopf. Beate Morgenstern
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Mit dem Januar 1949 hatte ein ereignisreiches Jahr begonnen. Zwei kleine Mädchen, Schwierigkeiten der Nahrungsbeschaffung u. a. In diesem Sommer bin ich wieder schwer krank geworden. Es war die Zeit des Bohnenerntens und -einmachens. - In unserem geistlichen Erleben hatte auch das Gebiet der Gebetsheilung eine Rolle gespielt. Wir hatten eine Gebetserhörung erlebt bei der schweren Mittelohrentzündung unserer kleinen Anna, durch welche die schon vorgesehene Aufmeißelung vermieden wurde. jetzt nun befiel mich hohes Fieber. (Ich kämpfte dabei weiter mit den Bohnen.) Es hielt acht Tage an. Der Arzt konnte keinen Grund erkennen und fasste Typhusverdacht und wollte mich in das Infektionskrankenhaus in G. zur Untersuchung einweisen, das von der Hitlerzeit her einen schlechten Ruf hatte. Ich schlug meinem Schwiegersohn vor, vorher doch mit mir nach Jakobus 5 zu handeln. Der Arzt ging darauf ein. Mir war in meinem Fieber das Wort über Petri Schwiegermutter im Sinn: Sie stand auf und diente ihnen. Heiner bat um Besuch der Ältesten. Es kamen zu mir Bruder Siegfried Borchert (der Bischof), Bruder Gregor (der Prediger) und die Witwenpflegerin Schwester Möller. Sie beteten unter Handauflegung. Es geschah zunächst nichts. Ich wurde mit dem Krankenauto nach G. gebracht. Dort hielt das Fieber noch vierzehn Tage an, mit großer Schwäche und völliger Appetitlosigkeit, aber dann trat langsam Besserung ein. Ich bin sehr gut gepflegt worden. Das Vorurteil (das Haus gehörte zur Landes-Heil- und Pflegeanstalt) war unbegründet.
Euthanasie, dachte Anna. Das Wort war der Großmutter nicht in die Feder gekommen. Alles in ihr hatte sich dagegen gesträubt, diese schrecklichen Dinge auszusprechen und sie damit nicht nur für wahrscheinlich, sondern für wahr zu halten. Wie gern befreite sich die Großmutter von einem schlimmen Verdacht.
Ebenso der Typhusverdacht meines Arztes. Aber ich musste sieben Wochen nach Vorschrift dort bleiben. Herrliches Sommerwetter! Bald konnte ich tagsüber im schönen Garten liegen. Die Verpflegung war viel besser als zu Haus und nur wenige Patienten im Haus zur Beobachtung. Ich bekam dort die Erholung, die ich nach anstrengenden Jahren dringend brauchte, die ich mir aber nie hätte leisten können bei DM 90 Rente. Der Segen des Gebets umgab mich fühlbar, eine wunderbare Zeit der Stille,
Stille ja, dachte Anna, denn wo waren die Pfleglinge geblieben, die Irren, die Verrückten?
in der ich auch große Teile der Bibel fortlaufend gelesen habe. Ich kam langsam wieder zu Kräften, war aber doch etwas schwankend auf den Füßen bei der Entlassung. Diese wunderbar geschenkte Erholung hat gereicht, bis ich dann, auch unerwartet, 1953 in den Feierabend versetzt wurde.
Von jetzt ab ist mir der zeitliche Verlauf nicht mehr ganz klar. Heiner war wohl noch Angestellter am Amtsgericht, wo er u. a. das Grundbuch zu führen hatte. Eines Tages erhielt er aus Gesinnungsgründen eine Kündigung. Aber mit einem Vierteljahr Frist. Durch alles Erleben und die geschwisterliche Gemeinschaft hatte sich sein Glauben vertieft und Berufung zum Zeugendienst mit dem Wort war ihm deutlich geworden. Wir hatten in Gottshut eine gläubige Freundin, die der Pfingstbewegung nahestand. Diese riet zum Fortgehen über Berlin und Beginn mit dem Zeugnis auf der Straße. Dazu entschloss sich Heiner nicht. Er erbat vom Herrn einen geordneten Ausbildungsweg und schrieb viele Bewerbungsbriefe ohne greifbaren Erfolg. In diesen entscheidenden Wochen folgte Hilde einer Einladung der Bundesmutter zu einer DFMGB-Konferenz nach Magdeburg. (Ich hatte um Einladung gebeten.) Dort sagte man ihr von der Predigerschule in Wittenberq, einer neueren Ausbildungsstätte der Landeskirche. Heiner hatte sich zuerst an die Direktion in Gottshut gewendet, die aber damals kein Stipendium gewähren konnte. Er meldete sich in Wittenberg und erhielt sofort bejahende Antwort: Kostenlose Ausbildung dreieinhalb Jahre unter Verpflichtung zum kirchlichen Dienst in der ehemaligen Provinz Sachsen, meiner Kindheitsheimat. Das Programm der Schule erfüllte mich mit Freude: Wir wollen nicht halbe Theologen, sondern schlichte Prediger des Evangeliums ausbilden. Heiner ging freudig darauf ein, und er überließ dem Herrn die Versorgung seiner Familie, wozu mein bescheidenes Einkommen und meine Arbeitshilfe wesentlich beitrugen. Hilde bekam Arbeit und Verdienst bei der Erwerbshilfe, die Bischof Borchert aufgebaut hatte und die vielen Frauen geholfen hat. Die Kinder (ab Januar 1950 waren es drei, Erdmuthe war dazugekommen) konnten durch mich versorgt werden. Für Heiner hatten wir die Wäsche zu besorgen und ein Taschengeld aufzubringen. Es hat uns in den drei Jahren nie am Notwendigsten gemangelt. Geholfen haben die Gebetsdienst-Geschwister durch eine monatliche Sammlung bei lauter bescheidenen Einkünften.
Die Eltern haben sich also von Anfang an so verhalten, dachte Anna und war verblüfft, dass die große Sorglosigkeit, mit der ihre Eltern den Dingen des Alltags begegneten, nicht etwas war, was sich erst in den letzten Jahren ausgeprägt hatte. Sie überließen Gott und damit ihrer Umwelt nicht nur die großen Dinge, sondern oft auch die kleinen. In dem sie alle Sorge auf Ihn warfen, durften sie friedlich und aller Verantwortung ledig in den Tag hineinleben. Er war es, der gab, der nahm.
Im Mai 1953 bekam Heiner sein erstes Pfarramt in Syhlen im Mansfelder Raum. Wir lösten den elterlichen Haushalt auf, mit dessen Hausrat das große alte Pfarrhaus notdürftig eingerichtet werden konnte. Ich bekam ein Zimmer im Witwenhof und gemeinsame Küche mit einer sehr lieben Schwester. Ich hatte unsere Wohnung nach vielen Jahren zu räumen und richtete mich nun im Witwenhof ein, während Elli Heiland die zwei kleinen Mädchen, Mechthild und Erdmuthe, zu sich nach Kretzschmarsdorf einlud. - Mit den Enkelinnen reiste ich dann im August nach Syhlen, erlebte Heiners Einführung (Ordination erfolgte 1955) mit und den nicht ganz leichten Anfang. Die Einrichtung war notdürftig und das Einkommen gering. Das Pfarrhaus hatte ein großes Anwesen mit einer Art Park, großem Hof mit Ställen und Taubenschlag und Obstgärten. Diese erbrachten eine kaum zu bewältigende Pflaumenernte, mir unvergesslich. Al1e Kräfte waren angespannt. In diese Lage hinein kam ein Brief meines Jüngsten, Armin, in dem er mich aufforderte, sobald als möglich mit Besuchspass zu ihm zu kommen, weil ich jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit auf Erfolg meine Witwenpension beantragen konnte. Dies erschien mir als die Erhörung unserer Gebete um Durchhilfe und als neue Weisung für mich. Also Trennung vom geliebten Gottshut.
Ich hatte dort den Pass zu beantragen und vier Wochen darauf zu warten, Zeit zum Abschiednehmen und besonders auch vom DFMGB-Kreis, dem ich seit 1937 als Kreismutter dienen durfte.
Ich kam nach Rechtesheim zu