Ich nannte dich Kate. Nicole Beisel
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Читать онлайн книгу Ich nannte dich Kate - Nicole Beisel страница 6
"Du weißt, dass diese Daten innerhalb dieser vier Wände bleiben müssen. Sie sind streng vertraulich, aber wenn dir tatsächlich so viel daran liegt, werde ich versuchen, all deine Fragen so gut ich kann zu beantworten. Aber sei bitte nicht enttäuscht, wenn ich dir nicht allzu viel über sie sagen kann." Linda war bereits ganz aufgeregt und nickte eifrig. In diesem Augenblick wirkte sie wie ein kleines Kind, das versprach, ganz brav und artig zu sein, damit es sein Eis bekam. Tony setzte gerade zum Sprechen an, als Linda ihn in letzter Sekunde unterbrach. "Ähm, entschuldige bitte, Tony. Hättest du etwas zu Schreiben für mich?" Mit einem leichten Seufzer reichte er ihr Stift und Papier, damit Linda alle Informationen sorgfältig aufschreiben konnte und sie nichts vergaß.
"Also, wie du weißt, lautet ihr Name Fiona Jones. Sie ist 39 Jahre alt und ist im Mai 1974 in London geboren. Sie ist nicht verheiratet und hat keine Kinder." Plötzlich stockte Tony mit einem nachdenklichen Ausdruck in den Augen, die Augenbrauen eng zusammen gezogen, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, das ihm im Nachhinein womöglich ein wenig seltsam vorkam. Und so war es auch.
"Was ist? Sprich weiter." Auch Linda sah ihn nun fragend an. Tony war am Vorabend tatsächlich etwas aufgefallen, allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht näher darüber nachgedacht, schließlich war er mit seiner Arbeit beschäftigt und hatte für Verhaltensmerkmale keine Gedanken übrig. Aber war diese kleine Auffälligkeit nun tatsächlich so relevant? So wichtig, dass sie Erwähnung finden sollte in diesem Gespräch zwischen Arbeitskollegen, das doch mehr zu sein schien als nur das? Nun, für Linda war es das ganz sicher. "Mir fällt gerade ein, dass sie ein wenig zögerte als ich sie nach ihrem Familienstand fragte ehe sie mir sagte, sie habe keine Kinder. Es schien so, als hätte sie sich im ersten Moment verplappert. Die Frage nach Kindern hat sie nur zögerlich verneint. Wer weiß, was dieser armen Frau wiederfahren ist."
Linda ließ den Stift zügig über das Blatt Papier schweben und notierte alles, was ihr wichtig erschien. Tony fuhr fort.
"Sie hat eine Weile in einem Hotel in Frankreich gearbeitet, ist nun aber wieder nach England gezogen und benötigt ein Darlehen für ein Haus in Dover, das sie sich morgen ansehen möchte. Einen neuen Job hat sie hier bereits gefunden und auch sonst hat sie bisher einen gut bezahlten Job gehabt, um genügend Eigenkapital anzusparen. Zumindest sehe ich nichts, das gegen eine Darlehensbewilligung spricht." Linda musste aufpassen, dass sie die Worte trotz der Eile, für die ihre eigene innere Unruhe die Ursache war, trotz allem sorgfältig zu Papier brachte, damit sie ihre Notizen auch später noch entziffern konnte. Kopfschüttelnd beobachtete Tony den Stift, der in Windeseile über das Papier flog. Was wollte dieses Mädchen nur mit all den Informationen anfangen? Linda hielt inne und sah Tony zum wiederholten Male neugierig an. "Weißt du sonst noch was über sie?" Tony lachte und schüttelte den Kopf. "Nein. Es gäbe auch nichts, was ich sonst noch über sie wissen sollte. Wichtig ist ihre Bonität, die wichtigsten persönlichen Daten hat sie mir mitgeteilt. Ich kann sie ja schlecht ausfragen, außerdem hätte das auch gar keinen Sinn." Linda verstand und schob den Stift über den Tisch, ehe sie nur wenige Zentimeter von Tony entfernt die Finger vom Stift löste. Wie in Trance flogen ihre Hände zu dem Blatt Papier, das vor ihr lag, um es sorgfältig zu falten ehe es in ihrer rechten Hosentasche verschwand. Dann erhob sie sich mit heißen Wangen während sie noch immer versuchte, sich zu beruhigen.
"Ich danke dir, Tony. Ich danke dir wirklich. Du hast mir einen großen Gefallen getan." Mit Mühe und Not brachte sie ein ehrliches Lächeln zustande. Tony winkte ab, aber ermahnte sie auch. "Keine Ursache. Aber bitte sieh zu, dass dieser Zettel nicht in falsche Hände gerät." Linda versprach es und ging aus dem Zimmer, aus dem auch Fiona Jones am Abend zuvor heraustrat. Sie drehte sich noch einmal um und winkte ihrem Kollegen zum Abschied zu.
Auch wenn Linda nicht genau wusste, was sie nun mit all diesen Informationen anstellen sollte, so war sie doch dankbar für die Hilfsbereitschaft ihres Kollegen. Es gab ihr ein Gefühl von innerer Ruhe, eine Art Sicherheit, diesen Zettel in ihrer Hosentasche zu tragen. Nun würde sie erst einmal Feierabend machen und sich in ihr Auto setzen. Sie wusste auch schon, wohin sie nun fahren würde, denn genau das brauchte sie jetzt.
Der Hafen von Dover
Linda stieg aus ihrem Kleinwagen aus und lief mehrere Meter geradeaus. An einem bestimmten Punkt blieb sie stehen, den leichten Wind in ihren Haaren, die Arme zum Schutz fest umeinander geschlungen. So stand sie da und ließ ihre Gedanken weiter kreisen. Das taten sie sowieso schon den ganzen Tag, aber hier hatte Linda das Gefühl, ihren Gedanken mehr Freiheit geben zu können, einen größeren Raum, in dem ihre Überlegungen und Gefühle sich weiter ausbreiten konnten.
Auch wenn ihr Blick in diesem Moment leer schien, so bargen sie einen ganz besonderen Glanz. Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ das Wasser ihre Strahlen widerspiegeln. Das Wasser am Hafen von Dover glitzerte in Lindas Augen, blendete sie, ohne, dass sie selbst etwas davon bemerkte. Ihr Blick richtete sich auf die Fähre, die in wenigen Minuten ihre letzten Passagiere aufnahm, um sie nach Calais zu überführen. Langsam bewegte sich ihr Blick auf die berühmten weißen Klippen von Dover zu mit ihren Felsen so schön und rein, wie man sie sich kaum vorstellen kann. Ihre Augen ruhten wenige Minuten auf den Klippen, ehe ihre Augen weiterwanderten und sich im Horizont verloren. Linda kam gerne hierher, wenn sie etwas bedrückte oder wenn sie einfach nur alleine sein wollte. Oft dachte sie an ihre Eltern, die sie noch immer sehr vermisste. Würde sie ihnen von ihren Gedanken um die rätselhafte Frau erzählen, wenn sie noch leben würden? Vielleicht… immerhin hatte sie ihrer Großmutter davon erzählt, aber was Betty anging wusste sie, dass diese nicht locker ließ ehe sie wusste, was ihre Enkelin beschäftigte. Ob Linda ihrer Großmutter auch von den weiteren Informationen erzählen würde, die sie soeben von Tony erhalten hat, wusste sie in diesem Moment noch nicht. Darüber machte sie sich jetzt noch keine Gedanken.
Stattdessen dachte sie, wie so oft in den letzten Stunden, an diese schlanke, blonde Frau, die sie scheinbar grundlos faszinierte. Linda wandte den Blick vom Horizont ab und griff in ihre Hosentasche, um den Zettel hervor zu holen. Sachte entfaltete sie ihn, hielt ihn dabei gut fest, damit er nicht vom Wind davon geweht wurde. Linda murmelte leise vor sich hin ohne sich darum zu scheren, ob andere Spaziergänger oder Passagiere sie hören konnten. 39 Jahre alt, nicht verheiratet, keine Kinder. Keine Kinder, eine Antwort, die nur zögerlich kam, wie Tony anmerkte. Auch hier war Linda ratlos, denn sie war sich sicher, dass diese Anmerkung eine weitaus größere Bedeutung hatte, als man annehmen konnte.
Hatte Miss Jones vielleicht ein schlimmes Schicksal ereilt? Wer weiß, vielleicht hatte sie ein Kind verloren und hat den Verlust noch immer nicht ganz verkraftet? Aber Miss Jones sah gar nicht aus wie eine Frau, die etwas so schlimmes hätte hinter sich haben können. Im Gegenteil, sie wirkte sehr selbstsicher und mutig, war zumindest nach außen hin scheinbar stets um Haltung bemüht. Und doch hatte Linda das Gefühl, dass es etwas damit zu tun haben musste. Dass dieser Frau einst etwas Schreckliches zugestoßen sein musste, das Linda seltsamerweise zu spüren schien. Als hätte Linda hinter die Fassade dieser Frau blicken können um etwas zu erkennen, was sonst keiner sah und was vielleicht auch gar niemand sehen sollte. Wo dieses Gefühl herrührte, wusste Linda nicht, ebenso wenig wie sie wusste, wie sie herausfinden konnte, ob sie recht hatte.
Sie