Ich nannte dich Kate. Nicole Beisel

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Ich nannte dich Kate - Nicole Beisel

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beinahe an Stalking grenzen, und von einer solchen Dummheit war Linda weit entfernt. Tony sagte, sie wolle nach Dover ziehen und sich ein Haus anschauen um es im Anschluss zu kaufen. Vielleicht hatte Linda Glück und sie würde dieser Dame eines Tages wieder begegnen, womöglich wurde sie sogar treue Kundin ihrer Bank.

      Mit diesem leisen Hoffnungsschimmer und der Erkenntnis, dass all ihre Notizen sie nicht viel weiter gebracht hatten, faltete sie den Zettel sorgfältig wieder zusammen und steckte ihn zurück in die Hosentasche. Sie ließ ihren Blick ein letztes Mal über das Wasser schweifen, hinüber zu den weißen Klippen bis hin zum Horizont, ehe sie zu ihrem Auto zurücklief um nach Hause zu fahren. Grandma Betty würde sicher schon mit dem Essen auf sie warten, das wie so oft sehr reichhaltig ausfallen würde.

      Betty verließ Dr. Hayes' Arztpraxis mit leicht schmerzender Armbeuge und nicht weniger Sorgen als zuvor. Die Worte des Arztes waren ernst, auch wenn er sie noch so freundlich formuliert hatte. Eigentlich sagte er nur das, was viele Ärzte älteren Menschen sagen. Essen Sie weniger Fetthaltiges, lieber mehr Gemüse und Obst, hatte er gesagt. Und: Ich verstehe, dass Sie sich um Ihre Enkeltochter sorgen, aber versuchen Sie trotz allem, ruhig zu bleiben und ihre Sorgen nicht zu Ihren eigenen zu machen. Dr. Hayes schien keine Enkel zu haben, oder zumindest keine, um die er sich sorgen musste.

      Nun gut, ihre Ernährung konnte sie umstellen, aber Genaueres würden die Ergebnisse des Bluttests in der kommenden Woche ergeben. Betty nahm den Bus und stieg zwei Haltestellen früher aus als sonst, um noch schnell einen kleinen Einkauf zu erledigen. Eigentlich hatte sie genügend Lebensmittel zuhause, aber es waren wohl die falschen, wie sie nun glaubte. Sie würde ein wenig Putenfleisch holen und frischen Kohlrabi und Möhren. Sie wollte nicht allzu viel mitnehmen, da sie den restlichen Heimweg zu Fuß bewältigen wollte. Den wöchentlichen Großeinkauf machte sie für gewöhnlich gemeinsam mit ihrer Enkelin, was ebenfalls einfacher geworden war, seit sie ihren Führerschein hatte sowie ein kleines Auto, das Betty ihr geschenkt hatte. Immerhin hatten sie beide etwas davon.

      Betty lief die Regale ab und hielt die Augen nach gesunden Sachen offen, als ihr plötzlich jemand von hinten auf die Schulter tippte. Verwundert drehte sie sich um und blickte in das Gesicht ihrer Nachbarin Josefine Blake.

      "Oh, hallo Josefine. Wie geht es dir?" "Danke, sehr gut. Dachte ich mir doch, dass ich richtig gesehen habe. Es gibt Neuigkeiten." Vor Neuigkeiten war Betty nirgends sicher, weder im Supermarkt noch in der Nähe ihrer Nachbarn, und in diesem Fall trafen beide Situationen im gleichen Augenblick aufeinander.

      Josefine und ihr Mann Thomas wohnten seit vielen Jahren im Haus nebenan. Sie waren beide schon etwas älter, etwa Ende sechzig und hatten zwei Söhne, die mittlerweile selbst schon lange erwachsen waren und ihre eigenen Familien gegründet hatten. Seit einigen Jahren lebten Josefine und Thomas alleine in diesem großen, aber sehr hübschen Haus, das stets in Schuss gehalten wurde. Das Verhältnis zwischen ihnen und Betty sowie ihrer Familie war stets gut gewesen, wenn auch nicht allzu eng. Sie wechselten ein paar Sätze, wenn sie zufällig zur gleichen Zeit in ihren Gärten waren oder hielten einen kurzen Plausch im Supermarkt, um den aktuellen Klatsch und Tratsch genauer unter die Lupe zu nehmen. Diesmal ging es allerdings tatsächlich um Neuigkeiten von etwas größerer Bedeutung.

      Neuigkeiten, die Betty Linda zu Hause mitteilen würde, wenn sie gemeinsam beim Essen saßen. Neuigkeiten, die mehr veränderten, als Betty in diesem Augenblick vermutet hätte…

      Haus zu verkaufen

      Kaum hatte Linda die schwere Haustür geöffnet, wehte auch schon ein leckerer und leicht würziger Geruch durch die Diele. Es roch lecker, aber irgendwie anders als sonst. Linda legte ihre Schlüssel auf der Kommode ab, streifte sich die Tasche von der Schulter und lief auf direktem Weg in die Küche, wo Betty gerade den Tisch deckte. "Hallo, Schätzchen. Du kommst aber spät heute." Das Essen stand fertig auf dem Herd, verteilt auf mehrere Kochtöpfe.

      Linda dachte zurück an ihr Gespräch mit Tony, an den Zettel in ihrer Hosentasche und an ihren kurzen Ausflug zum Hafen. Noch würde sie all das für sich behalten. "Ja, heute war mehr los als sonst, ich wollte noch schnell etwas fertig machen." Betty versuchte einen Hauch von Unsicherheit oder Ratlosigkeit in Lindas Augen zu lesen, konnte aber nichts dergleichen erkennen. Vielleicht hatte sie diese seltsame Frau, die sie gestern noch so sehr beschäftigt hatte, schon längst wieder vergessen. Betty hoffte es, denn so hatte auch sie eine Sorge weniger und konnte einmal mehr den Rat ihres Arztes befolgen.

      "Was ist das?" Linda spähte verstohlen in die Kochtöpfe hinein und wirkte beinahe etwas enttäuscht. Betty hatte eine solche Reaktion bereits erwartet, musste aber vorsichtig sein, was ihre Antwort betraf, denn von ihrem Arztbesuch wollte sie noch nicht erzählen. "Das ist Gemüse und Putenfleisch. Karotten, Erbsen, Kohlrabi und eine leichte Soße dazu, allerdings ohne Sahne." Betty wartete die Antwort ihrer Enkeltochter ab, die sicherlich in Form einer weiteren Frage ausgesprochen wurde. Und sie behielt recht. "Warum?" Mehr wusste Linda nicht dazu zu sagen. Betty war innerlich ein wenig unsicher, beinahe verlegen, aber Linda schien nicht zu bemerken, dass ihre Großmutter versuchte, ihr etwas zu verheimlichen. "Einfach so. Ich dachte, wir könnten auch mal etwas leichteres und gesünderes essen. Hast du etwas dagegen?" Linda schüttelte den Kopf. "Nein, warum auch. Du machst das schon richtig, Grandma."

      Als müsste Linda für ihre Großmutter sorgen und nicht umgekehrt, tätschelte Linda ihr sachte die Schulter, wusch sich die Hände und nahm am gedeckten Tisch Platz. Betty belud zwei Teller mit mittelgroßen Portionen, reichte ein Stück Vollkornbaguette dazu und nahm ebenfalls Platz.

      Betty wusste an diesen Mittag nicht, worüber sie mit Linda hätte sprechen können. Ihr Besuch bei Dr. Hayes am Morgen sollte vorerst noch geheim bleiben und nach Lindas Gedanken um die Dame vom Vorabend wollte Betty nicht fragen weil sie befürchtete, schlafende Hunde zu wecken, indem sie Linda wieder an diese Frau erinnerte. Doch dann fiel ihr ein interessantes Gesprächsthema ein.

      "Ich habe heute Josefine von nebenan getroffen. Wusstest du, dass sie ihr Haus verkaufen?" Es dauerte eine Sekunde, bis Linda begriff, was ihre Großmutter ihr gerade erzählte und hatte Mühe, den Bissen hinunter zu schlucken und ihn vollständig ihren Hals hinunter rutschen zu lassen. Linda überlegte einen Moment, was diese Information bedeuten könnte. Die Blakes zogen weg. Womöglich zog bald jemand neues ein. Ein Haus, das leer stand, hier in Dover,… Betty ignorierte die zusammen gezogenen Augenbrauen ihrer Enkelin und sprach weiter. "Schon morgen soll jemand vorbei kommen und sich das Haus anschauen. Die Blakes haben schon eine neue Wohnung in Aussicht und warten nur darauf, ihr Haus so schnell wie möglich verkaufen zu können. Kannst du das glauben? In Kürze werden wir vielleicht schon neue Nachbarn haben."

      Lindas Stirn legte sich immer weiter in tiefe Falten, während sie versuchte, ihrer Großmutter gegenüber eher unbeeindruckt zu wirken, was ihr jedoch nicht ganz gelang. "Was schaust du denn so, Liebes? Schmeckt es dir nicht?" Linda sah ihre Großmutter kurz an, schaute jedoch gleich wieder auf ihren Teller, von dem sie artig weiter aß, während sie im Stillen noch immer grübelte. "Doch, doch. Es ist wunderbar, Grandma. Danke. Das solltest du öfter kochen."

      Ein leer stehendes Haus in Dover. Schon morgen soll ein Interessent vorbei kommen. Wollte Miss Jones sich nicht morgen ein Haus anschauen? Linda wollte instinktiv in ihre rechte Hosentaschen greifen, konnte sich jedoch im letzten Moment zusammenreißen. Der Zettel sollte ihr Geheimnis bleiben, nicht nur wegen der vertraulichen Daten. War es möglich, dass sie morgen schon diese seltsame Frau wiedersah? Linda versuchte, sich wieder zu beruhigen. Schließlich gab es sicherlich viele Leute, die sich samstags ein Haus anschauten, das sie vielleicht auch kaufen wollten. Linda wollte gerne an einen Zufall glauben, wollte sich aber auch keine falschen Hoffnungen machen. Sie wollte sich nicht in ein Hirngespinst verrennen, das sie hinterher enttäuschen konnte, auch wenn sie nicht wusste, welchen Grund es für eine Enttäuschung hätte geben sollen. Linda wurde das Gefühl nicht los, dass es mehr

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