Die Schule auf dem Baum. Gunter Preuß

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Die Schule auf dem Baum - Gunter Preuß

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Zeit, das auch mich überdauern würde, und jeden Morgen aufs Neue ließ sie mich klein und zerbrechlich fühlen.

      Mir fiel Kastunke ein, der zu unserer Zeit Hausmeister an der Hochschule war und das ewige Leben zu haben schien, und nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen, er rauchte Zigarren und spuckte alle paar Schritte aus, trug im Kohlenkeller wie in der Aula zu Feierstunden seine speckige Pudelmütze, und er erzählte den Studenten gern vom Krieg, wo es gerecht zugegangen sei und Ordnung geherrscht habe, er sagte, damals hätten wir unsere Schlampigkeit mit dem Leben bezahlen müssen. Dozenten und Studenten sahen in ihm ein Fossil, man entschuldigte ihm alles, er wurde ja gebraucht, uns den Dreck nachzuräumen. In Prüfungszeiten saßen wir gern im Heizungskeller, tranken Bohnenkaffee, rauchten und sahen Kastunke bei irgendeiner Arbeit zu, wie er einen Stuhl leimte oder einer Tischlampe das Kabel auswechselte. Ich mochte den Alten nicht, ich fand ihn ungewaschen, er roch, seine Sachen waren alt und schmutzig, auf seinem Tisch standen trotz des Kohlendrecks Fotografien, gerahmt, hinter sauberem Glas, vergilbt zwar, aber noch gut erkenntlich; sie zeigten Gruppenbilder von lachenden jungen Soldaten und immer wieder einen uniformierten jungen Mann, der eine junge Frau im Arm hält, er kerzengerade, den Blick sieghaft in die Ferne gerichtet, sie an ihn gelehnt und zu ihm aufschauend wie zum lieben Gott. Für mich war Kastunke ein Faschist, nicht aus der Welt zu bringen, und ich schob ihm alle Schuld an den Verbrechen des Krieges zu. Aber in diesen Stunden im Keller, in meiner Prüfungsangst, gab der Alte mir das Gefühl von Geborgenheit. Ich wehrte mich dagegen, aber nur schwach und um mein Gewissen zu beruhigen. Schnell gab ich der angenehmen Wärme nach, ließ mich gefangen nehmen von dem engen niedrigen Raum, vom leisen Zischen im Gewirr der Rohre, dem dämmrigen Licht und dem Alten selbst, wie er so dasaß, im blauen Kittel, eine Zigarre paffend, schniefend, die Brille auf die Stirn geschoben, mit Zange und Schraubenzieher an irgendeinem elektrischen Teil bastelnd.

      Was will ich eigentlich damit sagen, was hat das mit dem alten Hausmann und Hans Schorn zu tun? Plötzlich erinnere ich mich und ich finde Bilder und Worte wieder, die mich verwirren. Sie sind alle wieder da, meine Lehrer, der Grützner, die Palluschke, die Gruse, der Schindler und der Kastunke, und wer weiß, wer da noch auftaucht mit seinen Sprüchen und Eigenheiten, was fange ich mit ihnen an? Und was eigentlich beunruhigt mich? Was steckt dahinter? Wie kann ein Junge auf einem Baum mich so aus der Bahn werfen? In meinem ganzen Leben war ich nicht so durcheinander.

      Ich fühlte, mein drittes Auge bemerkte es, da war etwas in mich gekommen und arbeitete, wie ein Tier nagte es, fraß, spuckte aus, ruhte und bewegte sich, griff an und riss aus, und, ich täusche mich nicht, es lachte, ja, es lacht noch immer.

      Ich wusste, die Sache ist nicht ausgestanden, sie geht weiter, da passiert noch mehr, was?

      Da sitzt doch der Junge wieder auf dem Baum, Hans Schorn auf der alten Kastanie, mitten auf dem Hof der neuen Schule, vor aller Welt Augen.

      Mir war, als hätte ich das selbst herbeigerufen, wie unter einem fremden Zwang.

      Wieder fühlte ich mich allein, hilflos und verlacht, wieder schreie ich: "Wenn du nicht augenblicklich heruntersteigst ...! Du wirst was erleben!"

      Der Junge da oben rührt sich nicht, er ist weit weg, er hat keine Verbindung mit mir, ich kann ihn nicht erreichen, der Baum trägt und schützt ihn. Und dann wippt der Junge im Wipfel, ein sanftes Auf und Ab, ein Schaukeln, ein Wiegen, wie Musik, ruhig, gleitend, über den Schulhof hinweg in die Ferne ziehend.

      "Aber dann...!", rufe ich, der Schulhof ist eng, er umklammert mich, dahinter die Stadt, Häuser, Straßen, Steine, überall Steine.

      "Wenn du jetzt nicht sofort ..."!

      Mir kommen die Tränen, was weiß ich warum. Nur weg, ich renne, vorbei an Hausmann, dem ich etwas zurufe, dann bin ich in meinem Zimmer und lasse mir kaltes Wasser über die Handgelenke laufen.

      Du wirst verrückt, sagte ich mir, du bist verrückt, so geht das nicht weiter, was ist los mit dir, willst du aufgeben, aber warum und was dann. "Härte", sagte der Dekan in all seinen Reden vor versammelter Mannschaft, "Unnachgiebigkeit gegen uns selbst. Von unseren Gefühlen her sind wir Tiere. An unserem Verstand ist es, uns als Menschen zu erweisen durch ein kluges, der Gemeinschaft nützliches Ordnen und Beherrschen unserer Gefühle."

      Es klopfte an meine Tür, wie lange schon, ich rief: "Moment noch!", rieb mit dem Handtuch über mein Gesicht und setzte mich hinter den Schreibtisch.

      "Bitte!"

      Der alte Hausmann trat ein, sein Gesicht gerötet, seine Haare in Unordnung, den Binder aufgezogen, die obersten Hemdknöpfe geöffnet, und sein Gesicht zeigte das Lachen, das ich in mir gehört hatte, das Lachen eines Kindes, das etwas Verbotenes tun wird und dem weder mit Lob noch Drohung beizukommen ist.

      Härte, Unnachgiebigkeit, denke ich, Beherrschen der Gefühle, und drücke meine Empörung aus, kanzle ab, wehre mich nicht gegen das Tier in mir, nicht gegen sein Schmeicheln und nicht gegen seine Bisse.

      "Das muss aufhören, Kollege Hausmann, ein für alle Mal! Verstehen wir uns recht!"

      Da sagt doch der Alte, das musst du dir vorstellen, Sonja, da sagte er: "Tja. Vielleicht sollten wir den Baum fällen."

      Und wieder lacht er aus seinem Bauch heraus und hält sich wie ein Schuljunge die welke Hand vor den Mund.

      Und was mache ich, ich biete ihm Platz an, er setzt sich leise stöhnend. Und mir rutscht doch die Frage, gegen die ich mich gewehrt habe, heraus: "Warum steigt der Junge auf den Baum? Was will er denn da oben?"

      Hausmann antwortet nicht. Ich spüre seine Unruhe, sie erreicht mich wie eine warme Welle, die mich entspannt, ich werde mir meines Alters bewusst, ich bin noch jung, und ich habe den Geschmack von Himbeereis auf der Zunge, mir ist, als dringe Seewind durch das geschlossene Fenster.

      Der alte Mann sitzt keine zwei Meter von mir entfernt, zwischen uns ist der Schreibtisch, und in diesem Augenblick fühle ich mich dem Alten verwandt wie noch nie einem Menschen, ich möchte ihn berühren, ich strecke einen Arm aus, reiche ihm meine Hand, und er gibt mir seine Hand.

      Hinter dem Fenster steht der Baum, und der Junge sitzt darauf.

      "Verrückt soll doch nur heißen: Schön", sagt der alte Hausmann. "Lebendig. Sie verstehen doch?"

      "Aber", sage ich, und immer wieder "Aber", es wird immer lauter und kraftvoller, es wirft mich nieder und richtet mich wieder auf, ich werde hart, ziehe meine Hand zurück, vor mir, weit weg steht der alte Hausmann und spricht beruhigend auf mich ein; dann bin ich allein und schreie aus dem Fenster: "Wenn du nicht sofort...!"

      Vor meinem Zimmer war Lärm, die Tür wurde aufgerissen, zwei Mädchen aus einer unteren Klasse kamen hereingerannt, sie hielten sich an den Haaren gepackt und plapperten los, dann aber sahen sie mich an, ließen voneinander ab und wollten platzen vor Lachen. Im Taschenspiegel sah ich ein Clownsgesicht, die Schminke war verwischt, die Haare züngelten wie kleine Flammen vom Kopf ab, und als ich lachte, endlich lachte, schauten die beiden mich böse an und rannten nach draußen.

      Verrückt ein Synonym für schön, ich habe es nicht gewusst.

      Hast du etwa Professor Hocke vergessen, Vaterunser, erinnere Dich, wir nannten ihn auch Stellvertreter, weil er in allen möglichen Funktionen der zweite Mann war, also Hocke sprach mit salbungsvoller Stimme zu uns, er liebte es, seine Gedanken in Bilder zu bringen, und ich bin sicher, dass er liebend gern Pfarrer gewesen wäre und Sonntagspredigten gehalten hätte. Er selbst nannte sich gern einen Logiker. Beim Durchblättern meiner Hefter habe ich ein paar Tipps von ihm gefunden, die er gern vergab, wobei er einen streng anschaute, ob die von ihm verabreichte Medizin auch eingenommen wurde und vielleicht

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