Schattenchance. Maya Shepherd
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Er blickte zu mir wie ein treudoofer Dackel empor. Es schien funktioniert zu haben. Zufrieden lächelte ich und senkte meine Lippen auf seine. Ohne zu zögern erwiderte er den Kuss. Seine Wut verwandelte sich in pure Leidenschaft. Seine Finger strichen über meinen nackten Rücken. Atemlos zog ich mich von ihm zurück. „Erwartest du immer noch eine Entschuldigung?“, presste ich hervor.
Verwirrt sah er mich an. „Wofür solltest du dich entschuldigen?“
Es hatte funktioniert! Ich brauchte nicht Rhona, um mir etwas beizubringen. Ich konnte es ganz alleine! „Dafür, dass ich dich vom Lernen abhalte“, säuselte ich und begann, an seinem Ohr zu knabbern. Er knurrte vor Lust, packte mich am Hintern und warf mich schwungvoll auf sein Bett. Besser hätte es gar nicht laufen können.
„Jeder braucht mal eine Pause“, behauptete er grinsend und zog sich das Shirt vom Kopf, sodass sein gut trainierter Körper zum Vorschein kam. Liam Dearing war ein heißer Lehrer, aber niemand kam gegen Lucas an. Vielleicht konnte ich ihn deshalb einfach nicht freigeben.
„Meine Pausen verbringe ich am liebsten mit dir“, raunte Lucas, bevor er mich mit einer Intensität küsste, die mich alles andere vergessen ließ.
6. Winter
Seit einer geschlagenen Stunde schlief Dairine friedlich in ihrem Bett, während ich mir verzweifelt überlegte, wie ich ihr so schonend wie möglich die Wahrheit beibringen konnte und am besten so, dass sie mir auch noch glaubte. Ich hatte es schon die ganze Zeit gewollt, aber immer wieder aus Angst vor ihrer Zurückweisung aufgeschoben. Nun wäre ihr beinahe etwas Schreckliches angetan worden, nur weil sie ahnungslos in ein Haus voller Schattenwandler getappt war. Wenn ich ihr schon früher alles erzählt hätte, wäre sie niemals mit ihrem Vater zu der Einweihungsfeier gegangen. Sie hätte auch ihn davon abgehalten.
Sie drehte sich von der Wand zu mir herum. Noch waren ihre Augen geschlossen, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie aufwachen würde. Was würde ich denken, wenn sie mir so eine verrückte Geschichte erzählen würde? Würde ich ihr glauben? Konnte ich etwas glauben, an das ich mich nicht erinnern konnte und für das es keinerlei Beweise gab? Es war schwierig.
Ich ging vor ihrem Bett auf die Knie und betrachtete eindringlich ihr Gesicht. Sie war mir inzwischen so vertraut, dass ich den Gedanken, sie zu verlieren, kaum ertragen konnte. Zuerst waren wir nur eine Zweckgemeinschaft gewesen, dann war Freundschaft daraus geworden und die Geheimnisse rund um die Schattenwandler hatten uns endgültig aneinander geschweißt. Meist verstand sie mich besser als jeder andere und selbst wenn nicht, hielt sie trotzdem zu mir.
Urplötzlich schlug sie die Augen auf. Erschrocken wich ich zurück und fühlte mich ertappt, obwohl ich nichts verbrochen hatte. Mein Herzschlag beschleunigte sich.
„Was machst du da?“, fragte sie verständnislos und stützte sich auf ihrem Ellbogen ab. „Hast du mich etwa beim Schlafen beobachtet?“
„Nein“, gab ich sofort zurück. „Ich …“
„Du?“
„Doch, habe ich, aber …“ Mir fehlten die Worte.
„Aber?“, echote sie und musterte mich schon jetzt, als hätte ich den Verstand verloren. Sie strich sich ihr Haar hinters Ohr. „Hör mal, es ist völlig ok, wenn du auf mich stehst“, sagte sie todernst. Als sie meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, brach sie jedoch in Gelächter aus.
Ich atmete erleichtert auf und wusste immer noch nicht, wie ich anfangen sollte.
Sie setzte sich auf und drehte sich verwirrt zum Fenster herum. „Was für ein Tag ist heute überhaupt?“
„Sonntag.“
Auch meine Antwort schien ihr nicht weiterzuhelfen. „Waren wir verabredet und ich bin einfach eingeschlafen?“
Scheinbar erinnerte sie sich nicht einmal mehr daran, überhaupt zu ihren neuen Nachbarn gegangen zu sein. Ihre Erinnerung an die vergangenen Stunden war wie ausradiert.
„Nein, ich habe dich eher zufällig bei der Einweihungsfeier getroffen“, antwortete ich ihr. Ihre Verwirrtheit nahm noch weiter zu und sie runzelte die Stirn. „Ich war nebenan?“
Zumindest schien sie sich noch daran zu erinnern, eingeladen worden zu sein. Sie schlug die Bettdecke zurück und wollte aufstehen, doch ich hielt es für besser, wenn sie sitzen blieb. Deshalb ließ ich mich neben ihr nieder und legte meine Hand auf ihre.
„Dir ging es nicht gut.“
Irritiert sah sie von meiner Hand auf ihrer zu meinem Gesicht. „Was hatte ich denn?“
Als ich nicht sofort etwas sagte, beschlich sie ein mulmiges Gefühl. „Winter, jetzt sag schon! Was war los? Ich kann mich an überhaupt nichts mehr erinnern.“ Ich konnte ihr ansehen, dass sie verzweifelt versuchte, eine Erinnerung heraufzubeschwören.
„Dairine, was ich dir jetzt erzähle, hört sich total verrückt an und wahrscheinlich wirst du mir kein Wort glauben, aber ich schwöre dir, es ist die Wahrheit.“
Ihre Augen weiteten sich und bereits jetzt starrte sie mich voller Unglauben an. „Du machst mir Angst!“
„Du solltest auch Angst haben, denn eure neuen Nachbarn sind wirklich gefährlich. Es sind nicht nur Schattenwandler, sondern auch noch Fomori. Charles Crawford ist ihr Oberhaupt und er ist unsterblich, weil er seinen eigenen Sohn in einem Ritual geopfert hat.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Woher weißt du das? Von Eliza?“ Ich konnte nicht sagen, ob sie mir glaubte. Vielleicht wusste sie es selbst noch nicht so genau.
„Nein, ich weiß es, weil ich dabei war, als er versucht hat, dasselbe mit Eliza zu machen.“
Dairine schüttelte verständnislos den Kopf. „Was?“
Ich drückte ihre Hand etwas fester, um sie spüren zu lassen, wie wichtig mir das war und dass es definitiv kein Scherz war. „Du warst auch dabei, aber du kannst dich nicht daran erinnern. Genauso wenig wie Eliza und jeder andere, der dabei war. Mit Ausnahme von Evan und mir. Er ist ein Zeitmaler.“
Sie verstand kein Wort.
„Zusammen haben wir einen Punkt in der Vergangenheit neu gemalt und dadurch hat sich alles verändert. Menschen, die unsere Freunde waren, kennen uns nicht einmal mehr.“
Sie starrte mich an, ohne irgendetwas zu sagen oder auch nur eine Miene zu verziehen, fast als würde sie darauf warten, dass ich zu lachen begann und sagte, dass dies alles nur ein Scherz sei. Als es gegen ihre Zimmertür klopfte, zuckten wir beide erschrocken zusammen.
Eine Frau mittleren Alters steckte den Kopf zur Tür herein. Sie trug ihr langes braunes Haar zu vielen schmalen Zöpfen geflochten. Ihre Haut war gebräunt, umso auffälliger stachen daraus ihre eisblauen Augen hervor.
„Mum!“, kreischte Dairine aufgeregt und fiel der Frau um den Hals.