Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1. Carl Wilckens

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Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1 - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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mir einen Moment«, antwortete sie.

      Mehrere Minuten vergingen in qualvoller Stille. Schließlich wandte sich die Marionette zu mir um.

      »Du musst nach Vision gehen«, sagte sie tonlos. »Du findest die Rose in einer Höhle, die Iduns Herz genannt wird.«

      »Vision? Wo ist das?« Die Marionette schwieg. »Antworte mir!« Doch die Gestalt verharrte leblos, während die Fliegen sich in großer Zahl über die Körperflüssigkeiten hermachten, die aus ihren unzähligen Schnitt- und Platzwunden liefen. Der Anblick verursachte mir Übelkeit. Ich gab dem Wunsch nach, Raum 21 zu entkommen, und floh nach draußen. Zurück in meiner und Eds Wohnung leerte ich die Flasche dannischen Whiskys und schlief an unserem Esstisch ein.

      Es ist meine Schuld, Emily. Ich habe Ed in den Keller der Universität geführt. Ich redete mir ein, dass von M-Punkt keine Gefahr für ihn ausginge – dass nötig war, dass ich ihn töte, um dich wiederzubeleben. Ich habe sein Leben aufs Spiel gesetzt, bloß um das Wissen um übernatürliche Dinge zu teilen. Dabei hätte ich jeden anderen bitten können, mich dorthin zu begleiten … Oliver, Scott, Malcolm oder Clive …

      Ich bin am Ende. Es tut mir so leid. Ich konnte deinen Tod nicht akzeptieren und habe alles nur schlimmer gemacht. Nun bin ich allein. Du und Ed, die beiden Menschen, die mir am nächsten standen, sind tot. Und jeder andere Mensch in Treedsgow lebt in einer anderen Welt – eine, die so normal und sorglos ist wie mein altes Leben.

      W. D. Walker

      Im Verwunschenen Tal

      Regenrauschen und das Murmeln der Schrumpfköpfe füllten die Stille. Das Licht zahlreicher Kerzen warf tanzende Schatten an die Wände, aus denen Regalbretter wie Baumpilze ragten. Die Temperatur war mit Einbruch der Nacht gesunken, doch im Inneren der Hütte des Marionettenmannes war es behaglich warm.

      Während William auf die Marionette einschlug, beobachtete der Marionettenmann ihn durch seinen Kessel wie durch ein rundes Fenster in der Decke von Raum 21. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und seufzte erschöpft, während er mit der anderen das Spielkreuz hielt. Nachdem William verkündet hatte, dass er ihm nicht länger helfen würde, hatte der Marionettenmann eine schreckliche Stunde lang geglaubt, Emily aufgeben zu müssen. Doch dann war William mit Ed zurückgekehrt. Dass er ihn ins offene Messer hatte laufen lassen, war letzten Endes genauso gut, als wenn er durch seine Hand gestorben wäre. Vermutlich hatte William seinen Freund bloß deshalb zu seiner Marionette gebracht, damit sie tat, wozu er nicht imstande gewesen war. Wenn er nun schrie und heulte, dann nur, weil er versuchte, sich selbst etwas vorzumachen.

      Schließlich ging der Student vor seinem toten Freund auf die Knie. Sein Klagen war zu einem Wimmern abgeflaut. Der Marionettenmann nutzte die Gelegenheit und ließ das Spielkreuz tanzen.

      »Du kannst mich hassen, wenn du willst«, sagte die Marionette. »Aber lass den Tod deines Freundes nicht umsonst gewesen sein. Hilf mir, Emily wiederzubeleben.« William hob den Blick. Seine Augen waren rot umrandet. Es war nicht das erste Mal, dass der Marionettenmann diesen Ausdruck in dem Blick von jemandem sah: Flammen des Hasses loderten darin, genährt von großem Schmerz.

      »Das werde ich«, sagte er. »Aber danach werde ich dich finden, M-Punkt, und den Tod meines Freundes rächen.« Der Marionettenmann musste an sich halten, um das spöttische Lachen, das ihm über die Lippen kam, nicht auf die Marionette zu übertragen. So tonlos es aus ihrem Mund geklungen hätte, es hätte William vermutlich blind vor Wut gemacht.

      William, William. Du hast ja keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast.

      »Ich werde den Toten beseitigen«, ließ er die Marionette schließlich sagen. Sie packte Ed am Handgelenk, hob ihn hoch und ließ ihn in der Truhe neben der zugemauerten Eingangstür verschwinden, nicht ohne zuvor ein wenig von seinem Blut Williams Kessel hinzuzufügen. Nur zur Sicherheit würde er die Aura der Truhe löschen. Das hätte er längst tun sollen. Dieser Schnüffler Lovelace und seine rechte Hand Harper suchten bereits nach Hinweisen auf den Verbleib des Mannes, den der Marionettenmann zu seiner jüngsten Puppe gemacht hatte. Für gewöhnlich ließ er den Zugriff nur so lange währen, dass seine Opfer allenfalls einen geistigen Schaden davontrugen. Für die Zusammenarbeit mit William jedoch hatte er seine Marionette nicht ständig wechseln wollen und dafür eine seiner wertvollsten Zutaten geopfert: die Essenz eines Windgeistes, jene Sorte von Naturgeistern, mit denen seit den Druiden des antiken Normar kaum jemand in Kontakt getreten war. Der ständige Zugriff hatte den Mann nicht nur den Verstand gekostet, sondern auch das Leben. Der Marionettenmann tat sein Bestes, um den Verwesungsprozess aufzuhalten, doch es erwies sich als genauso schwer, wie dem Alterungsprozess eines Lebenden Einhalt zu gebieten; zumal er nicht die gleichen Maßnahmen wie bei Emily treffen konnte. Eingefroren und sich die Kontrolle mit einem Folkloren teilend, hätte er die Marionette nicht lenken können.

      »Was ist nun zu tun?«, fragte William, während der Marionettenmann seinen Kesselinhalt studierte wie ein Maler sein Gemälde, an dem er seit langer Zeit arbeitete. »Wo finde ich die Lotinsrose?«

      »Gib mir einen Moment.« Der Marionettenmann hing das Spielkreuz über ein galgenähnliches Gestell, das er am Kesselrand angebracht hatte. Er trat vor seinen Zutatenschrank, öffnete ihn und holte eine unscheinbare Schachtel daraus hervor. Darin befanden sich Gegenstände, die der Wurmgott ihm überlassen hatte, um seine Aufgabe zu erledigen: Steine, in die besondere Enerphagen mithilfe der dunklen Runen gebannt worden waren. Sie ermöglichten einem, die Runenmatrix zu manipulieren. Der Wurmgott würde ihm die Haut abziehen, wenn er je wieder hier aufkreuzte. Allerdings glaubte der Marionettenmann, dass er es sich längst so sehr mit ihm verscherzt hatte, dass es schlimmer nicht würde kommen können. Er hatte einige Maßnahmen getroffen, um sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Alles, was er jetzt noch tun konnte, war, Emily ins Leben zurückzuholen, bevor er für seinen Ungehorsam bezahlte.

      Der Marionettenmann nahm einen der Steine aus der Schachtel, außerdem mehrere Gläser mit aufbereiteten Zutaten aus dem Schrank und kehrte damit zum Kessel zurück. Nach nur kurzer Zeit hatte er die Runen in der Aura der Truhe wie Falten aus einem Hemd gebügelt. Wer die Welt durch irdische Augen sah, würde sie nun einfach übersehen. Sollte doch jemand auf sie aufmerksam werden, würde die Person sie bald wieder vergessen. Um ganz sicherzugehen, wollte der Marionettenmann sie zudem versiegeln.

      »Hey, Harry«, rief er, ohne vom Kessel aufzublicken. »Warst du nicht mal Schlüsselmacher?«

      »Der Beste«, erwiderte der Schrumpfkopf namens Harry stolz – ein besonders großes Exemplar mit Vollbart. »Ich brachte einst im Auftrag der Königin die Schlösser des Silverrust Palace auf den neuesten Standard.«

      »Perfekt«, entgegnete der Marionettenmann, nahm den Kopf aus dem Regal und warf ihn in seinen Kessel, ehe Harry auch nur eine erschrockene Miene ziehen konnte. Nach nur wenigen Handgriffen war es vollbracht.

      Nun galt es, den Spiegel zu fragen, wo die Lotinsrose gewachsen war. Mit klopfendem Herzen trat der Marionettenmann vor das runde Glas. Statt seines eigenen Spiegelbildes zeigte es eine Stadt, die wie ein steinerner Wald an einem Gebirgsstock wuchs. Mit unzähligen Türmen und Gärten glich sie keiner Stadt, die der Marionettenmann je gesehen hatte. Schiffe, aus deren Rümpfen Flügel ragten, schwebten über den Dächern. Das Bild im Spiegel bewegte sich, als zeigte es die Welt durch die Augen eines Vogels, der über der Stadt flog. Er hielt auf die Öffnung eines Tunnels im Gebirgsstock zu und folgte seinem Verlauf bis in eine kugelrunde Höhle. In ihrem Zentrum schwebte eine Sonne, die langsam pulsierte wie das Herz eines schlafenden Berges. An den Höhlenwänden wuchsen einzigartige Pflanzen, deren Namen nicht einmal der Marionettenmann kannte. Und dort, neben einem kaktusähnlichen Gewächs mit Fühlern statt Dornen, war eine Rose mit schwarzen Blütenblättern: die Lotinsrose.

      »Was

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