Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1. Carl Wilckens

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Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1 - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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dem auch sei«, sagte der Izzianer, sobald ihm klar wurde, dass er von mir nichts weiter erfahren würde. »Wenn du mich brauchst, ich habe ein Zimmer im Kepler.«

      Während der folgenden Viertel stiegen Rocío und ich regelmäßig in die Bibliothek hinab und suchten zwischen den turmhohen Bücherregalen nach geeigneter Literatur, um daran die segovianische Runenschrift zu studieren – eine derart komplexe Aufgabe, dass in unseren Köpfen nicht viel Raum für andere Dinge blieb. Selbst einfache Texte forderten uns unsere gesamte geistige Anstrengung ab, während wir täglich mehrere Stunden in Waterstones Wohnzimmer darum kämpften, ihre Bedeutung zu verstehen, und literweise Kaffee in uns hineinschütteten. Die Schriftzeichen ließen sich sowohl zu Texten als auch zu Formeln zusammensetzen. Es existierten viele Wörter, für die es keine Übersetzung gab. Häufig bezeichneten sie solche Dinge, die abstrakte Naturereignisse beschrieben wie zum Beispiel den Geruch, der nach einem Sommerregen in der Luft liegt, oder das Sonnenlicht an einem Herbstnachmittag. Sie mochten auf den ersten Blick belanglos erscheinen, doch hatten die Segovia eine Vorliebe dafür gehabt, selbst in wissenschaftlichen Texten in Metaphern zu sprechen. Im Gegensatz zu den heutigen Gelehrten, die stets versuchen, so präzise wie möglich zu formulieren, strebten die Segovia danach, die Diskrepanzen in der Wahrnehmung eines jeden Menschen durch die richtigen Sinnbilder auszugleichen.

      Als ob das nicht genug war, gab es spezielle Verbformen für je positive und negative Emotionen, die einen Satz begleiteten. Die Autoren der Antike empfanden es offenbar als bedeutsam, ihre Gefühle in einer Sache mitzuteilen.

      »Nach meinen Informationen sprachen die Menschen in der Antike in Dustrien Numiumisch und verwendeten guntrische Buchstaben«, bemerkte Waterstone bei Gelegenheit. »Erst, als das Zeitalter der Segovia kam, und mit ihm der Durchbruch ihrer Technologie basierend auf den synaígischen Runen, fingen sie an, ihre Texte in Runenschrift zu verfassen. Die Sprache aus der grauen Vorzeit von Normar, das heute als Norsee bekannt ist, wurde jedoch nie wiederbelebt.«

      Ohne meine Gabe als Arboris und Rocíos und Waterstones bruchstückhafte Kenntnisse der Runen wäre unser Unterfangen ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Auch so dauerte es zwei lange Monate, ehe wir uns daran machen konnten, die anderen zu unterrichten. Malcolm, Clive und Miel nutzten die Zeit, indem sie die spärlich vorhandene Literatur über die segovianischen Runen aus der Universitätsbibliothek studierten. Das Ausmaß von Waterstones Entdeckung ließ sie darüber hinwegsehen, dass sie ihre kostbaren Semesterferien opferten. Selbst an Mirrorisnacht, einem Feiertag, den Studenten traditionsgemäß damit verbrachten, sich im Ampère volllaufen zu lassen, stiegen sie in die Bibliothek hinab.

      »Es kommt gut bei den anderen Kommilitonen an, wenn wir erzählen, dass wir an einem Geheimprojekt von Waterstone mitarbeiten«, berichtete Malcolm. »Seit der Golem quer durch Treedsgow gerannt ist, können sie es nicht erwarten, mehr Wunderwerke zu sehen. Zumal es Gerüchte gibt, die Maschine habe Damons Leuten den Arsch aufgerissen und das Hotel in die Luft gejagt.« Er hielt erschrocken inne und sah zu Waterstone. Der Professor hatte die ungebührliche Wortwahl nicht bemerkt, und der Chemiestudent fuhr fort: »Nicht wenige sagen, wenn es jemanden gibt, der die Lage im Hafen wieder in den Griff bekommt, dann du und Waterstone.«

      Das Wintersemester kam, und Waterstone und Bennett befreiten die drei Studenten von den Vorlesungen. Trotz aller Arbeit fand ich noch Zeit, nach meinem eigentlichen Ziel Ausschau zu halten: Informationen darüber, wie man jemanden mithilfe der Alchemie ins Leben zurückholt. Regelmäßig stieg ich in die Bibliothek hinab und suchte nach vielversprechenden Titeln von Werken über die Alchemie wie Gebieter über das Sterben oder Das Ende der Endgültigkeit – eine Lektüre über Leben und Tod. Oftmals genügte es, das Inhaltsverzeichnis zu überfliegen, um zu erkennen, dass sich das jeweilige Buch nicht so sehr damit befasste, den Tod um ein Leben zu betrügen, wie sein Titel glauben machte. Viele Werke befanden sich an einem Platz hoch oben in einem der turmhohen Regale. Aus Norins Aufzeichnungen wusste ich, dass es sich bei den Kabinen vor jedem Zugang zu den Gängen zwischen den Regalen um eine Art Aufzug handelte. Allerdings schien die Energiezufuhr unterbrochen zu sein.

      »Wenn es eine Möglichkeit gibt, die Entrizität zu reaktivieren, dann müssen wir sie finden«, sagte Waterstone. Dass ihm nicht in den Sinn kam, den Balitstein als bislang einzige Quelle synaígischer Energie zu nutzen, um sich reich und mächtig zu machen, brachte ihm meinen Respekt ein. »Die Formel, die die Bücher konserviert und dem Gebäude Stabilität verleiht, wird vermutlich durch eine Art entrisches Notstromaggregat gespeist«, fuhr er fort. Ich hatte ihm erzählt, was ich in Norins Memoiren über Idun und darüber, wie man sie programmierte, erfahren hatte. »Die Aufzüge sind nicht daran angeschlossen.« Gemeinsam erkundeten wir die Bibliothek und fanden in einem angrenzenden Maschinenhaus das Aggregat: ein komplexes Gebilde, das aus drei ineinander verschachtelten Ringen aus Messing bestand und einen halben Meter über dem Boden schwebte. Der größte Ring hatte einen Durchmesser von etwa fünf Metern. Im Innern des Kleinsten pulsierte ein goldenes Licht wie eine winzige Sonne. Uns allen klapperten die Zähne, kaum dass wir die Tür zum Maschinenhaus geöffnet hatten. Mithilfe seiner Messgeräte stellte Waterstone fest, was die Hibridia Aliona schon erwähnt hatte: Die Menge der dort gespeicherten Energie war groß genug, um diesen Ort weitere tausend Jahre vor dem Verfall zu bewahren.

      »Sofern kein Feuer ausbricht«, fügte er mit wütendem Blick auf Jasper hinzu, der den Rauch seiner Zigarette ausstieß und sich in keiner Weise anmerken ließ, dass er sich angesprochen fühlte.

      Bis es Waterstone gelang, die Aufzüge an die Versorgung durch das Aggregat anzuschließen, nutzten wir die Energie des Balitsteins.

      Indessen verbrachte Amrei die Tage damit, sich an der musikalischen Interpretation der dunklen Runen zu üben, die die Enerphag bannen würde. Damit die Violinistin draußen nicht zu hören war, spielte sie im Keller von Waterstones Wohnung. Als ich sie fragte, wie und wann sie beabsichtigte, die Norn zu konfrontieren, antwortete sie überraschend präzise: »Sie wird am sechsunddreißigsten Winterwind bei Einbruch der Nacht kommen – also in etwa knapp drei Monaten. Das sagte jedenfalls der Wurmgott.« Das konnte nur bedeuten, dass er die Zukunft kannte. Handelte es sich tatsächlich um Argos? War es ihm irgendwie gelungen, sich aus Norins Bernstein zu befreien? Und wenn ja, plante er immer noch, die Welt zu vernichten?

      »Sie beobachtet euch, seit es euch gelungen ist, Nikandros zu töten«, berichtete Amrei. »Sie sinnt nach Rache, doch euer Triumph über den Norn hat sie verunsichert. Du darfst niemandem davon erzählen, dass sie kommen wird, Godric«, fügte die Violinistin hinzu. »Noch nicht jedenfalls.«

      »Warum nicht?«

      »Der Wurmgott sagte, wer die Zukunft kennt, kann sie verändern. Noch sind wir ihr einen Schritt voraus. Doch je mehr wissen, wann die Norn kommen wird, desto größer ist das Risiko, dass wir durch unser Handeln den Zeitpunkt ihres Erscheinens ändern.«

      Waterstone genoss die musikalische Untermalung seines Heims. Hatte er sich anfangs beschwert, einer weiteren Person von außerhalb Zuflucht gewähren zu müssen, schloss er Amrei mit der Zeit ins Herz. Er bezeichnete sie Emily Moore, der Solistin der Treedsgower Philharmoniker, als ebenbürtig und bat sie mehr als einmal, ihm etwas vorzutragen.

      Jasper hingegen nannte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Tunichtgut. Zugegebenermaßen zeigte sich der Izzianer nicht von der besten Seite. Er beteiligte sich, wenn überhaupt, nur widerstrebend an unserer Arbeit, durfte das Haus aber auch nicht verlassen, was dazu führte, dass er sich aus Langeweile weiter über Waterstones Vorräte hermachte. Er behauptete, zum Rauchen in die Kanalisation hinabzusteigen, doch haftete den Möbeln in seinem Zimmer ein unverkennbarer Geruch nach Zigarette an. Dazu kam, dass er sich an mehreren Abenden bis zur Besinnungslosigkeit betrank, bis Waterstone sich weigerte, June loszuschicken, um ihm Schnaps zu besorgen, und seinen Weinvorrat einschloss. Er hätte ihm wohl auch die Zigaretten verweigert, hätte Jasper nicht geschworen, dass er dann schnurstracks zum Konstabler gehen würde.

      »Wozu brauchen wir ihn?«, beschwerte sich der Professor

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