Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1. Carl Wilckens

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1 - Carl Wilckens страница 8

Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1 - Carl Wilckens Dreizehn -13-

Скачать книгу

noch makellos. Was die Narbe ihr an Schönheit nahm, fügte sie ihr an Charakter hinzu – etwas, auf das ich im Allgemeinen mehr Wert legte. Immerhin wäre meine erste Liebe, die Piratin Sam, auch nicht als Kandidatin für die Perle des Fouriers in Frage gekommen. Sie war eine gute Kämpferin gewesen und bei nur wenigen Auseinandersetzungen verletzt worden. Auf der anderen Seite war sie auch keinem Streit aus dem Weg gegangen. Ich hatte mich bei jeder Narbe an ihrem Körper gefragt, welche Geschichte dahinterstecken mochte, und es nicht erwarten können, sie auf weitere zu erkunden.

      Ich hob die Hand und berührte behutsam die versehrte Haut. Nein, Rocío gefiel mir mit diesem Makel besser als vorher. Einige Sekunden verstrichen in Schweigen, während derer ich erwog, sie zu küssen. Unweigerlich dachte ich an ihren Blick, als Nikandros ihr in der Gestalt meines Spiegelbildes begegnet war und ihr gesagt hatte, dass er Damon getroffen hatte. Ihre Augen hatten sich mit dunkler Trauer gefüllt. Sie hatte geglaubt, dass Nikandros Damon getötet hatte. Dass sie noch etwas für ihn empfand, ließ sich auch dadurch nicht von der Hand weisen, dass sie sich von Nikandros hatte küssen lassen. Er hatte Rocíos Aura durchleuchtet und ihr gesagt, was sie hören wollte: dass ich kein Leben mehr nehmen würde.

      Ich zog die Hand zurück, und Rocíos Haar fiel ihr wieder vors Gesicht. Ich fürchtete mich nicht vor ihrer Zurückweisung. Ich wusste schlicht, dass sie den Mann nicht wollte, der ich war. Ich konnte ihr nicht versprechen, ein anderer Mensch zu werden. Nur Emily wäre dazu in der Lage, Licht ins Dunkel meines Wesens zu bringen. Ich war seit Jahren über Leichen gegangen und würde, um meine Schwester zurückzubringen, jetzt keine Umwege machen.

      »Lass dir von jemandem einen Ratschlag geben, der seit seiner Kindheit mit einem Gesicht voller Narben gestraft ist«, sagte ich. »Sei stolz auf sie.«

      »Du hast gut reden«, erwiderte Rocío bitter, tat einen Schritt zurück und senkte den Kopf. »Deine Narben sind alle sauber verwachsen.«

      »Sauber verwachsene Narben haben in Dustrien eine andere Bedeutung als in Selvenien«, hielt ich dagegen. »Ich habe die wenigsten in einem ehrenvollen Kampf davongetragen.« Der Unterrumpf hatte mich vergessen lassen, was Ehre bedeutete. »Entschuldige mich. Ich frage Jasper, ob er uns begleiten wird. Wenn er sich langweilt, verbringt er zu viel Zeit in Waterstones Vorratskammer.« Meine Worte trieben den Anflug eines Lächelns auf Rocíos Lippen.

      Sie nickte. »Er hat was davon gemurmelt, er hätte schwarze Nebel von der anderen Seite im Haar, und ist die Treppe hoch.«

      Was das zu bedeuten hatte, erfuhr ich wenige Minuten später, als ich das Badezimmer im ersten Stock betrat. Jasper stand vor dem Waschbecken, das mit seinem Haar gefüllt war, eine Zigarette zwischen den Lippen und eine Rasierklinge in der Hand, mit der er über den inzwischen kahlen Kopf schabte.

      »Hey Godric! Gut, dass du kommst«, sagte er, wobei die Zigarette in seinem Mund tanzte. »Hab ich hinterm Ohr noch was?«

      »Hast du sie noch alle?«, fragte ich wütend.

      »Was?«, entgegnete Jasper herausfordernd. »Sind meine Haare, oder? Darf ich mit machen, was ich will.«

      »Deine Haare sind mir scheißegal«, sagte ich und war mit einem Schritt bei ihm. Ich pflückte ihm die Zigarette aus dem Mund und warf sie ins Waschbecken. »Waterstone hat sich klar ausgedrückt, was das Rauchen im Haus angeht.«

      »Ist ja gut«, sagte Jasper gelassen und hob in kapitulierender Geste die Hände. »Jetzt sag schon, sind da noch Haare? Ist ganz schön schwer, sich den Schädel ohne Spiegelbild zu rasieren.« Erst jetzt bemerkte ich, dass Jaspers Ebenbild im Spiegel über dem Waschbecken fehlte. Das machte Sinn, war es doch im Diesseits unterwegs, seit Jasper sich für mich geopfert hatte. Mein Spiegelbild hingegen war dort, wo es hingehörte. Scheinbar setzte die Physik, die für die Existenz eines solchen verantwortlich war, nur so lange aus, wie der Enerphag lebte, der es gemimt hatte. Ich legte eine Hand an das kühle Glas und begegnete dem Blick meiner dunklen Augen. Es waren Augen, die viel Leid gesehen hatten – das meiste davon hatte ich anderen zugefügt. Sie waren dunkel. Traurig. Mörderisch. Aber es waren meine Augen.

      Zum ersten Mal, seit mein Spiegelbild angefangen hatte, sich merkwürdig zu verhalten, hatte ich die Gelegenheit, mich ausgiebig selbst zu betrachten. Seit Amrei, die Tochter des Besitzers der Taverne Zum Meeresgrund, mir die Haare geschnitten hatte, waren sie einige Zentimeter länger geworden. Verglichen damit wuchs mein Bart, den ich mir alle drei Tage rasieren musste, wenn ich nicht wie ein Vagabund aussehen wollte, wie Unkraut. Zum ersten Mal musterte ich meine Narben kritisch hinsichtlich ihrer Ästhetik: die Kerbe in meiner Augenbraue, die beiden parallelen Schrammen und der Schnitt in meiner Unterlippe. Sie waren nicht dezent, verunstalteten mein Gesicht aber auch nicht, soweit ich das beurteilen konnte. Nicht einmal mein angefressenes Ohr. Ich wusste aber auch um die Narben an anderen Stellen meines Körpers, für die wulstig noch gar kein Ausdruck war.

      Ich tauchte jäh aus meinem Anblick auf, als mir der Geruch verbrannten Haares in die Nase, und Rauch aus dem Waschbecken stieg. Jaspers Haare hatten Feuer gefangen. Ich fluchte und drehte den Hahn auf. Die Flammen verloschen, und während ich mit den Händen die Rauchschleier vertrieb, übersah ich beinahe die verschwommene Gestalt, die sich im Spiegel der Oberfläche näherte. Ich wich zurück und zog meine Machete. Noch nie war etwas Gutes aus den Spiegeln gekommen, und ich hatte keinen Grund, anzunehmen, dass es jetzt anders wäre.

      »Scheiße!«, rief Jasper erschrocken aus, als sich die verschwommene Gestalt von der anderen Seite gegen das Glas warf und ein Netz aus Rissen die Oberfläche überzog. Ich spannte die Muskeln an bereit, zuzustoßen, sobald der Neuankömmling durchbräche. Wieder warf sich die Gestalt gegen das Glas. Dieses Mal brach sie in einem Schauer aus Scherben hindurch, stolperte über die Armaturen des Waschbeckens und schlug auf dem Badezimmerboden auf. Fassungslos blickten Jasper und ich auf die junge Frau hinab, die stöhnend vor Schmerz zwischen den Scherben lag. Ich hätte ihr wohl, ohne zu zögern, die Machete in den Leib gerammt, hätte ein Geigenkasten, den sie umklammerte wie ihren erstgeborenen Sohn, und ein Netz schwarzer Linien, das ihre linke Gesichtshälfte überzog, nicht allen Grund zur Annahme gegeben, dass ich sie kannte. Sie musste seit ihrem Verschwinden mehrere Jahre gealtert sein, doch es bestand kein Zweifel.

      »Amrei?«, fragte ich und ließ die Machete sinken.

      Blackworth

      Gesang. End verstummte und blickte lauschend zum Fenster.

      »Wohin geht ein Lied, wenn seine Töne verklingen

      mit dem Stoß ins Horn zum letzten Krieg?

      Wer lauscht der Seele, wenn sie anfängt zu singen

      von den Dingen, die uns Zuris verschwieg?

      Zuris, mein Gott, warum hast du uns verlassen …«

      »Der schon wieder«, knurrte Baine, erhob sich von seiner Pritsche und trat vor das vergitterte Fenster. »HEY! Verschone uns mit deinem Gesang, Bursche!« Der Arbeiter ließ sich nicht beirren. Baine schnaubte wütend und wandte sich um. Nahm seine Holzschale auf und schlug damit gegen die Gitterstäbe. »HEEEY!« Das verhinderte nicht, dass der Mann die letzte Zeile des Refrains theatralisch langgezogen ausklingen ließ. Wohl aber provozierte es die Insassen der Zellenblöcke 12 und 14, ebenfalls brüllend mit ihren Schalen gegen die Gitterstäbe zu schlagen.

      »Diese Idioten«, schimpfte Baine und trat vom Fenster zurück.

      Die Tür zum Zellengang wurde geöffnet, und die beiden Gefängniswärter traten ein – dieses Mal in der Rolle der Essensausgeber einen fahrbaren Kessel vor sich.

      »Wer hat Lust auf Brei?«, fragte einer von ihnen mit schadenfrohem Lächeln. Die Insassen

Скачать книгу