Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1. Carl Wilckens

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Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1 - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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folgte er ihrem Beispiel und ging auf die Knie. Mit gesenktem Blick sah er nur noch den Schatten seines Meisters, der sich diffus im Licht eines hinter ihm grasenden Minenkrebses abzeichnete. Er breitete die Arme aus und verkündete feierlich: »Der dunkle Spiegel hat dich, Rattle, und dich, Cat, dazu auserkoren, uns vor einer nahenden Bedrohung zu schützen. Ein Mann, den selbst der Tod fürchtet, wird kommen. Man verbannte ihn einst in die Unterwelt, doch kehrte er als ihr König daraus zurück. Der Einzige, der ihm Angst einflößt, ist er selbst. Er ist ein kaltblütiger Kämpfer, der nie zögert, ein Krieger, der keine Waffen zum Töten braucht, weil seine bloßen Hände keine minder gefährlichen Werkzeuge sind. Er wird zur Onslow Mine kommen und versuchen, zum dunklen Spiegel vorzudringen. Und mit ihm kommt unser aller Ende. Ihr müsst es verhindern. Der Spiegel erwählte euch beide, nicht weil er nicht in eure Fähigkeiten vertraut, sondern weil er unseren Feind respektiert. Nun erhebt euch und bereitet euch auf eure Aufgabe vor.« Rattle und Cat kamen auf die Beine. Hinter ihnen raschelten zwei Dutzend Hosen aus schlichtem Stoff, als sich auch die restlichen Schüler – allesamt kahlköpfig und tätowiert – erhoben.

      »Ich werde diesen Kerl alleine erledigen«, sagte Rattle so leise, dass nur Cat ihn hören konnte, während alle zum Ausgang der Höhle strömten.

      »Wir werden sehen«, erwiderte sie mit einem provokativen Lächeln, das Rattles Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellte.

      End

      Das Ticken einer Schrankuhr weckte mich. Meine Orientierung kehrte mit einigen Sekunden Verzögerung zu mir zurück: Ich war auf dem Sofa in Waterstones Wohnzimmer eingeschlafen, als ich die nächste Seite von Williams Tagebuch hatte lesen wollen.

      Die Tagebuchseite!

      Ich öffnete die Augen und setzte mich auf. Tastete meinen Oberkörper ab und blickte mich hektisch um. Die Seite war nirgends zu sehen. Ich stand auf und riss die Sofapolster herunter. Nichts. Jemand musste sie mir abgenommen haben; Waterstone oder vielleicht Rocío. Gerade wollte ich nach ihnen rufen, da bemerkte ich die Stille. Keine Schritte tönten vom oberen Stockwerk. Keine gedämpften Stimmen sickerten durch die Wände. Nur das Ticken der Schrankuhr war zu hören. War ich allein? Unmöglich. Rocío und Jasper durften das Haus nicht verlassen. Sie waren ungebetene Gäste im Universitätsviertel und würden im Fall Professor Keens, der von Nikandros ermordet worden war, vermutlich verdächtigt werden. Vielleicht waren sie mit Waterstone durch den Zugang im Keller des Professors in die Kanalisation hinabgestiegen, um die Bibliothek von Ad Etupiae zu erkunden.

      Dennoch … diese Stille war unheimlich. Auch von draußen hörte ich nichts; weder das Geklapper eines vorbeifahrenden Fuhrwerks, noch das Lachen der Kinder, die auf der Straße spielten – eine Klangszene, die so selbstverständlich war, dass man sich ihrer erst bewusst wird, wenn sie verstummt.

      Mit steifen Schritten ging ich zu einem der Fenster. Die Sonne stand tief. Ihr Licht fiel rotgolden ins Zimmer, als stünde ein verfrühter Herbsttag an. Oder endete er? Noch orientierungslos vom Schlaf konnte ich nicht sagen, ob die Sonne auf- oder unterging.

      Tick … tack …

      Ich warf der Schrankuhr einen wütenden Blick zu. Wie sie die Stille in gleichgroße Scheiben schnitt, machte sie mich noch nervöser als die Lautlosigkeit selbst. Ich verließ Waterstones Wohnzimmer, eilte durch den Flur und trat hinaus auf die Straße. Die Stille rührte nicht von Waterstones vier Wänden her, wie ich gehofft hatte. Sie schwebte auch über den Häusern der Stadt wie die Präsenz einer unsichtbaren, gottähnlichen Wesenheit. Kein Vogel zwitscherte, kein Windhauch rührte sich. Dafür hörte ich nach wie vor das Ticken der Schrankuhr.

      Ich schickte den Blick die Straße hinauf und hinab. Niemand. Das Licht der tiefstehenden Sonne zeichnete lange Schatten auf das Pflaster. Am Ende der Straße bemerkte ich einen Gegenstand, der aus dem Boden ragte. Ich ging darauf zu und erkannte, dass es ein Schwert war, das in den Fugen des Straßenpflasters steckte. Ich zog es heraus und betrachtete es. Es war eine brutale Waffe aus schwarzglänzendem Stahl. Im goldenen Licht der Sonne wirkte das Material beinahe durchsichtig. Der Knauf des Schwertes war der Totenschädel irgendeines kleinen, menschenähnlichen Lebewesens, seine Schneide gezackt und seine Klinge spitz zulaufend und so breit und lang, dass es die Waffe unhandlich machte; zum Kämpfen ungeeignet. Sie schien eher dafür geschaffen worden zu sein, auf möglichst schmerzhafte und blutige Weise zu töten. Ich drehte sie im Licht der Sonne und bemerkte entlang der Hohlkehle qualvoll verzogene Gesichter knapp unterhalb der dunklen Oberfläche der Klinge; fast so, als banne die Waffe die Seelen ihrer Opfer in den Stahl, aus dem sie geschmiedet worden war.

      Tick … tack …

      Ich schüttelte den Kopf, wie um das Ticken zu verscheuchen, als wäre es eine lästige Mücke, die um mein Ohr herumschwirrte.

      Tick … tack …

      Ich schlug mir aufs Ohr …

      Tick … tack …

      Schlug mir gegen die Schläfe, als hoffte ich, dass Ticken aus meinem Kopf werfen zu können.

      Tick … tack …

      Wutentbrannt hob ich das Schwert und ließ es senkrecht herabfahren, wie um einen unsichtbaren Feind der Länge nach zu spalten. Die Klinge traf auf die Straße und zerschmetterte das Pflaster. Ein Riss tat sich im Boden auf. Schnell wie ein Blitz weitete er sich aus und verschwand unter der nächsten Hauswand. Eine Sekunde lang schien die Welt den Atem anzuhalten. Dann brach das Haus knirschend entzwei. Die beiden Hälften drifteten voneinander ab, und Gesteinsbrocken regneten in den Riss im Boden, während er immer breiter wurde und meine Beine spreizte. Ich rettete mich auf die rechte Seite, unfähig, den Blick von dem gespaltenen Gebäude abzuwenden. Trümmer und Möbelstücke fielen aus den aufklaffenden Haushälften in die Tiefe.

      Weitere Häuser brachen entzwei, während der Riss sich verzweigte. Das Donnern einstürzender Gebäude und ein Chor panischer Schreie aus den Kehlen der Menschen in ganz Treedsgow lösten die Stille ab.

      Die Welt zerbrach!

      Plötzlich waren die Straßen voller rennender Gestalten. Einige der Segmente, die einst der sichere Boden unter unseren Füßen gewesen waren, sackten herab. Menschen fielen schreiend in die Tiefe. Weitere Gebäude entlang des ersten und größten Risses stürzten ein und gaben den Blick aufs Meer frei. Ein gewaltiger länglicher Strudel ließ ahnen, dass auch der Meeresboden auseinanderbrach.

      »Godric? Godric!«

      Ich fuhr aus dem Schlaf. Meine Hand fand den Griff der Machete. Ein Traum! Es war bloß ein Traum gewesen! Ich war zurück in Waterstones Wohnzimmer. Der Professor, Rocío und Jasper standen vor mir. Die Alchemistin musterte mich besorgt, der ehemalige Honor aus Izzian belustigt, Waterstone mit gemischten Gefühlen.

      »Bist du in Ordnung?«, fragte Rocío.

      Ich setzte mich auf, stützte die Ellbogen auf die Knie und fuhr mir durchs Haar, während ich darauf wartete, dass sich mein Herzschlag beruhigte. Nach einer Weile tastete ich meine Kleidung ab und fand in der Brusttasche meines Hemdes, wonach ich gesucht hatte: eine halb aufgerauchte Schachtel Zigaretten.

      »Ich wette, er hat von mir geträumt«, sagte Jasper. In seinen blauen Augen blitzte der Schalk. »So, wie der um sich geschlagen hat …«

      »Ich habe es eigentlich nicht so gerne, wenn hier geraucht wird«, bemerkte Waterstone spitz, als ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen steckte. Ich überhörte ihn, zog ein Streichholz über die Tischplatte seines schicken Wohnzimmertischchens aus Akazienholz und steckte die Zigarette an. Waterstone rümpfte die Nase, während ich mein Gesicht in den Rauch des ersten Zuges hüllte.

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