Die Missionäre. Gerstäcker Friedrich

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Die Missionäre - Gerstäcker Friedrich

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sonst? Denk nur an den heutigen Tag – es ist der Geburtstag meiner seligen Mutter.“

      „Du hast Recht, Kind,“ sagte der alte Herr, indem ihm selber eine Thräne in’s Auge stieg, „arme Agnes, daß wir sie verließen mußten!“ und sich im Lehnstuhl an das Fenster setzend, stützte er den Kopf in die Hand und schaute, ganz seinen eigenen Gedanken nachhängend, hinaus in’s Leere.

      So vergingen wieder Wochen, und Diakonus Kästner kam fleißiger auf das Schloß denn je; denn so weich, so herzlich hatte sich Berchta noch nie gegen ihn gezeigt. Sie war immer freundlich gewesen, ja, aber nie so wie jetzt, und manchmal, wenn er ihr Auge traf, wie es mit innigem Antheil auf ihm ruhte, und sie erst halb verlegen oder erschreckt den Blick abwendete, sobald ihn der seine traf, zuckte es ihm durch alle Fibern seines Körpers, und er fühlte nur zu deutlich, daß die Leidenschaft zu dem bezaubernden Wesen mit jedem Tage wuchs und kaum mehr zurückgedämmt werden konnte.

      Aber ihr Vater? – würde der adelsstolze Baron je seine Einwilligung gegeben haben, daß er, der bürgerliche Geistliche, die Tochter des Schölfensteins zum Altar führe? Aber liebte er Berchta nicht wirklich mit voller Seele, und war es denkbar, daß er ein altes Vorurtheil höher achten würde, als das Glück der Tochter – des einzigen Kindes? Wieder und wieder zuckten ihm diese Gedanken durch das Herz, und er wagte deshalb keinen entscheidenden Schritt, wenn ihn auch selbst Berchta’s Unterhaltung mehr und mehr darin bestärkte, daß sie selber ein Entgegenkommen von seiner Seite wünsche und erwarte. Schon mehrmals hatte sie ihn nach der häuslichen /48/ Einrichtung eines Geistlichen gefragt, der, weit abgelegen von irgend einem Weltverkehr, nur seinen Studien und der Erziehung seiner Gemeinde lebe, - ob der Beruf schwer sei, - ob er nicht auch viele, viele Freuden mit sich bringe, - ob er selber sich wohl in dem seinigen fühle - lauter Fragen, die den jungen Mann mehr und mehr in dem Glauben bestärken mußten, daß Berchta dieselben nicht ohne eigenes Interesse thue. Und wie begeistert antwortete er ihr daraus - wie glücklich schilderte er den Zustand derer, die vielleicht einen höheren Rang in der Gesellschaft bekleidet haben könnten, aber dennoch nur in dem Gefühl der Liebe gegen Gott und die Menschen das Schwere auf sich genommen hatten, um ein anderes, sonst freundloses Wesen glücklich zu machen.

      Berchta's Augen leuchteten, während er sprach, aber sie erwiderte ihm kein Wort. Es war, als ob ihr Blick in weiter Ferne schweife und Raum und Zeit durchflöge, ihren Tagen voraus. Dann wendete sie sich plötzlich zu ihm, reichte ihm die Hand, sah ihn fest an und sagte herzlich, mit tiefbewegter Stimme:

      „Ich danke Ihnen, lieber Freund - ich wußte vorher, daß Sie so sprechen würden - so sprechen mußten. Ueberlassen Sie mir das Weitere. Nein, nicht jetzt" - unterbrach sie ihn abwehrend, als er, das Herz zum Ueberlaufen voll, darauf erwidern wollte. „Der Kopf wirbelt mir - nicht hastig darf ein solcher Schritt beschlossen werden, der dann ja bindend und entscheidend für ein ganzes Leben ist, sondern wohlüberlegt und mit kaltem, ruhigem Blute - nur in Gemeinsamkeit mit Gott. Lassen Sie mir Zeit dazu - berühren Sie das Thema nicht eher wieder, bis ich selber davon beginne - versprechen Sie mir das. Ich will nicht dazu getrieben werden - ich will aus eigenen freien Stücken darin handeln."

      „Ich gebe Ihnen mein Wort, Berchta!" rief Kästner, kaum seiner Sinne mächtig, indem er ihre Hand ergriff und sie an seine Lippen hob. Aber er wagte kaum einen Kuß darauf zu hauchen, so überraschend schnell war Alles gekommen, so betäubt fühlte er sich von dem Glück, das, wie er glaubte, über ihn hereingebrochen. /49/

      Berchta achtete gar nicht mehr auf ihn - sie hörte nicht die vertrauliche Anrede, die er noch nie gewagt. Sie fühlte kaum den leisen Kuß auf ihrer Hand, oder wenn so, schrieb sie es vielleicht dem Erstaunen zu, das ihn erfaßt haben mußte, wenn er ihr Geheimniß errathen.

      Still und schweigend wendete sie sich ab und schritt hinunter in den Garten, wo sie allein Stunden lang die einsamen Gänge durchwandelte.

      Aber dieser träumerische Zustand dauerte nicht lange. Berchta besaß keinen Charakter, der sich Jahre lang unschlüssig im Kreise bewegte. War sie früher schon fast mit sich einig gewesen, so hatte die Unterredung mit dem Diakonus, der ihr in allen Dingen beistimmte, den überhaupt schon gefaßten Entschluß nur noch mehr gekräftigt, und wenige Tage später fühlte sie sich so weit mit sich im Reinen, daß sie an die Ausführung desselben gehen konnte.

      Allerdings drängte es sie, vorher mit ihrem Vater darüber zu sprechen - hatte sie denn einen besseren Freund auf der weiten Welt? Aber sie fürchtete auch dessen Einwürfe, denn jedenfalls würde er versucht haben, sie in ihrem Entschluß wankend zu machen, und das mußte sie verhindern.

      Von der Zeit an correspondirte sie sehr viel mit der Missionsgesellschaft, was auch dem Vater nicht auffiel, da er ja recht gut wußte, daß sie Vorsteherin des Vereins sei, und sich darüber sogar sehr gefreut hatte. Sie bekam auch außerordentlich rasche und freundliche Antworten, und endlich traf, nach verschiedenen Anfragen von Seiten jener Gesellschaft, das entscheidende Schriftstück ein, dem sie eben so bestimmt und zusagend erwiderte. Jetzt war der Schritt geschehen und nun auch der Zeitpunkt gekommen, wo sie mit ihrem Vater sprechen mußte, - als er aber herannahte, wagte sie es nicht. Das Herz klopfte ihr schon bei dem Gedanken hörbar in der Brust, und sie beschloß endlich, den Diakonus Kästner rufen zu lassen und ihn zu bitten, das erste Eis zu brechen. Er hatte sie ja verstanden; er kannte ihr ganzes Herz, und mit dem Vater, der ihn achtete und liebte, eng befreundet, konnte es ihm auch ein Leichtes sein, ihn zu überzeugen, daß sie selber nicht anders /50/ handeln durfte und nur einem höheren Drange folgte, um das Höchste damit zu erreichen.

      Der alte Baron war hinaus auf das Feld geritten, um mit seinem Verwalter irgend eine wirthschaftliche Angelegenheit zu besprechen. Indessen eilte Kästner, den der Bote zu Hause getroffen, fast athemlos auf das Schloß hinauf, denn seit drei Tagen hatte er Berchta nicht gesehen, und sein Herz sagte ihm, daß sich sein Schicksal jetzt entscheiden müsse. Er wurde auch ohne Weiteres zu Berchta hinaufbeschieden, sie hatte schon ihr Mädchen unten an das Thor gestellt, um ihn zu erwarten, und erst als er die Treppe hinaufstieg, gewann er wieder so viel Macht über sich selber, um mit ruhigem Blut vor der Jungfrau zu erscheinen. Er glaubte, daß er sich nichts vergeben dürfte, denn wenn sie ihn auch mit dem Geständniß ihrer Liebe zum glücklichsten Menschen machte, fühlte er doch seinen eigenen Werth und wußte, daß er sie verdiene. Er bot ihr das Herz eines braven Mannes, der in einem ehrenvollen Berufe stand. Und daß er nicht von Adel war? Ei, sein Stand adelte ihn, und Berchta sollte wahrlich nie bereuen, ihre Hand in die seinige gelegt zu haben.

      Er fand das junge Mädchen, ihn erwartend, mitten in der Stube stehen; sie hatte schon seinen Schritt draußen gehört, und als er auf ihr rasches „Herein!" die Thür öffnete, streckte sie ihm die Hand entgegen und sagte herzlich:

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