Was wird morgen sein?. Herr Thönder

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Was wird morgen sein? - Herr Thönder

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hatte riesige Angst, dass sie wieder einknicken würde. Dass sie Maria wieder verleugnen würde. Dass sie nicht zu ihr stehen würde.

      Dass sie den wichtigsten Menschen in ihrem Leben enttäuschen würde.

      Vor allem, seit sie mit Maria darüber geredet hatte. Auch wenn Maria ihr versichert hatte, dass sie Jana verstehen könne. Auch wenn sie versichert hatte, dass sie wisse, wie sich das alles anfühlte. Auch wenn sie versichert hatte, dass ihre Liebe stärker war.

      Trotzdem hatte Jana diesen kurzen Moment in Marias Blick gesehen. Diesen Moment des Zweifels.

      Ein kurzer Schatten war da durch Marias Blick gehuscht. Ein Schatten, der Jana seitdem verfolgte und ihr die letzte Nacht zur Hölle gemacht hatte. Sie hatte geträumt, dass Maria mit zerschmettertem Gesicht am Fuß einer Brücke gelegen habe. Nur ihre Augen waren noch erkennbar und diese blickten Jana so vorwurfsvoll an, dass diese aus dem Schlaf geschreckt und nicht wieder eingeschlafen war.

      Seitdem hatte Jana fast nur im Bett gelegen und geweint. Wenn sie nicht auf dem Klo gekotzt hatte.

      Ihre Eltern waren weiterhin verständnisvoll und ließen sie in Ruhe. Wer weiß, was sie dachten, doch sie warteten, bis Jana ihnen freiwillig erzählen würde, was Sache war.

      Normalerweise fand Jana das super. Heute hätte sie es anders gebraucht.

      Und morgen? Tja, davor hatte Jana die meiste Angst. Morgen begann die Schule. Die Beobachtung, der Spießroutenlauf. Die Angst, etwas falsch zu machen.

      Die Angst, Maria zu enttäuschen.

      Morgen. Was würde morgen passieren?

      Schnell beugte sich Jana wieder über die Kloschüssel…

Keine Tränen

      Er betrachtete die Leiche. Das war sein Job. Als Bestatter war er einer der ersten, die zu einem toten Menschen gerufen wurden. In seinem Beruf wäre zu viel Sentimentalität nicht hilfreich gewesen.

      Doch auch in seinem Privatleben gab es keine Tränen.

      Vor vier Wochen war seine Großmutter gestorben. Er hatte nicht geweint. Es war alles merkwürdig und verwirrend gewesen. Aber es gab keine Tränen.

      Er war wie immer zu seiner Großmutter gefahren. Regelmäßig besuchte er sie in ihrer Wohnung. Sie war eine sehr wichtige Bezugsperson für ihn. Deshalb besuchte er sie jeden Samstag. Sie redeten, spielten und schwiegen zusammen. Ihre Spaziergänge durch den nahen Wald waren ein absolutes Highlight der Woche. Er genoss die Stille, das Zusammensein und die Vertrautheit.

      Während er im Beruf ständig gefordert wurde, forderte seine Großmutter nichts von ihm. Sie akzeptierte ihn, so wie er war. Sie stellte keine Fragen, sondern hörte ihm nur zu. Sie bewertete nicht, wenn er erschöpft war, sie freute sich mit ihm, wenn er euphorisch war.

      Alle seine Beziehungsversuche mit diversen Frauen waren Thema. Auch sie wurden nicht bewertet. Weder waren die Frauen die Richtige, noch war er selbst schuld, wenn etwas zu Bruch ging, noch war die Frau nicht gut genug für ihn.

      Auch, dass er niemals weinte, wenn eine Beziehung zu Ende ging, war ok. Zumindest für seine Großmutter.

      Er selbst war immer wieder irritiert, aber er gewöhnte sich daran. Es wurde normal, dass keine Tränen flossen.

      An jenem Samstag im Herbst wollte er seine Großmutter wieder besuchen. Er klingelte, aber sie öffnete nicht. Vielleicht ist sie noch kurz einkaufen, dachte er. Trotz ihres hohen Alters war sie noch fit und mobil. Also hatte er mit dem Schlüssel, den sie ihm aufgedrängt hatte (man weiß ja nie…) aufgeschlossen und war in die Wohnung gegangen.

      Er wollte erstmal einen Tee kochen, damit sie sich in Ruhe hinsetzen konnten, wenn sie wiederkommen würde. Sie zelebrierten das gemeinsame Teetrinken als Ritual. Niemand sonst in seiner Familie mochte Tee. Das war etwas ganz Eigenes zwischen ihm und seiner Großmutter. Er genoss jedes Mal, dass die beiden den Tee in die schönen Tassen gossen, ein Sahnewölkchen erzeugten und daraus spaßeshalber ihre Zukunft lasen.

      Als er in die Küche ging und das Portemonnaie seiner Großmutter entdeckte, war ihm klar: Da stimmt etwas nicht!

      Er suchte in der ganzen Wohnung und fand seine Großmutter schließlich ganz ruhig in ihrem Bett liegen. Sie war komplett angezogen, sah nicht so aus, als wäre sie am Morgen nicht aufgestanden. Vielmehr schien sie sich noch einmal hingelegt zu haben. Offensichtlich war sie dann friedlich eingeschlafen, gestorben und nicht mehr aufgewacht.

      Der Notarzt stellte einen natürlichen Tod fest (das war ihm schon vorher klar gewesen). Er hatte alles geregelt. Den Abtransport, die Einladungen, die Beerdigung.

      Es war eine schöne Feier, soweit man das bei einem solchen Anlass sagen konnte. Er wusste, welche Blumen sie mochte, kannte ihre Lieblingsmusik. Er wusste, dass sie unter einem Baum begraben werden wollte, der möglichst sonnig stand.

      Er ermöglichte ihr das alles.

      Er hatte nicht geweint. Es hatte ihn zwar gewundert und er hatte sich immer gefragt, was er fühle, aber er schaffte es nicht. Es flossen keine Tränen.

      Das war schon länger so.

      Auch der Tod seiner Eltern hatte ihm keine Tränen entlockt.

      Sie waren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Auf dem Hinflug nach Thailand. Sie hatten sich diese Reise schon lange gewünscht, hatten lange geplant und viel vorbereitet.

      Letztlich wurde doch nichts daraus. Der Flug endete im Meer. Die Leichen konnten nie komplett geborgen werden. Die Teile, die eindeutig seinen Eltern zugeordnet werden konnten, wurden überstellt und sofort verbrannt. Er erhielt nur eine Urne.

      Das war schon 15 Jahre her, doch er erinnerte sich noch gut an die Zeit. Im späten Teenager-Alter war er sehr mit sich selbst beschäftigt. Er nahm Drogen, ging auf Partys und war nicht viel zu Hause.

      Dieser Urlaub war der erste, den er ohne seine Eltern verbrachte. Verbringen wollte. Verbringen durfte.

      Direkt am Anfang der Sommerferien war der Urlaub aber schon wieder vorbei. So vieles war zu regeln. So vieles zu organisieren.

      So viele Menschen tauchten auf, die sagten, dass sie zur Familie gehörten. Die meisten kannte er nicht, aber es stimmte wohl. Er fühlte sich trotz der Menge an Menschen allein.

      Er hatte seine Eltern geliebt. Er kannte die Lieblingsfarbe seiner Mutter (orange) und die Lieblingsmusik seines Vaters (Hip-Hop). Er kannte ihre Lieblings-Essen (chinesische Nudeln und Brathähnchen) und -Getränke (Rotwein und Bier). Alles sollte bei der Beerdigung der Urne zum Zuge kommen.

      Der Rest der Familie überstimmte ihn. Er war nicht stark genug, um sich durchzusetzen. Letztlich nickte er alles ab, es wurde eine Standard-Beerdigung, mit Ave-Maria, Gebeten, Schnittchen und Kuchen. Und ganz in schwarz. Er fand es furchtbar. Er fühlte sich unwohl, durfte aber natürlich nicht wegrennen. Das macht man nicht.

      Er beschloss, dass kein anderer Mensch es verdient hatte, dass er nicht die Beerdigung erhielt, die er sich wünschte. Egal, wie alt. Egal, wie reich oder arm. Kein Mensch sollte so etwas erleben, wie er es erlebt hatte.

      Deshalb

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