Die Colonie. Gerstäcker Friedrich

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Die Colonie - Gerstäcker Friedrich

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Seufzer, indem er, ohne die Melodie selber zu beachten, den Tact dazu unbewußt auf dem Fenster trommelte - „ein sehr trauriges Land, dieses ausgeschrieene Brasilien, und ich fürchte fast, daß uns ein böser Stern an diese Küste geführt hat, von der ich, aufrichtig gestanden, gar kein rechtes Fortkommen mehr sehe. Ich begreife wenigstens nicht recht, wie man in Europa je, ohne die gehörigen Mittel, wieder standesgemäß auftreten könnte."

      „Sie dürfen den Muth nicht verlieren, Baron," bemerkte die in dieser Hinsicht viel resolutere Gräfin. „Ich fange jetzt selber an einzusehen, daß wir alle Beide doch möglicher Weise zu viel Standesvorurtheile mit herübergebracht haben, um das Leben hier an der richtigen Stelle anzugreifen."

      „Aber, beste Frau Gräfin …"

      „Ich sehe wenigstens eine Menge Menschen," fuhr die Gräfin fort, ohne die Unterbrechung gelten zu lassen, „die nicht allein ihr Fortkommen auf höchst geschickte Weise finden, sondern auch noch Capital auf Capital zurücklegen, und es fällt mir gar nicht ein, ihnen mehr Verstandeskräfte zuzutrauen, als wir Beide auch besitzen, lieber Baron."

      „Aber, beste Frau Gräfin," beharrte der Baron, „der Art Leute sind von Jugend an auf ihre Fäuste angewiesen, und Sie wollen doch nicht voraussetzen, daß wir Beide etwas Derartiges auch nur annähernd leisten könnten?"

      „Ich denke gar nicht daran," sagte die Gräfin mit einem vornehmen Zurückwerfen des Kopfes; „wo aber die rohe Kraft nicht ausreicht, da eben muß der Geist des Menschen eintreten, die Intelligenz, und wir finden es überall bestätigt, daß die erstere, die rohe Kraft meine ich, immer nur für die /46/ Speculation arbeitet, und diese eigentlich den Nutzen von jener erntet."

      „Aber auch der Kaufmann braucht praktische Erfahrung," seufzte der Baron, der seine Erfahrung schon außerordentlich theuer hatte bezahlen müssen - „und wir sind Beide zu alt, die noch zu lernen."

      „Bah," sagte die Frau Gräfin, den Kopf mit Geringschätzung wiegend, „der Kaufmann ist nicht der einzige Speculirende, auch der Fabrikant speculirt, indem er sich weniger die Waaren als die Kräfte der Menschen selber dienstbar macht."

      „Aber, verehrte Frau Gräfin, Sie scheinen ganz zu vergessen, daß auch Capital dazu gehört, ja, und noch ein viel bedeutenderes Capital vielleicht, als zu einer einfachen Speculation in Kaufmannsgütern, und wenn man das Letzte dann darauf gesetzt hätte und es schlüge fehl - was dann? - Denken Sie sich eine Existenz, selbst hier in einer brasilianischen Colonie, ohne die Mittel zu leben - denken Sie sich die Möglichkeit, daß man bei diesen frechen und übermüthig gewordenen Bauern gezwungen sein sollte, ein Anlehen zu erheben; es wäre fürchterlich!"

      Die Frau Gräfin schien nicht diese Angst vor einer derartigen Calamität zu theilen, deren sogenannte „Furchtbarkeit" sie außerdem schon erprobt hatte, ohne daran zu sterben; aber der Baron brauchte das gerade nicht zu wissen, und sie fuhr wie überlegend fort: „Dafür ist aber auch dem Menschen der Verstand gegeben, daß er ihn richtig gebraucht und anwendet, und sollten die höheren Stände mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln nicht besonders da mehr bevorzugt sein, eine größere und gediegenere Kraft in die Wagschale zu werfen, als der rohe und ungebildete Bauer es im Stande wäre?"

      „Der rohe und ungebildete Bauer," erwiderte der Baron achselzuckend, „hat von dem Schöpfer eine Art von Instinct bekommen, der gerade da anfängt, wo sein Verstand aufhört, und mit oft unbewußter Benutzung desselben macht er zu Zeiten die erstaunlichsten und unbegreiflichsten Dinge möglich." /47/

      „Sie sind eingeschüchtert, lieber Baron," sagte die Gräfin lächelnd, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte.

      „Und habe alle Ursache dazu," seufzte der Baron.

      „Sie haben durch eine Reihe von widrigen Zufälligkeiten nicht unbedeutende Verluste erlitten," fuhr die Gräfin fort, „das hat Sie kopfscheu gemacht - Oskar, ich bitte Dich um Gottes willen, laß das furchtbare Getöse mit der Glocke, ich werde wahrhaftig noch ganz nervös - verlieren Sie jetzt den Muth, so ist Alles verloren, unwiederbringlich. Bewahren Sie sich aber die Elasticität Ihres Geistes, so können Sie mit Einem Schlage alles Verlorene nicht allein wieder einbringen, sondern auch verdoppeln, ja, vielleicht verdreifachen."

      „Das ist's eben, was ich bezweifle," versicherte der Baron; „aber, verehrte Frau, haben Sie vielleicht einen Plan? denn Ihr ganzes Benehmen scheint mir nach einem gewissen Ziele hinzustreben - und wollen Sie mich zu Ihrem Vertrauten machen, so könnte ich Ihnen, wenn auch möglicher Weise mit weiter nichts, doch vielleicht mit gutem Rathe zur Seite stehen, der oft in nur zu vielen Fällen die Stelle des Capitals vertritt."

      „Ich habe allerdings einen Plan," erwiderte die Gräfin, „der aber schon so weit gediehen ist, daß er des Raths kaum mehr bedarf, denn er basirt auf Thatsachen, auf Zahlen, auf genauer Kenntniß der Grundlagen. Wenn ihn deshalb noch etwas fördern kann, so ist es einzig und allein Capital. Doch davon später, lieber Baron, denn ich höre eben meine Tochter kommen, und Oskar entwickelt heute eine so liebenswürdige Ungeduld, daß wir das Essen nicht länger warten lassen dürfen."

      Der Baron war zu viel Weltmann, um seiner eigenen Ansicht über „Oskar's Ungeduld" einen selbstständigen Ausdruck zu geben. Er machte deshalb nur eine stumme Verbeugung gegen die Gräfin, reichte ihr dann den Arm und führte sie, wie in seinen schönsten Tagen daheim, die drei Schritte bis zu dem einfachen Tannentische. Ueber diesen war aber ein kostbares Damasttuch gebreitet, auf dem neben den weißen Steinguttellern schwere englische Löffel und Gabeln /48/

      lagen, die im Besitze einer Gräfin recht gut für ächtes Silber angesehen werden konnten.

      Comtesse Helene betrat in diesem Augenblicke das Zimmer, und Vollrath hatte sein Spiel beendet und das Instrument geschlossen.

      Helene war wirklich ein schönes Mädchen von nicht zu hohem, aber schlankem und üppigem Wuchse, mit vollem, fast goldblondem Haar, und dabei dunkeln, brennenden Augen, einem verführerischen Grübchen im Kinn, und Hand und Arm vollkommen makellos. Das fest anschließende, lichtgraue Kleid von allerdings nur einfach wollenem Stoffe hob ihre Büste so viel mehr hervor, während die selbst schon hierher gedrungene Crinoline nur dann und wann einer kleinen, sehr zierlichen Fußspitze gestattete, an's Tageslicht zu kommen.

      „Das gnädige Fräulein sind heute wieder einmal gar nicht fertig geworden," empfing sie Oskar, dessen Laune dadurch nicht gebessert schien, daß Niemand weiter Notiz von ihm genommen. Helene beachtete aber auch den Vorwurf nicht, begrüßte ziemlich förmlich den Baron, nickte Vollrath freundlich zu, und ging dann, ehe dieser mit sich einig geworden schien, ob er ihr den Arm bieten solle oder nicht, rasch zu ihrem Platze am Tische, an dem sie sich, mit einladender Bewegung für die Uebrigen, zuerst niederließ.

      Das Diner war so einfach, wie es das Leben in einer solchen Colonie und die Arbeit einer einzelnen Köchin, die zugleich alle anderen Hausdienste verrichten mußte, mit sich bringt: Suppe, ein Braten mit zweierlei Gemüse und etwas eingekochtem Obste, und zum Dessert die vortrefflichen Orangen und Granatäpfel des Landes.

      Niemand machte hier auch größere Ansprüche oder war an Weiteres gewöhnt, und das Gespräch drehte sich während der Tafel hauptsächlich um die neu erwarteten Einwanderer, da sich das Gerücht über deren Ankunft schon durch die ganze Colonie verbreitet hatte. Ist es doch auch immer ein Moment für solche Ansiedelung, einen neuen Zuschuß von Fremden zu bekommen, von denen ein kleiner Theil stets in der Stadt selber bleibt und vielleicht einen neuen Umgang bilden kann, denn bekannt wird man ja mit Allen. /49/

      Nur Vollrath, der neben Helenen saß, war still und einsilbig und schien sich nicht einmal für Oskar's Ansichten, die dieser über brasilianische Pferde entwickelte, zu interessiren; Oskar sprach überhaupt nur über Pferde.

      Das

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