Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke
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Das waren tagträumerische Bilder des Dr. Ferdinand am Montag der dritten Woche, als er sich gegenüber der verschlossenen Bibliothekstür auf den Betonboden gesetzt und den Rücken gegen die Kantinenwand gelehnt hatte. Es waren Visionen, die aus den Reflexionen frühnächtlicher Gespräche mit seinem Kollegenfreund hervorgegangen waren, als dieser von dem sprach, was er als Erfahrungen mit Behördenmenschen bezeichnete, die zu verantworten hatten, was im Gesundheitswesen alles schief lief. Es waren eben jene Arschlöcher in den Administrationen, die vom Virus der weißen Blindheit infiziert waren, die auf der Hand liegenden Probleme nicht sehen wollten und ihrer Lösung mit falschen Vertröstungen aus dem Wege gingen. Diese Typen, das versicherten sie sich untereinander hinter verschlossenen Türen, sahen zwar die Not der schwarzen Bevölkerung, denn blind im medizinischen Sinne waren sie ja nicht, aber zur Linderung der Not unterließen sie das Gebotene. Da sie zur Mannschaft der opportunistischen Denk- und Handlungsweise gehörten, deren Abzeichen eben das Fenster für den pretorianischen Blick war, wurden sie wie von einem hohen Baukran mit langem Arm herabgelassen und in die Sessel hoher Positionen mit allem Drum und Dran hineingehievt, ohne die sachlichen Qualifikationen dafür jemals ausgewiesen zu haben. Diese Typen waren nicht zur Hilfe gedacht, sondern vielmehr zur Obstruktion des Machbaren in einem System weiß gemachter Verhinderung. Sie waren politisch gedrillt und gewillt, sich abrichten zu lassen, und hatten eine Intelligenz, die eigentlich keine Intelligenz mehr war, ohne das Fehlende noch durch einen IQ-Test belegen zu lassen. Der Krieg wurde militärisch, politisch und psychologisch geführt, da gab es kein Entrinnen und auch keine Hoffnung mehr. Er uferte aus mit Einschüchterung, Folter und Verschleppung, es war zum Verzweifeln. Die Bevölkerung nahm es mit Tränen hin, was blieb ihr anderes übrig? Störmaßnahmen an allen Fronten der Kriegsführung waren in vollem Gange. Es war Kern der weißen Politik, den Freiheitsdrang der Schwarzen zu unterdrücken und zu töten. So griffen die sorgfältig geplanten Störmaßnahmen tief in die zivilen Gesellschaftsstrukturen hinein. Es war die weiße Absicht, unversöhnlich und hart zu bleiben. Die pretorianische Sichtweise ließ einen Kompromiss nicht zu, wie das großformatige, dick eingerahmte Präsidentengesicht im Zorn verkündete. So wurde Sand ins Getriebe des zivilen Ablaufs gestreut, um es zum Erliegen zu bringen. Steine des Stolperns wurden dort ausgelegt, wo sie am empfindlichsten störten. Als wäre die Not nicht schon groß genug! Auch wurden Steine geworfen, um zu verletzen und zu töten. Es traf das Hospital hart, wo ein Häuflein der „sieben Aufrechten“ mit allen Kräften versuchte, den Betrieb aufrecht zu halten, die Verletzten und Kranken zu versorgen, und den nötigsten Beitrag für das Leben der Menschen in Not zu leisten. Dass es überhaupt ein Hospital an dieser Stelle gab, das mit dem Zusatz „Schwerpunkt“ versehen war, ging auf die pretorianischen Vorausplaner und ihre südwestafrikanische Planungstruppe für den weißen Ernstfall zurück, der für sie unausweichlich schien. Sie betrachteten daher eine solche Einrichtung am Übergang vom westlichen zum mittleren Drittel der fünfhundertzwanzig Kilometer langen, geteerten, strategischen Verbindungsstraße vor und entlang der angolanischen Grenze als unverzichtbar. Diese Straße verband Ruacana im Westen, das Siedlungsgebiet der Ovahimbas, wo das Fließen des Kunene über die Jahrtausende ein Bett mit vielen Rinnen und Schneisen ins harte Gestein zwischen hochragenden Felsmassiven eingewaschen hatte und seit Urzeiten das Wasser tobend die einhundertzwanzig Meter tiefe Schlucht herabstürzte, mit Grootfontein, der großen Quelle tief ruhender Wasser im Osten. Dort war die große Nachschubbasis mit einer ausgebauten Landebahn für schwere Transportmaschinen, die über dem pretorianischen Militärflughafen Waterkloof (Wasserschlucht) mit Bäuchen voller kampferprobter Soldaten aufstiegen und sie auf kürzestem Wege zum zweitausend Kilometer nördlich gelegenen Ort der großen Quelle flogen. Die Straßenachse von Grootfontein westwärts hatte einen nördlichen Steigungswinkel von sieben bis zehn Grad und tangierte hinter der Minenstadt Tsumeb die nördlichen Ausläufer des Etoscha-Wildreservats mit der Fläche des ostafrikanischen Ruanda oder des norddeutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein. Die Straße lief vorbei an der von Weitem sichtbaren Fata Morgana der vorgetäuschten Seen über der weiten, sonnendurchglühten, zentralen Salzpfanne und ging weiter, kam der Grenze immer näher und schnitt die wie mit dem Lineal gezogene, waagerechte Grenzlinie vor den Ruacana-Wasserfällen in einem spitzen Winkel von etwa fünf Grad. Sie führte dann auf angolanischem Gebiet über eine lang gestreckte, urzeitliche Steinbrücke in das felsige Ausflusstal vor der geschleusten, zwölf Meter hohen Betonmauer des Ruacana-Staudamms, der das von erfrischenden Brisen überzogene, harmlos wellende Wasser in ein sonnenüberstrahltes Licht- und Binnenmeer hochstaute, wogegen der Laacher See wie eine dunkle, kleine Pfütze in der Erinnerung zurückblieb. Nach Überquerung des breiten, ausgewaschenen Tales zog die Straße in lang gezogenen, ansteigenden Serpentinen weiter, bis sie sich in den Schluchten der gigantisch aufgetürmten Bergketten im Angolanischen verlor. Das Wasser des Kunene floss in friedlichen Kurven inmitten einer unberührten Natur zwischen uferschmalen, lang gedehnten, tropischen Wäldern auf beiden Seiten und von zahlreichen Stromschnellen ermuntert westwärts der Mündung in den Südatlantik zu. Der Kunene war die natürliche Grenze im westlichen Norden des Landes, die seit Menschengedenken von patrouillierenden Krokodilen eifersüchtig bewacht wurde. Sie waren dem U-Boot um Jahrmillionen voraus, und nicht weniger getarnt waren ihre bei Nacht rot leuchtenden Punktaugen, die sie ganz nah über der Wasseroberfläche hielten, so nah, dass von ihrer gefährlichen Mächtigkeit im still stehenden Wasser über dem von Algen und Pflanzen begrünten Flussbett überhaupt nichts zu spüren war. Nicht weniger raffiniert war die natürliche Tarnung ihrer Liegeplätze zwischen hohem Gras und blattreichem Buschwerk. Diese Grenzwächter lauerten mit halb zugeknöpften Augen, als wären sie vom Wachen erschöpft und zur Reglosigkeit erstarrt, bis sie urplötzlich und in Blitzesschnelle nach der überraschten Beute schnappten, kein Pardon kannten und sie mit der tödlichen Wucht ihres bezackten Schwanzes wie mit einem Schwert erschlugen. Dem Staudamm waren ein Turbinenkraftwerk und ein Kanalsystem angeschlossen, beides unter südafrikanischer Hoheit gebaut, wobei das Kanalsystem abgezweigtes Stauwasser über einige hundert Kilometer bis in das Ovamboland führte. Die strategische West-Ost-Achse wurde in Tsumeb „T“-förmig, aber schief und asymmetrisch dem langen Strich der Südachse aufgesetzt, die mit Teerstraße und Schienen in das weiter südlich gelegene, zentrale Hochland mit dem vierhundertvierundvierzig Kilometer entfernten Windhoek, der Hauptstadt des Landes, führte. Von Windhoek gingen Straße und Schienen weiter nach Süden, wo sie nach siebenhundertsechsundachtzig Kilometern bei Noordoewer (Nordufer) den Oranje, die Grenze zu Südafrika überquerten. Es waren die „Futuristen“ unter den pretorianischen Planern, die erkannten, dass es im Ernstfall