Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

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Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens - Helmut Lauschke

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den Füßen weggezogen, den alten Baum ihrer Väter gefällt, zu Feuerholz zusammengehackt, oder gleich an Ort und Stelle angezündet und verbrannt. Ihre Vergangenheit wurde mit Stamm und Wurzel herausgerissen. Sie wurden ihrer Heimat beraubt und bis zur Bodenlosigkeit entrechtet. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich schlechter als ein Hund (der neben dem „Baas“ auf dem Beifahrersitz saß und Menschen wie sie verbellte) behandeln zu lassen, in primitiven „Squatter camps“ mit Frauen und Kindern zu hausen und sich die Willkür des ,Baas’ mit seinen gottlosen Flüchen und Beschimpfungen, dem Sklavenlohn und den Knüppel- oder Peitschenhieben gefallen zu lassen. Je mehr weiße Kirchen am Kap errichtet wurden, desto trostloser wurde das Leben für die, denen einst das Land gehörte. Sie wurden missioniert, indem die Weißen ihnen die Bibel mit dem reformierten Glauben, mit der sie einst land- und heimatlos aus Europa kamen, aufzwangen, dabei ihr angestammtes Land wegzwangen und eigentlich zwei Reformen gleichzeitig durchführten: die Glaubens- und die Bodenreform. Da gab es für sie keine Alternative mehr, als sich beiden Reformen zu fügen, wenn sie mit dem nackten Leben davonkommen wollten. Bei diesen Reformen gegen den eigenen Willen verloren die „Kap-Aborigines“ dann auch den eigenen Glauben an das Gute im Menschen und an die Rückkehr zur Scholle ihrer Geburt und Kindheit. Beides, den guten Glauben wie die geliebte Scholle, ist ihnen ganz gehörig ausgeprügelt worden. Da konnte sich keiner mehr vormachen, es gäbe noch etwas, wofür es sich zu leben lohnte. Damit sie nicht mit ihren Freiheitsgedanken umherzogen und irgendwelche Anstiftungen in dieser Richtung unternahmen, wurden sie wie beißende Hunde in „Squatter-camps“ eingesperrt, die sich in den Jahren zu stinkenden Slums der größten Armut und unglaublichsten Erbärmlichkeit auswuchsen. Dort konnte es eine normale europäische Nase mit all den Urin-, Verwesungs- und anderen Gerüchen nicht mehr aushalten. Zur weißen Landübersicht kam die weiße Menschenübersicht hinzu. Alle Menschen mussten bei den weiß durchgeführten Menschenkontrollen ein Ausweispapier vorweisen, in dem die Rassenzugehörigkeit durch einen dicken Stempelaufdruck vermerkt war. Da gab es neben „Blanke“ (Weißer) oder „Europeër“ auch „Indiër“, „Asiaat“, „Coloured“ und „Swart“ (Schwarz als Hautfarbe) oder „Swarte“ (der Mensch mit schwarzer Hautfarbe). Bei dieser Kasteneinteilung war die Hautfarbe mehr entscheidend als der breite Nasenrücken eines ,Cape-coloureds’ im Burengesicht, der laut Stempel weiterhin ein Weißer oder Europäer war und auch unbedingt sein wollte. Der Stempel entschied, wer sich frei bewegen konnte und wer nicht, wer das Recht auf Arbeit für guten Lohn, auf Gesundheit, Schule und Universität hatte und wer nicht. Der großen Mehrheit der Menschen blieb nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden, dass sie als Menschen mit dem Sammelvermerk „nicht weiß“ so weit zurückgestuft wurden, dass sie für unabsehbare Zeit den Weißen recht- und wehrlos auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren. Die Siedler und ihre Nachkommen machten es buchstabengetreu. Sie offenbarten ihre menschliche Seite, indem sie die Entrechteten als Billigst-Arbeitskräfte auf ihren Farmen verbrauchten, sie durch schwere Arbeit vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang erschöpften und sie und ihre Familien mit Hungerlöhnen am Leben hielten, solange sie für den „Landlord“ nützlich waren. Die von ihm gesetzten Arbeitsnormen mussten erfüllt werden, da ließ der „Baas“ nicht mit sich spaßen, der zur besseren Verständigung immer seinen Stock zur Belehrung bei sich führte. Fairness auf Gegenseitigkeit verstand der „Baas“ nur weiß, alles Schwarze ließ er von vornherein nicht gelten. Wollte es ein Schwarzer nicht glauben, dann setzte es gleich eine kräftige Ohrfeige. Einen Arbeitsvertrag oder ein Papier in dieser Richtung gab es nicht. Ein solches Papier sah sich der „Boer“ noch nicht einmal mit dem Hintern an. Wie es mit Frau und Kindern war, dafür hielt er sich nicht für zuständig, sei es im Krankheitsfall oder was die Schule für die Kinder betraf. Doch kam es vor, man musste es den Buren zugute halten, dass sie im Krankheitsfall den Kranken zum nächsten Hospital für Nichtweiße fuhren und gebrauchte Kleidung der eigenen Kinder, wenn sie zu sehr eingerissen war, für die Kinder der Arbeiter weitergaben. Weil das alles ohne stärkeren Widerstand möglich war, die Zulus im Zulukrieg verlustreich geschlagen wurden und in kleineren Gefechten auch die Khosas, hielten sich die Buren für stark genug, das Burenreich über dreihundert Jahre zu halten, was ihnen große Ernten, gute Weine und anderen Reichtum bescherte.

      Afrikaans war ihre Sprache, und die Sprache der Herrschaft zugleich. Dieser Sprache, weil sie so viel „Segen“ brachte, setzten sie ein großes Monument am Rande Pretorias. In die herrschende Burenklasse drängten sich erst später mit der zunehmenden Industrialisierung und Verstädterung durch die boomende Kohle-, Gold- und Diamantenschürfung andere Weiße hinein, deren Muttersprache Englisch war, wenn es sich um besonders kapitalkräftige Magnaten handelte. Da war es das Geld, was bei den Buren das Land und der Boden war. Was das Englische mit dem Afrikaans verband, war der eiserne Wille, das Land, das man zum Nulltarif den anderen durch gemeine Tricks abgeknöpft hatte, bis auf den Grund auszubeuten, wofür Millionen nichtweiße Hände zur Verfügung standen, um für peinliche Spottlöhne die Dreckarbeit zu machen. Das Teilen im Herrschen fiel den Buren nicht leicht, die selbst den Weißen, die nicht ihr Afrikaans sprachen, stets reserviert und mit Misstrauen gegenübertraten, weil sie die Brandzeichen der Hugenotten noch nicht vergessen hatten. So gehörte es zur klassisch burischen Denkweise, dass diesem Klub nur die „Auserwählten“ mit der reinen burischen Sprache angehören durften. Das viele Geld der Englischsprachigen machte der burischen Reinheit einen Strich durch die Rechnung, weil sich diese Geldsäcke regelrecht in den Klub der Herrschenden eingekauft hatten, wogegen die Sprache aus dem Flämisch-Holländischen auch nichts mehr ausrichten konnte. Dennoch blieb die Abneigung gegen andere Sprachen und anders Sprechende bis auf den Tag bestehen, so wie die tiefe Abneigung gegen alles Katholische bestehen blieb, ob römisch, griechisch oder russisch-orthodox.

      Die Glaubens- und Willensstärke sowie die angeborene Dickschädeligkeit waren typisch burische Merkmale, die beim Denken in längst aus- und festgefahrenen Einbahnstraßen eine Brillentendenz hatten, die vergrößerte, wenn es um die eigenen Belange ging, und verkleinerte, wenn es um die Belange anderer und um die übrige Welt ging. Fleiß und Ausdauer, erdbezogene Gründlichkeit und eine weiß bezogene Frömmigkeit mit einer unvorstellbaren, konsequent eingehaltenen Rücksichtslosigkeit gegen Menschen der nichtweißen Hautfarbe haben dem Burenvolk einen Wohlstand gebracht, der bemerkenswert und ungewöhnlich deshalb ist, weil sie so viel Grundbesitz und Reichtum in Europa mit rechten Dingen nie erworben hätten. Die Buren haben außer diesen Dingen, über die man rechtlich zumindest anderer Meinung sein kann, bedeutende Prediger, Ärzte, Professoren der calvinistischen Theologie und Wissenschaftler, große Schriftsteller und Künstler hervorgebracht. Da gibt es keinen Zweifel. Die Politiker der afrikaansen Sprache sollten aber auch nicht unerwähnt bleiben, die es mit ihrem Erzkonservatismus, der Wagenburgmentalität und der weißen Blindheit durch die Hautfarbenorthodoxie geschafft hatten, sich von der großen Völkerfamilie durch ihr Auserwähltsein abzusondern. Sie waren es, die stets geneigt waren, die schwarze Problematik nicht erst zu erwähnen, und wenn sie es, aus welchen Gründen auch immer, trotzdem taten, dann setzten sie die bewährte Verkleinerungsbrille auf, die in der untersten Schublade der Apartheid für diese Fälle bereitlag. Es war eine vorpräparierte Spezialbrille mit einem verschnörkelten breiten Rahmengestell, in das zwei auffallend enge Gläser des eckigen Querformats eingefasst waren. Die Gläser standen wie bei der Lupenbrille eng zueinander und berührten den Nasenrücken direkt. Doch sie verkleinerten anstatt zu vergrößern. Um alle Unsicherheiten beim Durchblicken zu vermeiden und allen Eventualitäten vorzubeugen, waren die Gläser zusätzlich mit einer dicken Weißschicht überzogen, die jedem Abkratzversuch makellos widerstand. Es gehörte schon zur Routine, dass weiße Politiker vom Burengeschlecht sich diese Brille in dem Augenblick auf die Nase setzten, wenn sie auf die schwarzen Probleme zu sprechen kamen, und der Redner durch ihren Gebrauch weder in Schwarz sehen noch schwarz sehen konnte. Und weil er jedes Mal weiß sah, wo er hätte schwarz sehen sollen, glaubten ihm am Ende der Rede die meisten Weißen auch dieses Weiß, weil sie bereits weiß kontaminiert waren und es schwärzer auch nicht sehen wollten. Dennoch gab es wenige der weißen Zuhörer, deren Zahl mit den Jahren stieg, die da schwarze Bedenken hatten, sich besorgt anschauten und einander zuflüsterten, dass auch dieser Politiker von der weißen Blindheit geschlagen sei. Eine Vorliebe hatten die Präsidenten und ihre getreuen, politisch hörigen Gefolgsleute gemeinsam, nämlich dass sie Gott mehrere Male in ihren lang gezogenen, einseitig abgestumpften Reden beim Namen nannten, wo sein Name gar nicht angebracht war. So sprachen

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