Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

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beschränkten Arbeitserlaubnis gerechnet hatte, widersprach dieses Telefonat seinen Erwartungen nicht. Doch eine echte Freude kam nicht auf, als er den Telefonhörer auflegte. Das mochte am anderen Ende der Leitung anders verstanden und dem Auftrag entsprechend quittiert worden sein, als eine dienstbeflissene Erledigung in einer nicht normalen und nicht bequemen Angelegenheit. Der Freund hatte in vertraulichen Gesprächen bereits zur Kenntnis gebracht, dass es der pretorianischen Politik gar nicht ins Konzept passte, wenn ein Zivilarzt im hohen Norden am Hospital arbeitete, wo der Entscheidungskampf um die Unabhängigkeit Namibias mit Härte ausgetragen wurde. Die Buren in den Sesseln der Macht sahen in jedem Zivilisten, der dort arbeitete, die Gefahr der Kollaboration mit der schwarzen Bevölkerung, die ihren anachronistischen Ansprüchen nach einem Status quo nur schaden konnte. Die Annahme war realistisch, dass die Sache „Dr. Ferdinand, Oshakati“ vom Misstrauen begleitet wurde und seine Akte nach dem geführten Telefonat einen handgeschriebenen Eintrag bekam, der diesem Misstrauen Rechnung trug und mit Stempel und Datum dort abgelegt wurde, wo die anderen Akten der Unerwünschten bereits lagen. Es entsprach den „regulations“, dass alle sachbezogenen Einwände der anderen Seite, die von Dringlichkeit sprach, was wirklich nicht übertrieben war, erfolglos bleiben mussten, da trotz aller Notwendigkeit die vorgelegten Dokumente mit den ins Englisch gebrachten und beglaubigten Übersetzungen als wertlos verworfen wurden. Jubelrufe und Schulterschlag waren nach dem Telefonat nicht angebracht. Dr. Witthuhn rollte mit dem Schreibtischstuhl hin und her. Er sagte: „Jetzt müssen wir deine Sache in Ondangwa voranbringen.“ Dr. Ferdinand nahm es gefasst zur Kenntnis, natürlich enttäuscht, dass ihm trotz der Notsituation im Norden unweit der angolanischen Grenze und seiner langjährigen Tätigkeit als Chirurg in Deutschland die gebotene Anerkennung durch das Council verweigert wurde. Das ernste Gesicht von Dr. Witthuhn entsprach dem Ernst der Lage. Dr. Ferdinand akzeptierte voll, dass der Freund, Arzt und Superintendent sich in den Mühlen der Bestimmungen des Councils auskannte und sein Bestes tat, einen Zivilisten an das Hospital zu bekommen und trotz der „regulations“ die Forderung nach Anerkennung seines deutschen Facharztes vortrug. Die Dringlichkeit, einen solchen Arzt vor Ort tätig werden zu lassen, und der bescheidene Teilerfolg, als „Medical officer“ wie die jungen, uniformtragenden Ärzte am Hospital und ausschließlich an diesem zu arbeiten, veranlasste Dr. Ferdinand, sein Leben zu überdenken und die weiteren Überlegungen mit dem Herumblättern in den Büchern der Bibliothek zu verbinden. Unterdessen wollte Dr. Witthuhn die Bantu-Administration von dem Telefonat unterrichten und dafür sorgen, dass die nötigen technisch-bürokratischen Maßnahmen unverzüglich getroffen werden, um eine weitere Verzögerung zu vermeiden.

      „Afrika, wie es lebt und leidet“, dachte Dr. Ferdinand, als er das Büro verließ und auf dem Weg zur Bibliothek an tuchverhängten Fenstern vorbeiging, die dicht aneinander gereiht in dünne Asbestwände eingelassen waren, welche den Faustschlag mit einem dumpfen Hohlklang schluckten. Die Fenster, auf denen das Licht der hoch stehenden Sonne lag, wiesen innen solide Schmierschichten von herumgefahrenen Fingern auf. Die Tücher hinter den Fenstern waren längst vergilbt, zerrissen und dreckig, so dass die ursprünglichen Farben und Muster nur noch an den Rändern auszumachen waren. Nachdem er sieben Fenster passiert hatte, bog er im rechten Winkel nach links und nach weiteren dreißig Metern vor dem weit geöffneten Eingang zur Teeküche der Kantine nach rechts. Im Gang vor der Teeküche stand gegen den linken Türflügel gelehnt, dessen Glasfüllung eingedrückt und von Rissen durchzogen war, ein in Afrikaans freundlich grüßender Ovambo mittleren Alters im weißen Küchendress, dem auf dem Rücken zwei handflächengroße, braune Flecken saßen und über dem rechten Gesäß und der Vorderseite des linken Hosenbeins über dem Knie ebenso große Flicken aufgenäht waren. Es war zehn nach zwölf, die Zeit, zu der er beide Türflügel weit geöffnet hielt, und auf den „Silberwagen“ wartete, den sein Kollege mit gefüllten Schüsseln und Töpfen von der Hauptküche auf dem betonierten Gang heranrollte. Nachdem man diesen über die stählerne Schwellenleiste gehievt hatte, wobei es kräftige Schläge gegen die Laufrollen gab, verschwand der sperrige „Silberwagen“ in der Teeküche, und die Türen wurden geschlossen. Dr. Ferdinand war nicht nach Essen zumute. Er lief um das Kantinengebäude herum und stand kurz darauf vor der verschlossenen Tür zur Bibliothek. „Auch das ist Afrika“, dachte er. Während er für Minuten vor der verschlossenen Tür stand und es gelassen hinnahm, dass sie sich trotz mehrmaligen Klopfens nicht öffnete, befiel ihn die dunkle Befürchtung, dass mannigfaltige Probleme, die mit seiner Person zusammenhingen, nicht nur zu erwarten, sondern bereits vorprogrammiert waren. Es war ein Konglomerat von durcheinander laufenden Gedankenfäden, ein volvoxartiges Gebilde mit vielen Stacheln, deren spitze Enden mit dem Gift der bleibenden Lähmung überzogen waren. Das Stechen dieser Stachel war wie das Stechen der Anopheles, wenn sie die Plasmodien der Malaria überträgt, man merkte es zu spät. Das Gift der bleibenden Lähmung empfand er als drohende Gefahr. Doch was konnte er dagegen tun? Er dachte in diesem Zusammenhang an die jagenden Buschmänner, die aus dem getarnten Hinterhalt mit sicherer Hand den Bogen mit dem gifttragenden Pfeil so lange gespannt halten, bis der richtige Augenblick gekommen ist, in dem sie den Pfeil nach mehrtausendjähriger Übung so präzise abschießen, dass er das ahnungslose Wild nicht verfehlt und es mit der tief eindringenden, vergifteten Pfeilspitze in seiner Atmung lähmt und tötet. Dr. Ferdinand kam bei der Betrachtung vor der verschlossenen Bibliothekstür nicht umhin, seine persönlichen Probleme im größeren Zusammenhang zu sehen und die Punkte des Anstoßes im politischen Karussell eines anachronistisch verklemmten Systems zu suchen, in dem es das Syndrom der verkennenden Anmaßung gab, die zur blinden Uneinsichtigkeit und hartnäckigen Gehörlosigkeit, zum dahinsiechenden Stumpfsinn und zur verzweifelten Sturheit mit flächendeckender Dummheit, wutschnaubender Arroganz und weiß gemachter Ignoranz geführt hat. Das Übel lag auf der Hand, doch die Zeichen des Systemverfalls waren unübersehbar. Das Absterben der weißen Ansprüche und Privilegien, die wie ein wachsender Tumor das gesunde Gesellschaftsgewebe verbraucht, ja aufgefressen hatten, war unaufhaltsam. Das System war verzerrt, angerissen, ermüdet und krank. Die Wenigen in den Sesseln der Macht hatten ihre Begierde überzogen, und sie erkannten es erst, als es zu spat und nichts mehr zu retten war. Dr. Ferdinand dachte an den schrittweisen Persönlichkeitsverfall bei der degenerativen Hirnerkrankung vom Typ Alzheimer, ein Vergleich, der aus neurologischer Sicht gar nicht so abwegig war. Und was war mit dem Krieg, der so viel Leid über die Menschen brachte? Er war moralisch nicht begründbar und politisch wie strategisch falsch. Das Konzept der Gewaltanwendung konnte noch nie ein Problem dauerhaft lösen. Es war überholt und anachronistisch zu dem, was die Zeit für die Menschen bereithielt, was ihnen mit der UN-Resolution 435 versprochen war und sich am Horizont immer deutlicher abzeichnete. Krieg war die Sprache jener, denen der Wille und die Worte zur Versöhnung fehlten, die mit ihrer Blindheit und den abgelatschten Reden keinen Hund mehr aus seiner Hütte hervorlockten. Krieg war die Sprachlosigkeit der wortfalschen Weißmacher, der strategisch das weiße Überleben in Komfort und Wohlstand bis ins Greisenalter eines Methusalem sicherstellen sollte. Dafür standen die Zeichen allerdings unter einem schlechten Stern, der kaum noch leuchtete und im Untergehen begriffen war. Keiner traute eigentlich diesem Stern noch viel zu. Was das System noch zu bieten hatte, waren Dinge, die mit einem gewollten Versäumnis und einem ungewollten Verfall zu tun hatten. „Kann es noch ein Zurück geben?“, fragte sich Dr. Ferdinand. Er kam nach längerem Nachdenken zum Nein, weil für ein Zurück der Schaden zu groß war, und ein Zurück in die alten Zustände ein noch größeres Unrecht, etwas ganz Schreckliches für die vielen Menschen gewesen wäre, die über Generationen zurückgestuft und bis zur völligen Entwürdigung erniedrigt waren. Dr. Ferdinand hatte sich in den drei Wochen davon überzeugen können, dass die Bevölkerung nicht nur ein großes Leid auf sich genommen hatte, dessen Ausmaß unbeschreiblich war, sondern dass sie trotz barbarischer Brutalität und vorgehaltener Pistole nicht einzuschüchtern war und den Freiheitsgeist lebendig hielt. Die Menschen wussten, dass man das System auch mit Waffengewalt und Verschleppung nicht mehr aufrechterhalten konnte. Wach und wachsam waren die Menschen, denn sie warteten lange genug auf das Ende der weißen Herrschaft. Die Schwarzen wollten, dass man sie wieder als Menschen achtete, die den Zugang zu den Schulen und Universitäten begehrten. Sie sprachen es aus: Intelligenz sollte entscheiden und nicht die Hautfarbe. Es überraschte die Menschen nicht, dass in der Phase der weißen Agonie alles nur Denkbare auf den Schreibtischen der systemkonformen, von Blindheit geschlagenen Subalternen ausgeheckt und mit den Oberen und Obersten abgesprochen wurde.

      Da sich

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