Eine irische Ballade. David Pawn

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Eine irische Ballade - David Pawn

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      Die Vögel über mir waren leider schon geflohen, als ich mit der ersten Strophe begonnen hatte. Sie fühlten sich bei ihrem eigenen Gesang gestört. Als jedoch eine Krähe über mir einen Anflug Richtung Wald wagte, geriet sie in meinen Schalltrichter, kam ins Trudeln und schmierte ab.

      Ich sah ein paar Leute auf dem Weg, die die Hände an die Ohren pressten und wie von Furien gehetzt Richtung Kurhaus davonstoben. Nur Daniel stand ungerührt keine drei Schritte entfernt da. Er sah und hörte interessiert zu.

      Die Krähe konnte mit Mühe eine totale Bruchlandung vermeiden. Sie blickte mit ihren Kohlenaugen zu meinem Begleiter auf und flüchtete zu Fuß.

      Ich sang lauter. Vom Dach eines unweit stehenden Hauses fiel eine Taube auf die Straße, als der Held des Liedes gerade erklärte, dass man Wasser nicht schießen könne. Die alten Iren kannten keine Wasserwerfer.

      Wieder kam ich beim Refrain an. Eine weitere Krähe fiel mir zum Opfer. Diese kam tatsächlich Schnabel voran wie ein Kamikaze-Flieger auf dem Rasen auf und war hinüber.

      Daniel machte einen Schritt auf mich zu. „If anyone could help …“ Ich verstummte mitten im Vers. Obwohl ich den Eindruck gewonnen hatte, dass meine Stimme für Daniel keine Gefahr darstellte, wollte ich doch kein Risiko eingehen.

      „Du bist wirklich eine Banshee?“ Ich nickte. „Wie viele hast du auf dem Gewissen?“

      Das alte Missverständnis, da war es wieder. „Ich habe niemanden auf dem Gewissen“, erklärte ich. „Alles was eine Banshee tut, ist trauern, bevor ein Todesfall eintritt. Ich kann vorhersehen, wenn jemand aus der Familie stirbt, mit der ich verbunden bin, aber ich rufe nicht den Tod herbei. Und in der Nacht, bevor wir uns kennenlernten, ist der letzte der Familie Carr verstorben. Ich war plötzlich frei, aber auch … heimatlos.“

      Ich wusste nicht, wie ich es besser hätte ausdrücken sollen.

      „Und was war das gerade?“ Daniel wies auf die tote Krähe zu unseren Füßen.

      „Damit können wir uns verteidigen. Früher lebten Banshees meist allein im Wald. Da gab es wilde Tiere, Räuber und Schlimmeres.“

      „Schlimmeres?“ Daniel sah mich forschend an.

      „Werwölfe. Die sind aber ausgestorben. Zusammen mit den echten Wölfen. Es gibt irgendwo im Nordosten der USA eine Restpopulation.“ Ich wedelte mit den Händen in die Richtung, in der ich gerade den Atlantik vermutete – also irgendwo hin. „Im Bundesstaat Maine, wenn du weißt, wo das ist. Sind aber nicht mehr viele. Man sollte die Art eigentlich unter Schutz stellen, wenn du mich fragst.“ Mit noch immer unsicherem Schritt trat ich zu Daniel. Am Rand der Wiese, auf der wir jetzt standen, gab es einen kleinen Menschenauflauf. Alle blickten zu mir und meinem Begleiter hinüber.

      „Komm, lass uns verschwinden, ehe jemand die Polizei ruft. Wir sind hier in einem Kurort, da wollen die Leute ihre Ruhe und keine lärmenden Betrunkenen.“

      „Ich bin keine lärmende …“ Ich verstummte. Natürlich war ich angetrunken. Gelärmt hatte ich reichlich. Was würde also jeder von mir sagen?

      Wir kehrten auf den Kiesweg zurück und machten uns eilig auf den Weg in Richtung Hotel. Wir bogen jedoch nicht dorthin ab, sondern folgten weiter dem Lauf der Oos. Die Zahl der Kurgäste, die sich noch bis hierher verliefen, war spärlich.

      „Glaubst du mir jetzt?“, fragte ich.

      „Ja. Ich weiß nur nicht, ob es das für mich leichter macht.“

      „Wieso?“ Ich blieb stehen. Daniel verhielt den Schritt ebenfalls, wandte sich zu mir um und sah mich an.

      „Du sagst, du kannst vorhersehen, wenn jemand stirbt?“ Er blickte mich seltsam an, als er das fragte.

      „Nicht irgendjemand. Jemand aus der Familie, zu der ich gehöre … gehört habe.“

      Dann stellte er die eine Frage, die ich, jetzt wo er mir glaubte, am meisten gefürchtet hatte: „Was hast du gesehen, als wir uns kennengelernt haben?“

      Er fragte gar nicht erst, ob ich etwas gesehen hätte. Das war ihm bereits klar.

      Ich schluckte. So nüchtern wie in diesem Moment war ich seit Stunden nicht mehr. Die Wahrheit? Konnte ich ihm wirklich sagen, er wäre bei einem Unfall gestorben, wenn ich nicht eingegriffen hätte? Nein, das war keine Grundlage für eine Beziehung. Das war mir selbst angesichts einer Wirklichkeit klar, die sich leicht um mich zu drehen schien.

      „Christian“, log ich. „Ihr hättet einen Unfall auf dem Rückweg gehabt und er wäre dabei ums Leben gekommen. Ich weiß nicht, wie dein Leben weitergegangen wäre, aber ich kenne dich inzwischen gut genug, um zu ahnen, dass du dir dein Leben lang Vorwürfe gemacht hättest. Du hast mir von diesem Schulfreund erzählt, und wie du dich damals gefühlt hast.“

      „Und da hast du sofort eingegriffen. Ist das normal für eine Banshee?“

      „Nein, eigentlich nicht, aber, ich hab’s ja schon gesagt, der Letzte der Carrs war gerade gestorben. Damit war ich keine richtige Banshee mehr. Vielleicht wollte ich auch einfach keine mehr sein. Jedenfalls sah ich diesen Unfall und dachte, ich müsste nur dafür sorgen, dass du und Christian nicht gemeinsam heimfahren, dann würde sich die Zukunft in eine andere Bahn bewegen. Und so ist es auch gewesen.“

      „Wenn ich Christian das …“, begann Daniel.

      „Nein“, unterbrach ich ihn sofort, „bitte nicht. Er darf es niemals erfahren.“

      Daniel wurde wieder still und dachte nach. „Das heißt, du hast in jener Nacht nur mit mir geschlafen, weil du Christian retten wolltest?“

      Ich schüttelte den Kopf. Anschließend umhalste ich Daniel einmal mehr und hielt ihn fest, damit er nicht wieder davon lief. Und auch damit er sich nicht weiter drehte. „Nein. Ich hätte dich auch nach ein paar Drinks nach Hause schicken können, so wie du es damals vorgeschlagen hast. Du hättest nicht mehr fahren können und ihr hättet ein Taxi genommen. Ich habe mit dir geschlafen, weil ich damals schon gespürt habe, dass du jemand Besonderes bist.“

      „Sicher?“

      „Ganz sicher. Lass dir das von einer weisen, alten Frau gesagt sein. Ich habe meine große Liebe ziemlich spät getroffen.“

      „Bist du sicher, dass das wahr ist?“ Daniel war noch immer skeptisch in Bezug auf unsere Beziehung.

      „Wie meinst du das?“ Ich ließ ihn los, um ihm in die Augen sehen zu können.

      „Du hast etwas von einem Fluch gesagt, der durch mich gebrochen worden ist. Vielleicht … vielleicht bin ich nur ein Mittel zum Zweck. – Warte! Hör zu! Mag sein, du bist dir gar nicht darüber klar. Du denkst, du liebst mich, aber in Wirklichkeit bist du nur dankbar, weil ich diesen Fluch gebrochen habe.“ Er verstummte.

      „Nein.“ Ich schüttelte energisch den Kopf. „Nein, da ist mehr. Wir waren in den letzten Wochen so oft zusammen. Da ist etwas in mir, das mich zu dir hinzieht. Das kann nicht nur Dankbarkeit sein.“

      „Dann sag es.“

      „Was?“

      „Dass du mich liebst. Sprich es aus.“

      Und das tat ich.

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