Eine irische Ballade. David Pawn

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Eine irische Ballade - David Pawn страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Eine irische Ballade - David Pawn

Скачать книгу

allerdings wohl anders, als es dieses Lied meinte. Bei mir bedeutete es, dass meine Gegner am Pokertisch ein Blatt zu sehen bekamen, das ihnen klar machte, einmal mehr geschlagen worden zu sein.

      Ich kann auch nicht behaupten: „I’ve been undressed by kings“. Im Gegenteil, ich habe oft genug den Besitzer eines Paares Könige mit Assen bis auf das Hemd ausgezogen.

      Die nächste Zeile dagegen kann ich unterschreiben: „I’ve seen some things that a woman ain’t s’posed to see.“

      Ich war mit Nymphen geschwommen, hatte mit Kobolden gemeinsam eine Bank ausgeräumt und meinen Anteil für einen Geburtsnachweis eingetauscht, und mehr als genug hatte ich Menschen gesehen, die starben.

      Sie starben im Bett, weil sie alt oder krank waren.

      Sie fielen im Krieg, oft für eine sinnlose Sache. Selbst wenn sie für die Freiheit starben, waren es immer andere, die ihnen sagten, dass es sich lohnen würde, dafür das Leben zu geben.

      Sie starben bei Unfällen, manche durch eigene Dummheit, manche durch die Dummheit anderer verschuldet.

      Sie töteten sich selbst. Aus Angst, aus Liebe, aus Verzweiflung.

      Ich kann nicht mit dem Lied behaupten „I’ve been to paradise.“ Eher war ich hin und wieder in der Hölle. Aber eines ist sicher: „I’ve never been to me.“

      Und plötzlich war alles anders. Da war die Chance auf ein richtiges, durchschnittliches Leben. Einige werden jetzt sagen, es wäre blödsinnig sich so etwas zu wünschen, wenn man nicht älter wurde. Es wäre dumm, ein paar glückliche Jahre dafür einzutauschen, normal zu altern und plötzlich nur noch fünfzig oder sechzig davon vor sich zu haben. Aber wenn ein Fluch auf Ihnen lastet, der Sie zwingt, zuzusehen, wie Menschen dem Schnitter anheimfallen, und anschließend tagelang nichts weiter zu tun, als zu heulen, sieht die Sache doch ein wenig anders aus. Dennoch fragte ich mich kurz, ob ich das wirklich wollte. Ob ich wirklich bereit war, alles was ich bisher erlebt hatte, gegen ein paar hoffentlich glückliche Jahre einzutauschen.

      „Du weißt nie wirklich, was du willst“, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Es war eine Stimme, die ich gut kannte. Ich brachte sie mit Cornwall in Verbindung und legte absolut keinen Wert darauf, sie jetzt zu hören.

      „Sei still, Aimee“, sagte ich. Ein Eichelhäher, der sich gestört fühlte, kreischte aufgebracht und alarmierte so das Getier in meiner Nähe.

      Ich erhob mich von der Bank und wanderte ein wenig durch den Wald. Hin und wieder raschelte es im Unterholz. Das mochten kleine Vögel oder andere Tiere sein, oder es waren Kobolde.

      Als ich mich endlich auf den Weg zum Hotel machte, musste ich mich sogar sputen, um den Zeitpunkt meiner Verabredung nicht zu verpassen. Ja, ich war eine Frau, es stand mir zu, ihn warten zu lassen, aber ich wollte es nicht gleich beim ersten Treffen darauf ankommen lassen.

      Es wurde ein schöner Abend. Und auch der folgende Tag, den wir damit verbrachten, durch die Kuranlagen von Baden-Baden zu lustwandeln, ist mir als wunderbar in Erinnerung.

      Es begann eine Zeit, in der Daniel und ich uns nahezu täglich sahen, allerdings oft viel zu kurz, weil meine Arbeitszeit in den Abendstunden begann, wenn er endlich frei hatte. Dennoch waren dies die Stunden des Tages, für die wir beide lebten.

      Ich hielt mich ziemlich bedeckt, was meine Person betraf, denn ich war mir nicht sicher, wie er es aufnehmen würde, wenn ich ihm von meinem Leben als Banshee berichtete. Daher war ich zumeist diejenige, die die Fragen stellte. Wenn Daniel andererseits etwas über meine Vergangenheit wissen wollte, so lenkte ich ab und fühlte mich schlecht dabei. Mir war klar, dass es so nicht ewig würde weitergehen können, aber ich redete mir ein, dass die Wahrheit mit jedem Tag, den wir gemeinsam verbrachten, leichter auszusprechen sein würde. Er würde mich kennen und lieben gelernt haben, und so nehmen, wie ich war.

      Ich erfuhr von Daniel, dass er fast ein Jahr mit einem Mädchen zusammen gewesen war, das in Karlsruhe Musikjournalismus studiert hatte. Wie das bei Beziehungen so passiert, die im Wesentlichen am Wochenende und per Handy stattfinden, hatte sie einen anderen gefunden, der mehr zur Verfügung stand. Daniel war sehr enttäuscht gewesen. Sein Interesse am weiblichen Geschlecht war nahezu ein halbes Jahr lang erloschen. Er war ein Ganz-oder-gar-nicht-Typ. Umso verwunderlicher war es, dass er sich auf meine Einladung ins Hotel an jenem ersten Abend eingelassen hatte. Ich kam immer mehr zu der Überzeugung, hier müsse Magie im Spiel gewesen sein.

      Er und seine Verflossene hatten sich durch sein Hobby kennengelernt. Daniel schrieb in seiner Freizeit Lieder und träumte von einer Band. Er war ein Fan von sogenannter Mittelaltermusik, also nicht etwa Musik aus dem Mittelalter, sondern moderner Musik, die in dem Stil jener Zeit gehalten war. Da gab es Bands mit Namen wie „Schandmaul“, „Die Wilden Weyber“ und „Wolfenmond“. Ich wusste nicht recht, was ich von diesen Leuten halten sollte. Ich hatte diese Zeit mitgemacht und fand, sie glorifizierten sie einfach zu sehr. Mag sein, wer den Dreck, das Elend, den Gestank und den Tod nicht miterlebt hatte, fand Gefallen an der Vorstellung von Freiheit, Wildheit und Naturverbundenheit. Aber Leibeigenschaft war das glatte Gegenteil von Freiheit, und wenn Wildheit bedeutet, dass dir irgendein Junker grundlos den Schädel spalten kann, weil es ihn gerade überkommt, und Naturverbundenheit bedeutet, dass der Kot in Bächen durch die Straßen läuft, kann ich gut auf das Mittelalter verzichten.

      Aber die Menschen trauern gern vergangenen Zeiten nach und glauben, damals wäre alles besser gewesen.

      Im Internet hatte er die angehende Musikjournalistin über ein Forum kennengelernt. Man tauschte die E-Mail-Adressen aus, schrieb sich erst hin und wieder, dann immer öfter und traf sich schließlich in Karlsruhe. Zu meinem Glück hatte es nicht gehalten, sonst wären Daniel und ich uns wahrscheinlich nie begegnet.

      Daniel erzählte mir auch von einem Erlebnis aus seiner Kindheit, das ihn damals sehr mitgenommen hatte. Als er zehn gewesen war, wurde einer seiner besten Freunde von einem Autofahrer angefahren und starb. Der Freund war mit seinem Fahrrad unterwegs zu ihm gewesen, und er hatte sich lange Zeit Vorwürfe gemacht.

      „Verstehst du, was ich meine?“, hatte er mich gefragt. „Dieser Typ im Auto war betrunken gewesen, als der Unfall passierte, aber dennoch habe ich mich schuldig gefühlt, weil Ben zu mir kommen wollte, als es passiert ist. Ich hätte viel dafür gegeben, wenn ich es hätte ungeschehen machen können.“

      Als Daniel das sagte, wurde mir schwer ums Herz. Was würde er nach so einem Erlebnis von einer Banshee halten?

      Im Oktober eröffnete mir Daniel, dass er eine Anstellung in Baden-Baden gefunden hatte, im Hotel „Zum Hirsch“. Es ist ein altes Bürgerhaus, Jugendstil außen und in den Zimmern, mit schmiedeeisernen Balkonen und einem Hirschmosaik direkt vor der Eingangstür im Straßenpflaster. Und als besonderes i-Tüpfelchen gibt es Thermalwasser in den Zimmern. Daniel war stolz wie ein Spanier. Besser konnte es im ‚Brenners‘ auch nicht sein, nur teurer.

      Daniel und ich begannen, ein gemeinsames Leben in einer Wohnung zu zweit zu planen.

      Wie gesagt, hatte ich bis zu dieser Zeit wenig über meine Vergangenheit gesprochen. Daniel musste annehmen, ich wäre eine normale, junge Frau von 23 Jahren, die sich einfach in ihn verliebt hatte. Letzteres, also das einfach verliebt haben, stimmte natürlich, bloß das Alter stimmte nicht. Aber wenn wir eine gemeinsame Zukunft beginnen wollten, musste er alles wissen. Also erzählte ich es ihm eines Abends bei Kerzenschein in einem spanischen Kellerrestaurant. Ich hatte einen öffentlichen Ort für die Offenbarung gewählt, weil ich mir dachte, dort könne er nicht einfach laut schreiend davon laufen.

      Ich begann, nachdem wir unser Dessert verputzt und einmal mehr mit Rotwein angestoßen

Скачать книгу