Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich

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Im Eckfenster - Gerstäcker Friedrich

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ich keine Worte geben kann und das mir doch trotzdem zuweilen den Atem versetzt und das Blut in den Adern stocken macht.“

       „Aber was für ein Gefühl, Constanze?“ bat Dürrbeck. „Haben wir nicht die Hauptschwierigkeit überwunden – und was anderes könnte dir noch Sorgen oder Bangen machen? Dein Kontrakt?“

       „Ich weiß es nicht; die lange Zögerung vielleicht, die Ungewissheit dessen, was dazwischen liegt – aber das auch nicht – mehr ein unbestimmtes etwas, wie eine Ahnung drohenden Unheils. Und doch, wenn ich vernünftig darüber nachdenke, so bietet sich mir kein Anhalt an irgendetwas.“

       „Träume, mein Schatz“, lächelte Dürrbeck. „Schweres Blut, du machst dir zu wenig Bewegung, und ich fürchte auch“, setzte er leiser hinzu, „die Kost hier im Haus ist für dich und deine ewige geistige Aufregung wie körperliche Anstrengung auf der Bühne nicht kräftig, nicht nahrhaft genug.“

       „Die Leute tun wirklich, was sie können, Bernhard“, sagte Constanze gutmütig. „Aber es ist auch nicht das, denn sobald du bei mir bist, schwindet dieses fast tötende Gefühl im Nu und mir ist so wohl und leicht, dass ich aufjauchzen möchte in Lust und Seligkeit.“

       „Mein Herz, mein liebes Herz“, dankte ihr der junge Mann, sie wieder fester an sich ziehend. „Aber nun schüttle auch die bösen Träume ab, die mein armes Mädchen nicht viel länger mehr quälen sollen. Ich habe heute wieder einen gar so lieben Brief von meiner guten Mutter gehabt, die dich einladen lässt, die Ferien, wenn bis dahin unsere Verbindung noch nicht geschlossen wäre, auf unserem Gute zuzubringen.“

       „Die gute Mutter...“

       „Ich habe dir den Brief mitgebracht; lies ihn heute Abend durch, wenn du allein bist, er wird dir so viel Freude machen, wie er mir gemacht.“

       „Ich danke dir, Bernhard – ich danke es deiner Mutter, die der armen, heimatlosen Waise so freundlich ihre Arme geöffnet hat.“

       „Und noch immer so traurig, Herz, so niedergedrückt? Ich bin ja bei dir jetzt, und da dürfen keine trüben Gedanken in dir weilen.“

       „Du hast Recht, Bernhard,“ sagte das schöne Mädchen, indem ein Lächeln über ihre freilich noch immer bleichen Züge glitt. „Du solltest mich schelten, dass ich so undankbar gegen dich bin, und doch ist es ja nur meine Liebe zu dir, die mich sorgen und mich ängstigen lässt – für mein eigenes Selbst lebt kein Gedanke in mir.“

       „Meine Constanze, mein süßes, herrliches Mädchen – aber ich muss wieder die rosigen Grübchen in deinen Wangen sehen“, sagte er kosend, indem er sie zu dem Ruhefauteuil am Fenster führte. „Komm‘, da setz dich hin, und ich erzähle dir meinen heutigen Besuch bei deinem Direktor.“

       „Du warst dort?“ rief Constanze hastig. „Und was hat er gesagt? Er weigert sich natürlich – ich bat dich gleich, den nutzlosen Versuch gar nicht zu machen. Er ist ein Geldmensch und weiter nichts.“

       „Bitte, mein Schatz“, lachte Dürrbeck. „Er ist auch noch etwas mehr, und zwar der komischste Kauz, der mir in meinem ganzen Leben vorgekommen ist. Denke dir, er studierte den Tasso – und hatte dazu noch seine Locken in Papilloten!“

       Constanze lächelte.

       „Und das noch nicht genug, Hans Solberg ärgerte ihn, und nachdem er uns gehörig angedonnert, ging er durch eine richtige und wahrhaftige Versenkung in die untere Etage!“

       „Das sieht ihm ähnlich“, lachte Constanze, von deren Stirn die trüben Schatten jetzt im Nu gewichen waren. „Aber er macht noch andere, tollere Geschichten. Er hat in seiner Wohnung auch eine ganz richtige Blitz- und Donnermaschine, und wenn einzelne vom Theater ihn mit Anliegen quälen, Vorschuss haben wollen und dergleichen, so ließ er den Donner los und verschwand in einem grellen Blitze...“

       „Es ist doch kaum denkbar...“

       „Die Sache ist ihm aber gelegt worden“, lachte Constanze. „Denn neulich war auch einmal ein Ratsdiener bei ihm, der die fälligen oder überfälligen Steuern einkassieren sollte, und den verblüffte er dermaßen durch grelle Blitze und Donner, während er ebenfalls verschwand, dass der Mann die Treppe hinabsprang und unten die Feuerwehr alarmierte. Seitdem ist ihm das Blitzen sowohl wie das Donner, über das sich die Nachbarn schon mehrfach beklagt hatten, verboten worden, aber seine Versenkung benutzt er nach wie vor.“

       „Aber sag‘ einmal, Schatz“, lachte Dürrbeck, „der Mann ist doch einfach wahnsinnig; wie kann er da einem solchen Institut vorstehen?“

       „Weißt du nicht, wie Polonius im Hamlet sagt?“ lächelte Constanze. „Es ist Methode in seinem Wahnsinn, aber er lebt und webt auch nur für die Bühne, und wenn nicht sein Verstand, so leitet ihn doch unfehlbar sein Instinkt, auf diesem Felde durchschnittlich das Richtige zu treffen. Im praktischen Leben würde er völlig unbrauchbar sein, soweit es nicht Geldangelegenheiten betrifft, aber für das Theater passt er. Er ist allerdings ein schauerlich manierierter Schauspieler und spielt eine Anzahl von Rollen, für die er teils zu alt, teils wieder zu jung ist; aber der Feuereifer, mit dem er sich hineinwirft, die wirkliche Begeisterung, mit der er die verschiedenen Charaktere anfasst, sprechen dann wieder für ihn, und das Publikum hat sich außerdem so an ihn gewöhnt, dass er eben machen kann, was er will – er gefällt ihm doch.“

       „Aber auf jedem anderen Theater der Welt würde er ausgelacht!“

       „Das ist möglich, sogar wahrscheinlich; aber er scheint das auch selbst zu fühlen, oder leitet ihn da wieder ein Instinkt – er sucht sie wenigstens nicht auf und hat sogar, wie ich bestimmt weiß, ihm angebotene Gastspiele direkt abgelehnt.“

       „Das ist wenigstens vernünftig, wenn ich ihm auch sonst die Eigenschaft vollkommen absprechen möchte.“

       „Was willst du, Bernhard“, sagte Constanze. „Gibt es nicht eine Menge von Menschen, die nur einzig und allein ihr Steckenpferd und noch dazu selbst mitten in die menschliche Gesellschaft hineinreiten und für weiter nichts auf der Gotteswelt Sinn zu haben scheinen, als eben das? Es gibt wieder Menschen, deren ganzes Gehirn allein aus Noten, während das anderer wieder aus Zahlen zusammengesetzt scheint. Unser Direktor kennt nichts und will nichts kennen als das Theater. Es wurde neulich einmal im Konversationszimmer vom Tod eines berühmten Malers gesprochen und der Direktor hatte den Namen mehrfach gehört; endlich sagte er: ‚Wo war er engagiert?‘ Er kann sich nicht denken, dass irgendetwas anderes auch nur das geringste Interesse für jemand haben könnte. Aber was gab er dir zur Antwort?“

       „Lauter Unsinn, Herz“, sagte Dürrbeck. „Zitate aus Tasso und Shakespeare – damit stieg er augenblicklich auf den Kothurn und ging von dem durch die benutzte Versenkung in die Unterwelt ab. Ich sage dir, Hans Solberg war mit mir und konnte sich nachher noch wohl eine halbe Stunde lang nicht zufrieden geben, er lachte in einem fort vor sich hin.“

       „Was ist dieser Hans von Solberg für ein Mann?“ fragte Constanze.

       „Ein lieber, prächtiger Mensch“, rief Dürrbeck. „So natürlich und herzlich, dass man es ihm auf den ersten Blick ansieht, dass er nicht in unseren gedrechselten und so oft leider vollkommen unnatürlichen Verhältnissen aufgewachsen ist.“

       „Er war lange in Amerika?“

       „Ja, ich traf ihn heute unerwartet auf der Straße; ich hatte keine Ahnung, dass er zurückgekehrt war.“

       „Du bist mit Solbergs selber nicht befreundet?“

      

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