Die Flusspiraten des Mississippi. Gerstäcker Friedrich

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Die Flusspiraten des Mississippi - Gerstäcker Friedrich

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       „Was ist Euch?“ frug Edgeworth erschrocken, „was habt Ihr auf einmal?“

       „Verdammt will ich sein“, sagte Tom sinnend und immer noch ängstlich umherblickend, „wenn ich – nicht glaube –“

       „Glaube, was? Was habt Ihr?“

       „Ist das wirklich ein Menschenknochen?“

       „Mir kommt er so vor. Es muß das Hüftbein eines Mannes gewesen sein, denn für einen Hirsch ist es zu stark und für einen Bären zu lang. Aber was ist Euch?“

       Tom war emsig beschäftigt, seine Moccasins wieder anzuziehen, und sprang jetzt auf die Füße.

       „Wenn das ein Menschenknochen ist“, rief er, „so kenne ich den, dem er gehörte, und habe ihn selbst mit Ästen und Zweigen zugedeckt, als wir ihn fanden. Darum lag also auch hier so viel halbverfaultes Holz auf einem Haufen. Ja, wahrhaftig, das ist der Platz und dieselbe Eiche, unter der wir ihm sein Grab machten; das Kreuz – der Auswuchs hier soll ein Kreuz sein – hieb ich damals mit meinem eigenen Tomahawk in den Stamm. Der arme Teufel - “

       „Auf welche Art starb er denn, und wer war es?“

       „Wer es war, weiß der liebe Gott, ich nicht, aber er starb auf eine recht niederträchtige, hundsföttische Weise. Ein Bootsmann, dessen Boot gerade da unten am Lande lag, wo wir das unsrige morgen erwarten, schlug ihn tot wie einen Wolf, und das um ein paar lumpiger Dollar willen.“

       „Entsetzlich!“ sagte der Alte und lehnte sich, den Knochen neben sich legend, auf seine Decke zurück, während Tom ebenfalls seinen so schnell verlassenen Platz wieder einnahm und den Kopf in die Hand stützte.

       „Wir jagten hier oben nach Bienen“,9 fuhr Tom , vor sich niederstarrend und ganz im Andenken der alten Zeiten verloren, fort, „und Bill –“

       „Der Bootsmann?“ frug Edgeworth.

       „Nein, jener Unglückliche“, sagte Tom.

       „Und sein anderer Name?“

       „Den nannte er nie; wir waren auch nur vier Tage zusammen, und er gehörte, so viel ich verstanden habe, nach Ohio hinüber. Bill hatte jenen Burschen ein paar Dollar sehen lassen, und der wollte ihn gern Abends, als wir am Feuer gelagert waren, zum Spielen reizen. Er spielte aber nicht, und das erbitterte schon den nichtswürdigen Buben. Ein paar Nächte darauf hatte er’s dann auf irgend eine Art und Weise anzustellen gewußt, daß er den armen Jungen von uns fortbekam und die Nacht mit ihm allein auslagerte. Wir campierten an demselben Abend in der Nähe der Schlucht, in welcher wir heute zuerst auf die Bärin schossen; denn von der kleinen Prairie aus waren wir dorthin einem Bienenkurs gefolgt. Den anderen Tag ließ sich niemand von ihnen sehen, und als wir mit Sonnenuntergang zum Flußufer kamen, war das Boot fort.

       Dicht am Ufer übernachteten wir; der alte Sykomorestamm muß noch dort liegen, wo unser Feuer war; denn der hatte sich fest zwischen zwei Felsen gezwängt und konnte nicht fort, und als wir am nächsten Morgen die Bank erstiegen, wurden wir zuerst durch die Aasgeier aufmerksam gemacht, von denen eine große Menge nach einer Richtung hinzog.

       ‚Gebt Acht’, sagte mein Begleiter, ein Jäger aus Kentucky, mit dem ich damals in Compagnie10 jagte, ‚gebt Acht, der lumpige Flatbooter hat den Kurzfuß kalt gemacht.’“

       „Kurzfuß?“ fuhr der Alte erschrocken auf. „Warum nannte er ihn Kurzfuß?“

       „Sein rechtes Bein war etwas kürzer als das linke, und er hinkte ein wenig, aber nicht viel, und richtig – wie wir auf den Hügel hier kommen – ich vergäße den Anblick nicht, und wenn ich tausend Jahre alt würde – da lag der Körper, und die Aasgeier – aber was ist Euch, Edgeworth, was habt Ihr? Ihr seid –“

       „Hatte der – der Kurzfuß oder – oder Bill, wie Ihr ihn nanntet – eine Narbe über der Stirn?“

       „Ja – eine große, rote Narbe – kanntet ihr ihn?“

       Der alte Mann preßte seine Hände vor die Stirn und sank in stummem Schmerz auf sein Lager zurück.

       „Was ist Euch, Edgeworth? Um Gottes Willen, Mann – was fehlt Euch?“ rief der Matrose, jetzt wirklich erschreckt emporspringend. „Kommt zu Euch – wer war jener Unglückliche?“

       „Mein Kind – mein Sohn!“ schluchzte der Greis und drückte seine eiskalten, leichenartigen Finger fest vor die heißen, trockenen Augenhöhlen.

       „Allmächtiger Gott!“ sagte Tom erschüttert. „Das ist schrecklich – armer – armer – Vater!“

       „Und Ihr begrubt ihn nicht!“ frug dieser endlich nach langer Pause, in der er versucht hatte, sich ein wenig zu sammeln.

       „Doch – er bekam ein Jägergrab“, antwortete leise und mitleidig der junge Mann. „Wir hatten nichts mit uns, als unsere kleinen indianischen Tomahawks, und der Boden war dürr und hart da – aber ich martere Euch mit meinen Worten –“

       „Erzählt nur weiter – bitte – laßt mich alles wissen“, bat flehend der Vater.

       „Da legten wir ihn hier unter diese Eiche, trugen von allen Seiten Stangen und Äste herbei, daß kein wildes Tier, wie stark es auch gewesen, ihn erreichen konnte, denn Bären lassen die Leichen zufrieden, und ich hieb mit dem Tomahawk noch zuletzt das einfache Kreuz hier in den Stamm.“

       Edgeworth starrte still und leichenblaß vor sich nieder. Nach kurzer, peinlicher Pause richtete er sich aber wieder empor, schaute zitternd und traurig umher und flüsterte:

       „Wir liegen hier also auf seinem Grabe – in seinem Garbe – und mein armer, armer William mußte auf solche Weise enden! Doch seine Gebeine dürfen nicht so umhergestreut länger dem Sturm und Wetter preisgegeben werden. Ihr helft sie mir begraben, nicht wahr, Tom?“

       „Von Herzen gern, nur – wir haben kein Werkzeug.“

       „Auf dem Boote sind zwei Spaten und mehrere Hacken – die Leute müssen helfen. – Ich will meinem Sohne, und wenn auch erst nach langen Jahren, die letzte Ehre erweisen; es ist ja alles, was ich für ihn tun kann.“

       „Sollen wir lieber unser Lager hinüber auf die andere Seite des Feuers machen?“ frug Tom.

       „Glaubt Ihr, ich scheute mich vor der Stelle, wo mein armes Kind vermoderte?“ sagte der Greis. „Es ist ja auch ein Wiedersehen, wenngleich ein gar schmerzliches. Ich glaubte an seinem Herzen noch einmal liegen zu können, und finde jetzt – seine Gebeine umhergestreut in der Wildnis. – Aber gute Nacht, Tom – Ihr müßt müde sein von des Tages Anstrengungen – wir wollen ein wenig schlafen, und der anbrechende Tag finde uns erwacht und mit unserer Arbeit beschäftigt.“

       Sicherlich nur, um den jüngeren Gefährten zu schonen, warf sich der alte Mann auf sein Lager zurück und schloß die Augen. Kein Schlaf senkte sich aber auf seine tränenschweren Lider, und als der kühle Morgenwind durch die rauschenden Wipfel der Kiefern und Eichen säuselte, stand er auf, fachte das jetzt fast niedergebrannte Feuer zu heller, lodernder Flamme an und begann bei dessen Licht die um das Lager herumgestreuten Gebeine zu sammeln. Tom, hierdurch ermuntert, half ihm schweigend in seiner Arbeit und näherte sich dabei dem Platze, wo Wolf, etwa dreißig Schritt vom Feuer entfernt, zusammengekauert

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