Berlin, Bülowstraße 80 a. Gabriele Beyerlein

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Berlin, Bülowstraße 80 a - Gabriele Beyerlein

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darüber? Duelle wurden ausgetragen, um der Ehre Genüge zu tun oder die Ehre wiederherzustellen. Also war doch auch ein Tod bei einem Duell etwas Ehrenvolles und nichts, was man verschweigen musste?

      In den Fächern des Sekretärs lag weggeschlossen, was ihr Auskunft geben würde. Aber den Schlüssel dazu trug die Mutter an ihrem Schlüsselbund, und den hatte sie stets bei sich, legte ihn nur zum Schlafen ab, und dann steckte sie ihn unter ihr Kopfkissen, als fürchte sie, von dem treuen alten Dienstmädchen bestohlen zu werden. Dabei war Frieda schon bald zwanzig Jahre bei der Mutter und so gut wie Familieninventar.

      Vielleicht aber fürchtete die Mutter viel mehr die Neugier der eigenen Tochter.

      Neugier? Sophie schüttelte den Kopf. Nein, das war es nicht. Es war etwas ganz anderes. Sie spürte plötzlich, dass sie nicht mehr leben konnte, ohne die Wahrheit über den Tod ihres Vaters zu erfahren.

      Aus der Küche nebenan drang leises Rumoren. Frieda stand auf, um den Herd anzufeuern und ihr Tagwerk zu beginnen. Da war auf einmal ein Gedanke in Sophie: Frieda musste es wissen, Frieda war ja damals schon bei der Mutter in Stellung gewesen.

      Sophie lauschte. Die Geräusche aus der Küche, die tiefen Atemzüge der Mutter. Die Mutter schlief. Unendlich langsam und leise erhob sich Sophie und schlich behutsam zur Küchentür, drückte ganz vorsichtig die Klinke herunter und schob sich in die Küche.

      Frieda kniete im Nachthemd vor dem Ofenloch des Herdes, ein graues Wolltuch über den Schultern. Nun fuhr sie zusammen und blickte auf. „Mein Gott, gnädiges Fräulein, haben Sie mich erschreckt! Warum liegen Sie denn nicht im Bett, es ist doch noch so früh am Morgen!“

      „Ich kann nicht schlafen, Frieda“, erwiderte Sophie und setzte sich auf einen Küchenstuhl. „Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf.“

      „Ach ja, die Gedanken. Da kann man nichts machen“, meinte Frieda. „Die kommen, wenn man sie am wenigsten brauchen kann. Warten Sie nur, bis ich das Feuer an habe und einen heißen Kaffee gekocht, dann wird es gleich besser. Und hier, wickeln Sie sich nur hinein, damit Sie sich nicht verkühlen!“ Damit zog sie die Decke aus ihrem Bett, das tagsüber zusammengeklappt als Küchentisch diente, und hielt sie Sophie hin. Sophie legte sich folgsam die Decke über die Beine.

      „Du könntest mir helfen, Frieda“, meinte sie.

      „Wollen Sie denn wirklich schon aufstehen, und ich soll Ihnen das Korsett zubinden?“, erkundigte sich diese.

      „Nein, nein, nicht so ...“ Sophie stockte. Dann begann sie neu: „Du bist doch schon so lange bei uns, schon, als mein Vater noch lebte.“

      „Das will ich meinen“, erklärte die Dienstmagd befriedigt und schob Holz in den Ofen, half mit dem Schürhaken nach. „Ein großes Haus wurde damals gemacht, zwei Mädchen und der Bursche vom Herrn Major waren wir. Ich für mein Teil war die Köchin, reichlich zu tun gab es, es waren ja oft Gäste da, aber trotzdem hab ich Sie großgezogen. Das Zimmermädchen sollte sich ja eigentlich um Sie und Ihren Bruder kümmern, aber das war ja noch so ein junges Ding, und Sie waren ja am liebsten bei mir in der Küche. Ja, und als dann das Unglück kam, da konnte ich Sie doch nicht allein lassen, sie waren mir ja wie mein eigenes Kind. Ihr Bruder ist dann ja bald nach Potsdam in die Kadettenanstalt gekommen, aber meine kleine Sophie — ach, was waren Sie für ein liebes Ding! Und immer so traurig. Es war aber auch ein Unglück, wie der Herr Major gestorben ist und auf einmal kein Geld mehr da war.“ Seufzend schüttelte Frieda den Kopf.

      „Danach wollte ich dich fragen“, meinte Sophie rasch. „Nach dem Tod meines Vaters. Du musst doch wissen, ob er ...“ Sie stockte. Ob er bei einem Duell getötet worden ist, hatte sie sagen wollen, aber sie brachte die Worte nicht über die Lippen. „Woran er gestorben ist“, beendete sie ihre Frage.

      Frieda stand auf und wischte sich die rußigen Hände an einem Putzlappen ab. „Mein Gott, gnädiges Fräulein“, sagte sie und warf einen unruhigen Blick zur Tür, „machen Sie sich nicht unglücklich, und mich nicht noch mit! Die gnädige Frau will nicht, dass darüber gesprochen wird, verboten hat sie es mir, ach, was sag ich, schwören hab ich's ihr müssen! Und sie wird schon wissen, warum es so sein muss und besser ist für Sie, die Frau Major ist eine so vornehme und gebildete Dame, und ich, was bin schon ich! Und jetzt, nichts für ungut, gnädiges Fräulein, aber ich muss mich jetzt anziehen.“

      Schweigend stand Sophie auf, verließ leise die Küche, schlich sich zu ihrem Bett zurück und legte sich wieder hin, verkroch sich unter der Decke. Ihr war so kalt, dass sie zitterte.

      Wenn den Vater der Schlag getroffen hätte oder wenn er bei einem Reitunfall gestorben wäre, dann hätte die Mutter doch Frieda nicht schwören lassen, nicht darüber zu sprechen. Dieses Geheimnis, das die Mutter aus Vaters Tod machte — sprach nicht das allein schon eine deutliche Sprache?

      Sophie presste die Zähne aufeinander. Wenn sie nur Genaueres wüsste! Dieser Schrei ihrer Mutter ...

      Das war ja wohl ein Anlass, der selbst eine aus gräflicher Familie geborene Baronin zum Schreien bringen konnte: die Nachricht, dass der Gatte bei einem Duell getötet worden war, einem Duell, von dem die Mutter nicht einmal gewusst hatte. Denn sie konnte nicht davon gewusst haben, nie hätte sie sonst den Vater aus dem Haus gehen lassen, ohne Abschied von ihm zu nehmen. Man konnte über die Majorin von Zietowitz denken, was man wollte, eines war sicher: Sie war sich immer im Klaren darüber, was sich ziemte und was einer jeden Situation angemessen war. Und die Mutter hatte nicht Abschied genommen, wortlos hatte sich der Vater aus der Wohnung geschlichen, dafür war sie, das Kind, Zeuge.

      Ein Duell. Leicht hatte der Vater es sich nicht gemacht, die ruhelose Nacht im Herrenzimmer sprach für sich. Zu denken, dass der Vater da seinen möglichen Tod vor Augen gehabt hatte — oder die mögliche Tötung des anderen ... War der Vater von diesem unbekannten anderen tödlich beleidigt worden, gekränkt auf eine Weise, die nur durch Blut bereinigt werden konnte — und hatte ihn deshalb fordern müssen? Was um alles in der Welt konnte es gewesen sein, was zu dieser Tragödie geführt hatte?

      „Papa“, flüsterte Sophie tonlos, sie spürte Tränen aufsteigen, „Papa, warum?“

      „Bitte, die Damen!“, rief die Tanzlehrerin. Sophie erhob sich mit den anderen jungen Mädchen. Gemeinsam stellten sie sich in einer Reihe in der Mitte des Saales auf. Es war so wie schon oft im privaten Tanzzirkel, der vierzehntäglich im Hause Stolze stattfand. Und doch ganz anders. Denn heute waren sie nicht unter sich, nur die Mädchen und die Tanzlehrerin und die Mütter, die von ihren Plätzen an der Fensterseite des Saales aus alles beobachteten. Heute saßen dort drüben an der anderen Längsseite des Saales die Herren.

      Der erste gemischte Tanzzirkel. Sophie hatte es kaum glauben können, als Cecilie ihr das Vorhaben der Eltern Stolze mitgeteilt hatte, Herren zum Tanzzirkel einzuladen. Noch weniger hatte sie zu hoffen gewagt, dass die Mutter ihre Teilnahme erlauben würde. Doch darin hatte sie sich getäuscht. Die Mutter hatte sogar eines ihrer alten Kleider hervorgeholt und damit begonnen, ein Ballkleid für Sophie daraus zu schneidern — denn ein Ball würde am Abschluss des gemischten Zirkels stehen. Und auch für heute war Sophies bestes Kleid aus weißem Musselin eigens mit Applikationen von selbst gefertigten kleinen Röschen aus roter Atlasseide versehen worden, beinahe wie neu sah es aus.

      Bänder aus Atlasseide waren teuer, sie hatten ein Loch in die schmale Haushaltskasse gerissen. Schon daran sah man, welchen Wert die Mutter diesem gemischten Tanzzirkel beimaß, auch wenn sie mit schmalen Lippen gesagt hatte: Ich hätte einen Tanzzirkel in einem Haus von besserer gesellschaftlicher Stellung vorgezogen. Neureicher Fabrikant — was will man da erwarten

      Und wenn schon! Cecilie war ihre Freundin, die beste Freundin aus der gemeinsamen

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