Berlin, Bülowstraße 80 a. Gabriele Beyerlein

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Berlin, Bülowstraße 80 a - Gabriele Beyerlein

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zu bezahlen? An Bezahlung war nicht zu denken. Sie hatte ja auch schon aus Geldmangel auf das übliche Jahr Mädchenpensionat nach Abschluss der Höheren Töchterschule verzichten müssen, und damit auf den „gesellschaftlichen Schliff“, der dort vermittelt wurde. Dunkel ahnte sie freilich, dass ihr dabei vor allem Geselligkeit und Vergnügen entgangen waren, denn Schliff erhielt sie von ihrer Mutter mehr, als es sämtliche Lehrerinnen eines Mädchenpensionats bewerkstelligen konnten.

      „Erste Position!“

      Sie rückten sich zurecht, setzten die Füße in Positur. Aus den Augenwinkeln bemerkte Sophie, wie die anderen Mädchen immer wieder zu den Herren hinüber- und rasch wieder wegsahen, wie sie einander zulachten, hörte sie kichern. Sophie kicherte nicht. Ihr Kopf blieb in der vorgeschriebenen Haltung erhoben, ihr Blick ging in eine unbekannte Ferne, ihr Mund lächelte unverbindlich freundlich. Das Herz aber klopfte bis zum Hals.

      Sophie war sich bewusst, von Tanzlehrerin und Tanzlehrer kritisch beobachtet zu werden, viel mehr aber noch von ihrer Mutter, der nicht die geringste Kleinigkeit entgehen und die jeden kleinsten Fauxpas gnadenlos kommentieren würde. Die Tanzschritte unter den Augen der Mutter zu üben, die Haltung nach deren Anweisungen immer wieder zu korrigieren, war in den vergangenen Wochen willkommene Abwechslung zum stundenlangen Sticken gewesen, die einzige Abwechslung, welche die Mutter neben gelegentlichem Singen und Klavierspielen geduldet, nein, sogar gefordert hatte. Das Schicksal einer jungen Dame entscheidet sich im Ballsaal, pflegte die Mutter neuerdings zu sagen. Stolz solle Sophie wirken, unnahbar, zugleich aber ungekünstelt und liebreizend und was nicht noch alles. Wie das zusammengehen sollte, sagte die Mutter nicht.

      Doch viel mehr noch als der Beobachtung durch Mutter und Tanzlehrer war Sophie sich der Blicke der Herren bewusst. Sie brannten geradezu auf ihrer Haut. Hier sich zu zeigen, als würde man ihnen vorgeführt ...

      „Zweite Position!“

      Nun hatte sie ihre Mutter im Rücken, war für einige Atemzüge deren direkter Kontrolle entronnen. Den Blick über die Herren schweifen lassen, nur einmal, ganz kühl, als sähe man nichts.

      Der Hochgewachsene dort am Anfang der Reihe neben der Tür …

      Für den Bruchteil einer Sekunde nahm sie ihn wahr, nicht länger als die anderen, und doch konnte sie danach sein Bild in sich abrufen — und nur seines. Sie tat es in jeder Einzelheit. Seine braunen Haare, fast schwarz. Seine dunklen Augen, sehr groß. Hatte nicht ein Hauch von Melancholie in ihnen gelegen? Sein schmales Gesicht. Fein schien es ihr, edel, und die markante Nase darin machte es nur noch interessanter. Klug war es jedenfalls, nein, mehr noch: geistvoll. Und wie vollendet sein schwarzer Anzug saß, so etwas war Maßarbeit, das sah man ...

      „Dritte Position! Und nun die Armbewegungen! Auf die Handstellung achten, die Finger! Mehr Eleganz, meine Damen, Eleganz! Perfekt, Fräulein von Zietowitz, einfach perfekt! Machen Sie es doch bitte noch einmal vor! Meine Damen, nehmen Sie sich ein Beispiel an der Baronesse!“

      Gleichmütig lächeln, nicht zeigen, wie man sich freut!

      Sophie vollführte die Figur, wie sie es unzählige Male geübt hatte: anmutig und doch stolz.

      Nun weiß er, wer ich bin. Und wenn er mich bisher nicht gesehen hat, jetzt ist er aufmerksam auf mich geworden.

      Dann mussten sie wieder Platz nehmen, und die Herren waren an der Reihe. Der Tanzlehrer machte vor, wie sie sich ihrer auserwählten Dame zu nähern hatten, wie zu verbeugen — nicht zu tief und nicht zu oberflächlich, mit Leichtigkeit, Würde und Eleganz —, wie sich vorzustellen und wie um den Tanz zu bitten. Dann forderte er den ersten Herrn auf, den Anfang zu machen. Es war er.

      Quer durch den Saal kam er herüber, genau auf sie zu. Nicht ihm entgegensehen. Nicht merken lassen, dass ich auf ihn warte.

      „Gestatten, Samuel Rosenstock! Dürfte ich Sie um den Tanz bitten, gnädiges Fräulein?“

      Er verneigte sich nicht vor ihr. Er verneigte sich vor Cecilie neben ihr.

      Ihr Mund war trocken. Nicht die Enttäuschung sehen lassen. Wenn meine Mutter es merkt ...

      Habe ich ihm nicht gefallen?

      Ach, was für ein Unsinn! Cecilie ist die Tochter des Hauses. Natürlich musste er Cecilie auffordern! Es wäre ein Affront gewesen, wenn sie nicht als Erste gewählt worden wäre, und dazu ist er viel zu höflich. Es hat nichts zu bedeuten, nichts. Dann werde ich eben von dem Nächsten gewählt. Wenn wir das zweite Paar sind, tanze ich bei der Gavotte in der Reihe direkt hinter ihm und komme beim Moulinet mit ihm in eine gemeinsame Gruppe ...

      Der zweite Herr wählte Ludmilla, die durch häufiges Kichern und Tuscheln aufzufallen pflegte. Gut, der dritte Platz mochte noch angehen, auch wenn die Mutter damit nicht zufrieden sein würde ...

      Der dritte Platz ging nicht an sie.

      War ihr Kleid trotz der Atlasröschen doch zu schäbig? Oder hatte sie die Haare zu straff aufgesteckt, hätte ein paar Locken mehr herauszupfen sollen? Was würde sie von der Mutter zu hören bekommen, so wenig ehrenhaft abgeschnitten zu haben!

      Einer nach dem anderen traten die jungen Herren jeweils auf eine junge Dame zu, verlegen oder stümperhaft die einen, überforsch die anderen, wurden korrigiert, mussten die Vorstellung wiederholen. Eine junge Dame nach der anderen wurde engagiert.

      Schließlich saßen nur noch Friederike und sie auf ihren Stühlen. Friederike Meier, die Pastorentochter, deren Position als Mauerblümchen vom ersten Augenblick an klar gewesen war, und sie, Baronesse Sophie von Zietowitz.

      Was war verkehrt an ihr? Sie war nicht hässlich, nein, obwohl Cecilie natürlich maßlos übertrieb, wenn sie von ihrer Schönheit redete, aber hässlich war sie doch nicht, oder? Die Nase war vielleicht ein wenig zu schmal und zu spitz, ihre Lippen etwas zu voll. Aber immerhin hatte sie eine makellos reine und weiße Haut.

      Was um alles in der Welt war es?

      Friederike auszustechen konnte man beim besten Willen nicht mehr als Erfolg werten. Friederike hatte eine fahle Haut und ein aufgedunsenes Gesicht, und, was schwerer wog, alles an Friederike roch nach Verliererin. Die eingesunkene Art, wie sie auf ihrem Stuhl saß und ihr Taschentüchlein knetete, als wolle sie vor Unglück im Boden versinken!

      Sophie richtete sich noch ein wenig stolzer auf. Die Muskeln im Gesicht taten schon weh von all dem Lächeln. Dennoch lächelte sie weiter, lächelte dem Herrn entgegen, der da mit ungelenken Schritten auf sie zukam, lächelte, ohne ihn anzusehen, denn das wäre unschicklich gewesen, und unschicklich würde sie nicht werden. Ein Zietowitz hatte noch nie unehrenhaft ein Schlachtfeld verlassen — auch nicht, wenn die Schlacht verloren war. Der Herr stellte sich Friederike vor.

      Haltung bewahren. Würde. Lächeln. Mit Leichtigkeit und selbstverständlicher Höflichkeit dem letzten Herrn antworten, ihm, dem nun nichts anderes mehr übrig blieb, als sie zu engagieren.

      „Gestatten, Walter Wohlschlägel! Dürfte ich Sie um den Tanz bitten, gnädiges Fräulein?“

      Sich erheben, sich aufstellen, tanzen. Gavotte, Menuett. Windungen und Wendungen. Zierlich abgemessene Komplimente. Schreiten in der Reihe, die rechte Hand rafft das Kleid, lächeln, lächeln. Moulinet — in einer anderen Vierergruppe als Samuel Rosenstock. Nicht ein falscher Schritt, kein einziges Stolpern oder Verhaspeln, vorbildliche Körperhaltung. Lächeln. Glücklich erscheinen und ungekünstelt und stolz.

      Was um Himmels willen war falsch an ihr? Was war es, was sie noch weniger liebreizend machte als Friederike, da doch

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