Berlin, Bülowstraße 80 a. Gabriele Beyerlein

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Berlin, Bülowstraße 80 a - Gabriele Beyerlein

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vorgelesen!“

      Sophie lehnte sich an die Freundin, drückte ihren Kopf an deren Schulter. Nun, da sie einmal angefangen hatte zu reden, ließen sich die Worte nicht mehr aufhalten: „Und nun muss ich wissen, was es war, warum dieses Duell, ich muss es einfach wissen, wofür er gestorben ist, verstehst du?“

      Cecilie nickte. „Meistens geht es um eine Frau“, erklärte sie.

      Sophie rückte von ihr ab und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Eine Frau?“, fragte sie. „Wie meinst du das?“

      „Na ja, so ähnlich wie hier in dem Roman eben. Einer sagt etwas über die Gattin eines anderen, etwas gegen die Ehre, und der erfährt davon, und dann muss er den anderen fordern. Oder er kommt dahinter, dass seine Frau mit einem anderen eine Beziehung ...“ Cecilie wurde rot und griff nach den Zeitungen, die auf dem Tisch verstreut lagen. „Ich habe erst gestern so einen Artikel gelesen, hier ist er: ‚Wie wir aus gutunterrichteten Kreisen erfahren, hat gestern Morgen in der Hasenheide bei Berlin ein Duell zwischen Baron von I. und Hauptmann von Walstetten stattgefunden. Der Hauptmann fiel. Erinnert sei in diesem Zusammenhang, dass das Strafgesetz den Zweikampf unter Strafandrohung stellt und insbesondere die katholische Kirche ihn verbietet. In ähnlich gelagerten Fällen hatten Duellanten gewöhnlich auf Beschluss Seiner Majestät des Kaisers eine sechswöchige Festungshaft zu verbüßen. Aus Kreisen des Militärs und des Adels war jedoch Zustimmung zu dem Duell zu hören. Es musste sein, verlautete es einhellig. Es heißt, dass eine Beziehung zwischen dem Hauptmann und der jungen Baronin bestanden haben soll, die zweifelsfrei durch Briefe belegt sei. Sogar eine gemeinsame Flucht sei in Betracht gezogen worden.‘

      „Eine Beziehung?“, flüsterte Sophie und starrte Cecilie an. „Du meinst, dass meine Mutter, meine Mutter, dass sie meinen Vater verlassen, mit einem anderen fliehen ...“

      Cecilie machte ein betretenes Gesicht. „Das habe ich nicht gesagt! Ich habe nur gesagt, oft geht es um eine Frau. Nach dem eben, was in den Zeitungen und Büchern steht. Aber du musst das doch viel besser wissen als ich, es sind ja deine Kreise, in denen man sich duelliert, und nicht meine. Außerdem kann es auch etwas ganz anderes ...“ Ihre Stimme versickerte.

      „Meine Mutter“, wiederholte Sophie tonlos. „Dann hat sie ja Schuld am Tod meines Vaters!“

      Noch nie hatte das Stakkato so hart geklungen, das Fortissimo so laut, waren die Läufe so wild den Akkorden entgegengestürmt, den Akkorden, die in ihrer Dissonanz ein einziger Schrei waren, eine zornige Anklage. Sophie hämmerte auf das Klavier. Wo sonst sollte sie ihre Gefühle lassen, wo sonst konnte sie ihnen Ausdruck geben als in der Musik? Und nebenan, so dass Sophie sie durch die geöffnete Tür sehen könnte, wenn sie den Kopf wenden würde, saß die Mutter und hörte ihr Klavierspiel und wusste nicht, dass diese wütende Beschuldigung ihr galt.

      Wie sich auf einmal alles zusammenfügte: das Schweigen der Mutter über den Tod des Vaters, das Schweigen, das auch Frieda mit hineinzog und Frau von Klaasen und überhaupt jeden, von dem Sophie etwas über ihren Vater hätte erfahren können. Das mehr als unterkühlte Verhältnis zwischen der Mutter und Onkel Albrecht, Oberst von Zietowitz, der sich nicht öfter als zwei, drei Mal im Jahr bei ihnen blicken ließ, obwohl er doch auch in Berlin wohnte, und der zwar für die Ausbildung ihres Bruders Karl an der Kadettenschule aufgekommen war, der Mutter aber noch nicht einmal einen Blumenstrauß zum Geburtstag schickte. Die plötzliche Armut, in der sie seit dem Tod des Vaters lebten, der Umzug aus der großen Wohnung in der Beletage hierher in die kleine, der Verkauf der meisten Möbel, Einrichtungsgegenstände und Wertsachen — wahrscheinlich hatte der Vater ein Testament gemacht, in dem er seiner Frau nichts hinterließ, da sie ihn so schändlich hintergangen und in den Tod getrieben hatte ...

      Hatte der Vater auch Briefe gefunden, in denen stand, dass seine Frau ihn mit einem anderen verlassen wollte? Und nun war der Vater tot.

      Das Presto endete mit Zorn. Ich hasse dich, Mutter, ich hasse dich! Wenn Frauen einander zum Duell fordern könnten, ich würde dich fordern. Mit Pistolen im Morgengrauen. Damit du erlebst, was mein Vater deinetwegen erleiden musste.

      Sophie schluckte. Was waren das für Gedanken! Dabei hatte sie ja keine Beweise. Im Grunde waren es nicht mehr als Vermutungen. Vielleicht hatte das Duell auch einen anderen Anlass gehabt. Aber sie wusste genau, dass der Vater damals von der Mutter nicht Abschied genommen hatte. War das nicht Beweis genug?

      Das Adagio klagte leiser, doch nicht weniger schmerzvoll. Ihr war, als würde ihr Herz verbluten, während sie es spielte. So wie das Herz ihres Vaters verblutet war.

      Schließlich saß Sophie still am Klavier, das Gesicht in den Händen verborgen.

      Aus dem Hinterzimmer drang das Husten der Mutter und dann ihr Rufen: „Komm wieder sticken, Sophie!“

      Mit einem heftigen Knall schloss Sophie den Klavierdeckel. Kurz suchte sie den Blick des Vaters auf dem Gemälde über der Kommode. „Ich bekomme es heraus!“, versprach sie ihm flüsternd. Dann ging sie zur Mutter.

      Sehr gerade saß diese dicht am Fenster, den Stickrahmen mit der Gobelinstickerei in der Hand. Garnstränge in den verschiedensten Farben waren auf dem Tisch vor ihr ausgebreitet. Mit kühlem Blick musterte Sophie ihre Mutter wie eine Fremde, betrachtete sie aus lieblos kritischer Distanz, sah die feinen Linien um den Mund, die von Enttäuschung, Stolz und Selbstbeherrschung sprachen, bemerkte die auffällige Blässe und die Müdigkeit, welche die Augen umschattete. „Du bist erschöpft“, stellte sie fest und hörte selbst den Klang ihrer Stimme, kalt und ohne Mitgefühl. „Wenn Vater noch lebte, bräuchten wir nicht den ganzen Tag zu sticken!“

      „Wenn!“, erwiderte die Mutter harsch. „Nun ist es, wie es ist. Eine Zietowitz tut in jeder Lage ihre Pflicht — und eine geborene Rieskow allemal. Außerdem bin ich nicht erschöpft, sondern erkältet. Ich habe Frieda schon zum Prinz-Albrechtschen Garten geschickt, damit sie mir eine Flasche Brunnenwasser von dort bringt. Falls das gegen den Husten nicht hilft, werde ich nach Doktor Schneider schicken müssen. Freilich — die Ausgabe würde ich gerne sparen.“ Die Mutter hustete und presste dabei ihr Taschentuch an den Mund. Sichtlich bemühte sie sich, den Husten zu unterdrücken. Es gelang ihr nicht.

      Sophie setzte sich und nahm ihre Stickerei wieder auf. „Halte dich gerader!“, ermahnte die Mutter sie, kaum dass der Hustenanfall vorbei war. „Du weißt doch, eine Dame muss so aufrecht sitzen, als ob sie ein Lineal im Rücken hätte! Leicht sollst du wirken beim Sticken, vergiss nicht, in den Augen der Gesellschaft vertreibst du dir die Zeit mit einer angenehmen Beschäftigung. Kein Beobachter dürfte auch nur von dem Gedanken gestreift werden, es sei eine Arbeit, die du verrichtest. Eine Dame arbeitet nicht. Und wenn sie es doch tut, dann muss es aussehen wie Müßiggang. Dieser Grundsatz muss dir in Fleisch und Blut übergehen, zu deiner zweiten Natur werden. Du aber beugst dich über deine Stickerei, als wärest du eine x-beliebige Näherin.“

      Sophie schwieg. X-beliebige Näherin. Wie sie solche Sätze hasste!

      „Und was das Presto angeht — technisch perfekt. Aber dieser Ausdruck: alles andere als angemessen, Sophie. So könntest du es auf keiner Gesellschaft hören lassen, es klang ja, als wolltest du auf die Barrikaden von Paris stürmen! Und nicht als Soldat des Königs, sondern als dieses unsägliche Weib mit der Fahne in der Hand, wenn du weißt, welches Gemälde ich meine. Das Schlimmste aber war deine Haltung dabei, oder besser gesagt deine exaltierten Bewegungen, alles andere als damenhaft, völlig selbstvergessen. Dazu neigst du überhaupt beim Pianospielen. Übertriebenes Mitgehen mit der Musik wirkt bei einer Dame deplatziert, um nicht zu sagen degoutant. Nun schau nicht so beleidigt, ich will dir mit meiner Kritik doch nur helfen,

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