Berlin, Bülowstraße 80 a. Gabriele Beyerlein

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Berlin, Bülowstraße 80 a - Gabriele Beyerlein страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Berlin, Bülowstraße 80 a - Gabriele Beyerlein

Скачать книгу

war auch dieser Spätnachmittag vorbei, die erste Stunde des gemischten Tanzzirkels, auf die sie sich so sehr gefreut hatte.

      Frieda wartete schon vor dem Haus, als Sophie mit der Mutter ins Freie trat. Schweigend gingen sie nebeneinanderher, gefolgt von Frieda. Schweigend, denn noch waren andere Teilnehmer des Zirkels in der Nähe, noch konnten sie belauscht werden. Doch sobald sie außer Hörweite waren, würde die vernichtende Kritik der Mutter beginnen. Das Urteil, das nichts anderes als ein Todesurteil bedeuten konnte: Das Schicksal einer jungen Dame entscheidet sich im Ballsaal ...

      Doch das war jetzt schon alles gleich. Nichts, was die Mutter sagen mochte, konnte schlimmer sein als das, was in ihrem eigenen Inneren nagte.

      „Ich bin sehr stolz auf dich“, sagte die Mutter.

      Sophie blieb unter der Gaslaterne stehen, starrte ihre Mutter an. „Aber“, sie stockte, „aber, wie kannst du das sagen ...?“

      Die Mutter legte ihr die Hand auf den Arm. „Es war hart für dich, ich weiß“, sagte sie sanft, so sanft hatte Sophie die Stimme der Majorin kaum je gehört. „Aber wie du das durchgestanden hast, mit einem Lächeln, das nicht einmal gekünstelt wirkte — alle Achtung! Noblesse oblige, mein Kind. Heute hast du dem Namen Zietowitz alle Ehre gemacht.“

      Da brach Sophie in Tränen aus. „Aber warum“, stammelte sie, „warum als Letzte, nicht einmal Friederike ...“

      Die Mutter lächelte. „Warum? Meine liebe Sophie, das liegt klar auf der Hand, und glaub mir, ich sage das nicht aus falschem Mutterstolz oder weil ich dich trösten will: Keiner der Herren hat sich an dich herangetraut. Sie haben alle gespürt, dass du etwas Besseres bist, dass du zu gut bist für sie. Auf einem Ball der Gesellschaft hättest du brilliert. Aber im Hause Stolze — nun ja.“

      Die Mutter nahm Sophies Hand, legte sie sich auf den Unterarm, ging so Arm in Arm, sprach dabei weiter: „Wäre auch nur ein einziger Kadett unter den Herren gewesen! Oder ein Fähnrich aus einem guten Regiment! Dann wäre es für dich ganz anders verlaufen, das kann ich dir versichern. Samuel Rosenstock, beileibe! Übrigens kam mir vor, als wäre er dir nicht gleichgültig.“

      Sophie stockte. Nur einen winzigen Augenblick verharrte ihr Fuß beim Gehen mitten in der Bewegung, doch der Mutter entging es nicht.

      Mit einem halb befriedigten, halb ironischen Lächeln nahm diese zur Kenntnis, ins Schwarze getroffen zu haben, und fuhr in süffisantem Ton fort: „Man kann sich auch durch Wegschauen verraten, meine Liebe, nicht nur durch Hinschauen. Nun, ich glaube nicht, dass das außer mir jemand gemerkt hat; die anderen Mütter — über die hohe Schule der gesellschaftlichen Erfahrung und Etikette verfügen sie nicht gerade. Kurz, von diesen Damen ist keine allzu scharfe Beobachtungsgabe zu befürchten. Aber, Sophie, ich bitte dich: ein Jude! Sohn eines Kleiderfabrikanten! War dir das denn nicht sofort klar? So etwas sieht man doch! Völlig indiskutabel. Sein Vater ist wahrscheinlich ein Geschäftsfreund von Herrn Stolze. Nichts gegen Personen mosaischen Glaubens, aber sie sind nun einmal zum Offiziersstand nicht zugelassen. Als gesellschaftlicher Umgang für dich absolut unpassend. Es spricht immerhin für ihn, dass er sich dessen bewusst war — und die anderen Herren nach ihm auch.“

      Etwas wuchs in Sophie, ein Druck tief im Innern, etwas, was ihre Brust ausfüllte und immer weiter anschwoll, was ihr das Gefühl gab, gleich laut schreien zu müssen. Sie presste die Zähne fest aufeinander, hielt die Luft an, solange sie konnte.

      Die Mutter sprach unaufhörlich weiter: „Das Ehepaar Stolze hat sich ja alle Mühe gegeben, präsentable Herren für den Zirkel zu finden — Primaner des nächstgelegenen Gymnasiums die meisten, wie mir Frau Stolze im Vertrauen mitteilte —, aber unsere Kreise sind das wahrhaftig nicht. Dazu ist der Reichtum des guten Herrn Stolze zu neu, der Geruch des Emporkömmlings verfliegt nicht so schnell. Das Kleinbürgerliche haftet ihm an, auch wenn er noch so viel Geld hat, er hat keine Kontakte zu den guten Familien. Du bist ja auch nur deswegen ein von Cecilies Eltern so gerngesehener Gast, weil unser Name sich wie ein Aushängeschild für den gesellschaftlichen Stellenwert des Hauses Stolze macht. Aber gleichviel — uns fehlen nun einmal die Mittel, um wählerisch zu sein. Man muss Opfer bringen. Zum Üben geht dieser Tanzzirkel für dich an. Bald beginnt die Ballsaison, und diesen Winter wirst du dabei sein. Ich werde dafür sorgen, dass du eingeladen wirst — in die richtigen Häuser —, und dafür brauchst du Erfahrung auf dem Parkett. So wie du dich heute gehalten hast, gibst du Anlass zu den größten Hoffnungen.“

      1.2

      Sie wusste, dass sie schön war. Jeder Spiegel im Ballsaal der Villa Generals von Klaasen, worin sie sich beim Vorübertanzen betrachtete, bestätigte es ihr und mehr noch die Augen der anderen. Die Blicke der jungen Damen — schwang nicht Neid in ihnen? Und die Blicke der Herren ...

      Hatte sie sich wirklich einmal für hässlich gehalten, nur weil keiner der Herren aus dem Tanzzirkel gewagt hatte, sie aufzufordern? Was für ein Kindskopf war sie da doch gewesen! Die Mutter hatte recht gehabt: Der Tanzzirkel im Hause Stolze, das waren eben nicht die richtigen Kreise für sie. Walter Wohlschlägel mit seiner tapsigen Ungeschicklichkeit und dem ewigen Rotwerden, sobald er denn endlich einmal einen Satz hervorgewürgt hatte!

      Und Samuel Rosenstock? Schnell schob sie den Gedanken beiseite, sie wollte nicht an ihn denken, heute einmal nicht. Ein paar Mal hatte sie mit ihm getanzt, wenn die Tanzlehrerin einen Wechsel der Tanzpartner befohlen hatte, beim Menuett waren sie einander begegnet, hatten die vorgeschriebenen Komplimente voreinander vollführt, kaum mehr als zehn Sätze hatte sie insgesamt mit ihm gewechselt. Er war Cecilies Herr im Tanzzirkel. Ein Grund mehr, ihn zu vergessen.

      Einen Augenblick fuhr ihr ein Stich in die Brust. Der Herr in Zivil dort, der mit der rundlichen Brünetten tanzte — war er das etwa?

      Nein, natürlich nicht. General von Klaasen lud nicht den Sohn eines jüdischen Kleiderfabrikanten auf seinen Ball. Warum nur erblickte sie in jedem schmalen dunkelhaarigen jungen Herrn mit markanten Gesichtszügen Herrn Rosenstock?

      Nicht denken. Tanzen. Und im Drehen ein flüchtiger, unauffälliger Blick in den Spiegel. Das Ballkleid aus lichtblauer Seide ließ ihre Augen noch blauer leuchten, die Haut ihrer bloßen Schultern noch heller schimmern, ihre Haare noch blonder glänzen. Und nichts verriet, dass diese Seide schon vor über zwanzig Jahren der Baronin von Zietowitz zum Ballkleid gedient hatte. Eine Schneiderin hatte das Kleid vollständig umgearbeitet, es hinten zum modischen Cul de Paris gerafft und die fehlenden Stoffbahnen durch ein Untergewand aus cremefarbenem Taft ersetzt, der einst der Stoff eines Morgenmantels der Mutter gewesen war. Die Mutter aber hatte unter Beweis gestellt, welch eine Meisterin im Sticken sie war: Überall, wo aufgetrennte Nähte im Stoff hätten verraten können, dass es sich um ein umgearbeitetes Kleid handelte, zierten nun kunstvolle Rankenmuster aus Silberfaden das Gewand. Kein Kleid für einen Hofball. Und dennoch ein Traum von einem Kleid, in dem sie sich ohne Scham auf dem Ball in der Villa Klaasen blickenlassen konnte.

      Der Fähnrich, mit dem sie tanzte, ließ keinen Zweifel daran, dass er sie hinreißend fand. Es war ein gutes Gefühl, dennoch berührte es sie nicht. Er war ihr beim Diner als Tischherr zugewiesen worden, und je mehr er sich gemüht hatte, ihr mit lateinischen Zitaten, von denen sie kein Wort verstand, Eindruck zu machen, desto gleichgültiger war er ihr geworden. Aber irgendwo hier im Raum war vielleicht einer, der ihr nicht gleichgültig sein würde, wenn er nur auf sie aufmerksam würde und sie zum Tanz aufforderte. Wenn sie sich nur begegneten. Einer, mit dem das geschah, wovon die Romane erzählten. Der Augenblick, der alles veränderte, der über das ganze Leben entschied. So wie bei Natascha und Fürst Andrej, der die junge Natascha auf dem Ball aufforderte und sie beobachtete, als sie mit anderen tanzte, und plötzlich so von ihr verzaubert war, dass er an Heirat dachte.

Скачать книгу