Berlin, Bülowstraße 80 a. Gabriele Beyerlein

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Berlin, Bülowstraße 80 a - Gabriele Beyerlein

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Sohn eines jüdischen Kleiderfabrikanten mochte zur Tochter eines neureichen Spinnereibesitzers passen, zu ihr tat er es nicht.

      Rasch sprach sie weiter: „Ich brenne darauf, alles zu hören. Aber ich bin hier nun mal an einer schwierigen Stelle mit der Hohlsaumstickerei, da muss ich eben die Fäden zählen, und wenn ich die Stickerei nicht fertig habe, wenn Frieda mich abholt, lässt Mama mich nicht mehr zu dir.“

      Cecilie schüttelte den Kopf. „Du mit deinem preußischen Pflichtgefühl! Deine Mutter ist wirklich zu streng — da bin ich ja froh, dass meine aus dem Rheinland stammt und nicht aus so hohen Kreisen ist wie deine! Mama gönnt mir mein Vergnügen, und vor allem verlangt sie keine sinnlose Arbeit von mir. Immerfort sticken, wozu soll das gut sein? Monogramme in die Aussteuer, ja, das wäre etwas anderes, aber so? Eure Schränke müssen doch schon randvoll mit überflüssigen Handarbeiten sein!“

      Sophie schwieg. Nicht einmal Cecilie durfte wissen, was es mit diesen Handarbeiten auf sich hatte. Am Samstag musste die Decke im Geschäft abgeliefert werden, es war eine Auftragsarbeit für die Tafel eines Ministerialdirektors, wenn sie die nicht rechtzeitig fertig bekam, würde der Ladeninhaber sie ihr nicht mehr abkaufen. Aber das konnte sie Cecilie nicht sagen, so gern sie es auch täte. Sie hatte der Mutter versprechen müssen, mit keinem Menschen, nicht einmal mit ihrer Freundin, darüber zu reden, dass sie sich mit dem Verkauf von Handarbeiten Geld verdienten.

      Sie würden gesellschaftlich geächtet, wenn das herauskäme, meinte die Mutter, und würden von ihren Kreisen nicht mehr zu Gesellschaften geladen und schon gar nicht zu einem Ball.

      Und selbst wenn die gesellschaftliche Ächtung ausbleiben sollte, die Strafe der Mutter würde nicht ausbleiben, wenn sie sich an das auferlegte Schweigen nicht hielt, das war Sophie klar. Dann durfte sie womöglich an keinem Ball mehr teilnehmen.

      Und zu Bällen gehen, das wollte sie um jeden Preis. Dafür nahm sie sogar den Ärger ihrer Freundin in Kauf. Und eines Tages würde sie auf so einem Ball einen kennenlernen, einen, gegen den Samuel Rosenstock verblasste, einen, der nicht so eingebildet und übertrieben zackig war wie Leutnant von Oßdorf, einen, der sie aus der Enge hinausführte, einen, mit dem das Leben begann, das wirkliche Leben: ihr Leben, für das sie geboren war. Doch erst einmal musste sie Cecilie besänftigen. „Also, wie war das beim Schlittschuhlaufen?“, fragte Sophie.

      „Vielleicht erzähle ich es dir ein andermal“, erwiderte Cecilie, noch immer verstimmt. Sie griff nach dem Buch, das auf dem Tisch lag — Krieg und Frieden, jener Roman, dessen ersten Band Sophie sich einst ausgeliehen hatte und in dem sie nicht allzu weit gekommen war, denn ihre Mutter hatte das Buch bei ihr entdeckt und es ihr weggenommen. Mehr noch, um dieses Romanes willen hatte die Mutter Sophie damals für Wochen den Umgang mit Cecilie untersagt, und seither ließ sie sich, wenn Sophie von der Freundin kam, immer den Inhalt der Tasche zeigen, ob sie nicht wieder unerlaubt ein Buch mitgebracht habe. Entwürdigend war das: als sei sie ein sechsjähriges Kind, das es zu gängeln gelte, oder eine gemeine Diebin. Außerdem steigerte es Sophies Interesse an dem Roman immer mehr. In letzter Zeit, seit Cecilie selbst mit seiner Lektüre begonnen hatte, las diese ihr manchmal daraus vor.

      „Magst du zuhören?“, fragte Cecilie. „Ich bin allerdings schon ein paar Kapitel weiter und habe keine Lust, das noch einmal ...“

      „Musst du ja nicht“, sagte Sophie rasch. „Fahr einfach da fort, wo du gerade bist!“

      „Pass nur auf, dass du dich nicht verzählst, wenn es zu spannend wird!“, spöttelte Cecilie. „Es ist nämlich wirklich spannend. Also, es ging gerade darum, dass Pierre mit Dolochow Streit bekommen hat — du erinnerst dich an Dolochow? —, weil Pierre nämlich einen anonymen Brief erhalten hat, dass Dolochow der Liebhaber seiner Frau sein soll ...“

      „Liebhaber“, das war wieder so ein Wort. Eines der Worte, von denen Sophie ahnte, dass sie der Grund waren, warum ihre Mutter derart argwöhnisch über die Bücher wachte, die sie las. Eines der Worte, die sich auf den geheimen Teil des Lebens bezogen, auf den, vor dem höhere Töchter streng abgeschirmt wurden. Sophie spürte sie immer wieder, diese unsichtbare Mauer des Schweigens, die alles umgab, was sich auf Mann und Frau und Kinderkriegen bezog. Wenn Cecilies Mutter ihr mit höchstem Stolz jeden Raum ihres neuen Hauses gezeigt hatte, selbst die Dienstbotenkammer, nur einen nicht, das eheliche Schlafzimmer. Wenn ihr Bruder Karl bei seinem letzten Urlaub von der Hochzeit eines seiner vorgesetzten Offiziere gesprochen und erzählt hatte, dass man das jungvermählte Paar zur Hochzeitsreise an den Bahnhof gebracht habe, und dabei mit einem so merkwürdigen Grinsen das Coupé apart erwähnt hatte, das die beiden bestiegen hätten, einem Grinsen, das ihm unter dem empörten Stirnrunzeln der Mutter und einem kurzen Blick auf sie, die ahnungslose Schwester, vergangen war. Wenn Mama plötzlich in scharfem Ton Frieda ins Wort fiel, weil diese unbefangen etwas ausplauderte, was sie beim Einholen auf dem Markt oder beim Gespräch mit anderen Dienstmädchen aufgeschnappt hatte, von einer Frau, die im Kindbett gestorben, oder einem Dienstmädchen, das wegen „anderer Umstände“ aus dem Haus gejagt worden war. Wenn im Religions- und Konfirmandenunterricht dunkle Worte vorgekommen waren — das sechste Gebot: Du sollst nicht ehebrechen — und man hätte fragen mögen, was genau das denn nun sei, Ehebruch, ob es da um das Gefühl, jemanden anderen zu lieben, gehe oder doch um etwas anderes, und keine sich getraut hatte, danach zu fragen.

      Liebhaber ...

      „Und jetzt hat Pierre diesen Dolochow zum Duell gefordert, und da stehen sie sich nun auf einer Lichtung im Wald gegenüber“, erklärte Cecilie, rückte näher ans Licht und begann zu lesen:

      „‘Na los‘, rief Dolochow.

      ‚Auf was warten wir noch?', sagte Pierre, immer noch mit demselben Lächeln.

      Allen war fürchterlich zumute ...“

      Auf einmal war Cecilies Stimme weit weg. Wie durch Nebel drangen die Worte nur noch dumpf in Sophies Ohren, erreichten nicht mehr ihr Bewusstsein. Die Stickerei sank in den Schoß. Sophie saß starr. Und alles war wieder da. Die Nacht. Das Mondlicht. Die Schritte des Vaters im Nebenzimmer. Das leise Zuziehen der Wohnungstür. Und dann der Schrei der Mutter —

      „Er machte ein paar unsichere, schwankende Schritte auf den Säbel zu und sank neben ihm in den Schnee“, las Cecilie vor. „Seine linke Hand war voller Blut, er wischte sie an seinem Rock ab und stützte sich darauf ...“

      Ob damals auch Schnee gelegen hatte, damals, am 6. März 1875, damals, als der Vater in einem Duell getötet worden war, um seine Ehre zu retten?

      „Sie waren nur noch zehn Schritte voneinander entfernt. Dolochow ließ den Kopf in den Schnee sinken, nahm lechzend etwas davon in den Mund ...“

      Blut im Schnee. Oder hatte es geregnet, und das Blut des Vaters hatte sich mit dem schmutzigen Wasser einer Pfütze vermischt? Nein, nein, die Sonne, erst hatte der Mond geschienen und dann die Sonne —

      Ein klagender Laut entwich Sophies Brust, ohne dass sie es wollte.

      Cecilie blickte vom Buch auf. „Was ist? Aber Sophie — du weinst ja!“

      Sophie schüttelte den Kopf. Und schluchzte immer heftiger. Die Freundin setzte sich neben sie auf das Sofa und legte den Arm um sie. „Du weinst ja!“, wiederholte sie. Da stürzten alle Schutzwälle ein, und die Worte brachen aus Sophie heraus: „Mein Vater, er ist bei einem Duell getötet worden. Ich weiß es noch nicht lange, meine Mutter spricht nie darüber, ich habe ein paar Zeitungsausschnitte gesehen, nur eine Überschrift konnte ich lesen, und Frau General von Klaasen, sie hat nicht widersprochen, als ich von dem Duell gesprochen habe,

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