In Amerika. Gerstäcker Friedrich

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In Amerika - Gerstäcker Friedrich

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Zeit für sich anzubahnen gedachten. Gelang es ihnen, dort die Sklaverei einzubürgern, so hofften sie, dass sie reichlichen Zuschuss von den Südstaaten bekommen würden, und wie bis jetzt der Druck der Abolitionisten von Norden herunterpresse, konnten sie dann einen mächtigen Gegendruck vom Süden dagegen ausüben.

      * * *

      Die breite, prächtige Kanalstraße hinab, die auch nach dem See Pontchartrain hinausführte und in deren Mitte ein doppeltes Schienengleis für die Straßeneisenbahn lag, rollte eben der ziemlich schwach besetzte Waggon nach außen zu. Nur vier junge Leute, den höheren Ständen angehörig, und eine ältere Dame saßen darin. Drei von diesen waren Amerikaner und Bekannte, denn sie sprachen viel miteinander und zwar mit unterdrückter Stimme, der vierte schien ein Fremder, verkehrte nicht mit ihnen und saß in der einen Ecke des Wagens allein.

       Der Kutscher draußen zügelte die Pferde ein. In der Allee, neben dem Schienenweg, stand ein junges Mädchen, kaum dem Kindesalter entwachsen, aber von wunderbarer Schöne, schlank, mit blonden Haaren und blauen Augen, das von einem alten Neger begleitet einzusteigen wünschte.

       Der Wagen hielt. „Alle Wetter, das ist ein wunderhübsches Mädchen“, flüsterte der eine der Amerikaner den Freunden zu.

       „Aber ein Nigger65“, sagte der zweite, und zwar so laut, dass es das junge Kind fast hören musste, „ich kenne sie, sie gehörte Owen Karr und wird jetzt die Dame spielen.“

       „Hallo, mein Bursch!“, rief da der eine Amerikaner, der das Mädchen hatte passieren lassen, aber dem alten Neger, der ihr eben folgen wollte, entgegentrat. „Willst Du einmal machen, dass du gleich hinauskommst, oder soll ich Dich mit dem Kopf zuerst hinausschleudern. Halt, Kutscher, hier will ein Nigger mitfahren, und verdammt, wenn das geht!“

       „Aber Massa“, rief der alte Mann erschreckt, „ich gehöre zu Miss da.“

       „Du magst gehören, wem Du willst, aber in keinen Waggon mit weißen Leuten zusammen“, und dabei nahm er den alten Burschen und wollte ihn ohne weiteres aus dem Wagen stoßen.

       „O, lass uns wieder aussteigen, Onkel Pitt“, bat das junge Mädchen, das kaum mehr als fünfzehn, höchstens sechzehn Jahre zählen konnte, indem sie zurück nach dem Ausgang drängte.

       „Bleiben Sie hier, schönes Kind“, lachten die beiden anderen jungen Amerikaner, indem sie ihre Arme vorhielten. „Lassen Sie nur den alten Nigger, wir wollen Sie schon sicher nach Hause geleiten.“

       „Bitte, lassen Sie mich hinaus – oh bitte, lassen Sie mich hinaus.“

       „Massa!“, schrie zugleich der alte Neger, indem er sich gegen den Griff des jungen Mannes sträubte, und die Arme, mit denen er ihn dabei hielt, schienen von Eisen zu sein. „Ich habe jetzt dasselbe Recht hier, wie Sie – ich bin ein freier Mann und kein Nigger.“

       „Bestie!“, schrie der Amerikaner dagegen. „Willst Du Hand an einen Weißen legen?“ Und mit voller Gewalt warf er sich gegen ihn.

       Der Alte hatte auf der Schwelle des Waggons keinen festen Stand. Wie er einen halben Schritt zurücktrat, rutschte er aus und verlor den Fußhalt, aber sein Griff hing um so fester an dem Kragen seines Angreifers, und im Fall selbst riss er ihn herum und brachte ihn unter sich, so dass er vor ihm auf die Bahn kam und seinen eigenen Sturz brach. Der junge Amerikaner traf dabei mit dem Kopf auf die eiserne Schiene, und vor Schmerz und Wut fast rasend, schnellte er sich, da ihn der Neger überdies jetzt losließ, empor, riss einen Revolver, den er unter der Weste trug, heraus, und schon im nächsten Moment – wie das Ganze überhaupt kaum Sekunden gedauert hatte – schmetterte der Schuss durch die Straße.

       „Lassen Sie mich hinaus!“, rief das Mädchen in Todesangst.

       „Sie können nichts dabei tun – vorwärts, Kutscher“, schrie der eine Amerikaner.

       „Gentlemen, mit Ihrer Erlaubnis“, sagte da der junge Fremde, der aufgestanden und nach hinten gekommen war. „Gestatten Sie, Fräulein, dass ich Sie hinausführe“, und den Arm des jungen Mannes in ruhiger, aber sehr bestimmter Weise lösend, wobei er ihm einen Blick zuwarf, der jenem deutlich genug sagte, dass hier Ernst gemeint sei, geleitete er das Kind hinaus.

       „Go ahead!“, rief aber auch jetzt der hintenaufstehende Kondukteur und gab das Zeichen zum Weiterfahren. Er hatte den Schuss gesehen, von dem der Neger in die Knie brach und auf sein Gesicht fiel, und mochte mit der Sache nichts weiter zu tun haben. Der Mörder warf sich auch, doch wohl in Furcht, zur Rechenschaft gezogen zu werden, rücksichtslos in den Waggon zurück, während der Kutscher seine Pferde schon wieder antrieb. Ehe sie aber den schweren Wagen in Gang brachten, gelang es dem jungen Fremden, seinen Schützling auf die Seitentreppe zu bringen, und abspringend, erfasste er sie und hob sie, während das Fuhrwerk gerade den ersten Ruck tat, auf die Bahn nieder. So stand er mit ihr wenige Sekunden später, während die street car schon rasch die Straße hinabrollte, neben der Leiche des alten Negers und in einer herzudrängenden Menschenmasse, die den Schuss gehört und auch wohl die Kämpfenden gesehen hatte und jetzt gern Zeuge des Ausgangs sein wollte.

Image

      San Diego Pferdestraßenbahn von 1886 in einer Parade, 1911

       „Oh mein Gott! Oh mein Gott!“, rief das junge, unglückliche Mädchen, indem sie sich über die Leiche des alten Negers warf. „Onkel Pitt! Onkel Pitt, bis Du von mir gegangen? Haben sie Dich alten, braven Mann totgeschossen? Oh und meinetwegen nur, weil ich schwach wurde und nicht weiter konnte – oh, Onkel Pitt, Onkel Pitt, sei mir nicht böse – ich wäre ja selber lieber für Dich gestorben – was soll ich jetzt auf der Welt! Oh, nimm Deine Hebe mit Dir.“

       Der junge Fremde hatte indessen den Geschossenen untersucht, aber es bedurfte keiner langen Forschung. Die Kugel musste ihm mitten durchs Herz gegangen sein, denn seine Pulse hatten lange aufgehört zu schlagen.

       „Wo ist Ihre Wohnung, Miss?“

       Das junge Mädchen hörte die Frage gar nicht, und sie musste zwei- oder dreimal wiederholt werden; endlich sagte sie leise und wehmütig:

       „M e i n e Wohnung? Bei dem alten Mann war sie – jetzt habe ich keine Heimat mehr als das Grab.“

       Der junge Fremde sah sich um – eine Droschke fuhr eben an dem dicht vorbeilaufenden Fahrweg hin, und er winkte dem Kutscher, zu halten.

       „Ich habe einen Ermordeten hier und ein junges Mädchen, die ich nach Hause fahren will.“

       „Eh, Sir?“, sagte der Mann. „Möchten aber wohl erst die Polizei dazu rufen – verlangen immer, das erste Wort darin zu sprechen.“

       „Die Polizei wird sich wohl wenig um den Mann bekümmern“, sagte der Fremde, „es ist ein Neger.“

       „Ein Nigger?“, rief der Droschkenkutscher und warf die Nase verächtlich in die Höhe. „Fahre weder tote noch lebendige Nigger, Sir“, und seinem Pferd die Peitsche gebend, trieb er es die Straße hinauf.

       Der junge Fremde sah ihm mit einem verbissenen Fluch nach – aber was war zu tun? – Er hätte können fünf oder sechs Droschken anrufen und würde von allen die nämliche Antwort erhalten haben! N i g g e r! Der erbärmlichste, durch den Stoff bis tief unter das Vieh gesunkene Irländer würde sich zu gut gehalten haben, einen Neger auf seinem Karren nach Hause zu fahren, und seine einzige Hoffnung

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