Michelle. Reiner Kotulla

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Michelle - Reiner Kotulla

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regeln lassen, wenn ich es nur wollte. Aber weit gefehlt.

       Bis dann, Ihre Michelle

       Vierzehn

      „Wenn du nicht weißt, wie du beginnen sollst, fang einfach an.“ Diese Journalistenregel hatte er schon oft beherzigt, wenn er einen Text schreiben wollte. Sie funktionierte auch dann, wenn es um das Schreiben eines Romankapitels ging, dessen Inhalt ihm in groben Zügen vorschwebte. Anders war es, wenn das nicht der Fall war und er noch nicht wusste, welche Handlungsstränge wie zusammengefügt werden könnten.

      So war es heute. Im Kopf hatte er nur ein diffuses Bild des allgemeinen Handlungsablaufes. So begab er sich, ohne jegliche Absicht, sah man einmal von der Vordergründigen ab, die einen an diesen Ort trieb, auf die Toilette. Unbewusst nahm er das Problem mit dorthin, und tatsächlich, kaum dass er saß, hatte er eine Idee. Drei Handlungsstränge tauchten vor seinem inneren Auge auf, wie aus dem Nichts. Da war Michelle Carladis, ihre Beziehung zu Klaus Wagner und Klaus Wagner selbst, seine Herkunft sowie sein politisches Umfeld. Der Dritte betraf ihn, Alexander Fabuschewski selbst, seine Beziehungen und seine Arbeit.

      Zufrieden verließ er den Ort der Ideenfindung. In seinem Arbeitszimmer an der Clusterwand zeichnete er mit einem dicken Filzstift entsprechende Kreise und Verbindungspfeile. Mit einem dünnen füllte er die Kreise mit Stichpunkten. Diese Aufzeichnungen wiesen ihn klar auf die anliegende Aufgabe hin: Klaus Wagner. Einiges vom Charakterbild dieses Mannes kannte er schon, konnte es den Briefen von Michelle Carladis entnehmen. Seine nächste Arbeit würde nun darin bestehen, für Klaus Wagner ein soziales Umfeld zu konstruieren.

      Jetzt erinnerte er sich an den Vorschlag seines Vaters, Verbindung zu Volker Grün aufzunehmen. „Der Mann ist Sozialarbeiter und Lehrer an einer Wetzlarer Gesamtschule. Im Moment arbeitet er an einer Dokumentation über deutsche Burschenschaften. Er wohnt in der Obertorstraße, hier in Wetzlar“, hatte der gesagt. Auch dessen Telefonnummer hatte er aufgeschrieben. Das könnte, so überlegte Alexander, zu Klaus Wagner passen. Völlig unvorbereitet mochte er nicht zu einem Gespräch mit Volker Grün erscheinen. Im Netz informierte er sich über die Geschichte der Burschenschaften im Allgemeinen.

      „Entstanden im Zusammenhang mit den Befreiungskriegen gegen Napoleon“, so las er, „wurde 1815 in Jena die Urburschenschaft gegründet. Ihr gemeinsamer Hintergrund waren nationale, christliche und freiheitliche Ideen. Zu ihren geistigen Wegbereitern gehörten unter anderem der als Turnvater bekannt gewordene Friedrich Ludwig Jahn und der Philosoph Johann Gotthelf Fichte. Auf ihre Fahnen hatten sie die Werte ‚Ehre-Freiheit-Vaterland‘ geschrieben. Der vaterländische Gedanke aber war die wichtigste Idee, für den sich auch viele damalige Studenten begeistern konnten. Schon früh jedoch wurden antisemitische Tendenzen deutlich. So kam es 1817 zu ersten Bücherverbrennungen, unter anderem des Buches Germanomanie des jüdischen Autors Saul Ascher. Dabei wurde dreifach ‚Wehe über die Juden!‘ gerufen. Später wurde die Machtübertragung auf Hitler von einer großen Mehrheit der deutschen Burschenschaften begeistert begrüßt. Bald darauf initiierten einige ihrer Führer zusammen mit Hitlerjugend und SA öffentliche Bücherverbrennungen. Völkermord und Judenvernichtung wurden von ihnen akzeptiert. Heinrich Heine sollte recht behalten, wenn er voraussah: ‚Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen.‘“

      So gerüstet, wählte Alexander Fabuschewski die Nummer, die sein Vater ihm gegeben hatte.

      „Grün.“

      „Alexander Fabuschewski, guten Tag, Herr Grün. Ich habe Ihre Telefonnummer von meinem Vater, Peter Fabuschewski, bekommen.“

      „Guten Tag, Herr Fabuschewski, was kann ich für Sie tun?“

      Eine in letzter Zeit häufig gebrauchte Floskel, dachte Alexander. „Mein Vater sagte mir, dass Sie an einer Dokumentation über Burschenschaften arbeiten.“

      „Ja, das stimmt.“

      „Ich bin Schriftsteller und recherchiere in dieser Richtung. Vielleicht können Sie mir da weiterhelfen?“

      „Schon möglich, aber telefonisch ist das vielleicht nicht so gut. Wo wohnen Sie?“

      Alexander spürte Ablehnung und wollte schon sagen, dass er es sich noch einmal überlegen möchte, als Volker Grün, als wenn er Alexanders Bedenken gespürt hätte, fortfuhr: „Sie müssen meine Skepsis Anrufern gegenüber verstehen, ich habe da schon schlechte Erfahrungen gemacht.“

      Alexander unterließ die Nachfrage, die ihm schon auf den Lippen lag, und antwortete auf Grüns Frage: „Ich wohne Am Fischmarkt.“

      „Da können wir uns doch auf dem Kornmarkt treffen, dort gibt es ein Café mit Außenterrasse.“

      „Wann passt es Ihnen?“

      „Sofort, wenn Sie wollen.“

      Alexander war einverstanden, und sie beendeten das Gespräch. Erst, als er das Haus verließ, stellte er fest, dass es heute ein schöner Sommernachmittag war. Er kehrte noch einmal um und hängte seine Jacke an einen Garderobenhaken im Flur seiner Wohnung.

      Als er über den Domplatz lief, genoss er die warmen Sonnenstrahlen. Viele Tische der Straßencafés waren besetzt. Ein fast mediterranes Ambiente tat sich vor ihm auf.

      Vorbei an der Akro erreichte er nach wenigen Minuten den Kornmarkt. Auch hier waren einige Tische vor dem Eiscafé besetzt. Alexander blieb unschlüssig stehen, als sich an einem der Tische ein Mann erhob und ihm zunickte.

      „Wie haben Sie mich erkannt?“, fragte Alexander.

      „Aufs Geratewohl, aber nehmen Sie doch bitte Platz.“

      Sie gaben sich die Hand, und Alexander kam der Aufforderung nach. Volker Grün schaute ihn auffordernd an. Alexander ergriff das Wort und beschrieb mit wenigen Worten sein Romanvorhaben. „Eine der Hauptpersonen meiner Geschichte ist ein Mann, man kann auch sagen, der Antiheld, den ich im rechten Milieu ansiedeln möchte“, beendete er seine Ausführungen.

      „Und Wetzlar soll den Handlungsort abgeben?“

      „Hab ich mir so gedacht, ja.“

      „Gut, wenn Sie möchten, berichte ich zunächst ein wenig Allgemeines über den heutigen Charakter der Bünde.“

      Gut, dachte Alexander, dass ich mich zuvor über die historische Seite der Sache informiert habe. „Gerne. Darf ich mir Notizen machen?“

      „Das ist vielleicht nicht nötig, denn ich kann Ihnen auch entsprechendes Material zukommen lassen.“

      „Danke, gerne, trotzdem möchte ich Ihnen zuhören.“

      Übergangslos begann Volker Grün, dass der hessische Verfassungsschutzpräsident kürzlich davon gesprochen hatte, dass solche Verbände auf dem Weg seien, zu Denkfabriken der organisierten Neofaschisten zu werden. Darüber dürften primitive Rituale wie Säbelrasseln und Komasaufen nicht hinwegtäuschen. In diesem Zusammenhang wurde auch die ultrarechte Gießener Verbindung Dresdania-Rugia genannt, die auch einen Wetzlarer Ableger besitzen soll.

      Interessiert hörte Alexander zu, nutzte zudem die Gelegenheit, seinen Gegenüber zu beobachten. Er schätzte ihn auf ungefähr vierzig Jahre. Er war eine sportliche Erscheinung, hatte braunes, halblanges Haar und graue Augen. Er war bartlos und etwa ein Meter achtzig groß. Er trug schwarze Jeans und ein passendes T-Shirt. Er sprach, in einer für Alexander angenehmen Tonart, ein dialektfreies

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