Michelle. Reiner Kotulla

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Michelle - Reiner Kotulla

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wieder ein Selbstmord, soll hier schon mal passiert sein.“

      „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

      „Ja, gerne.“

      Alexander raffte die Papiere zusammen, verstaute sie in seiner Tasche und setzte sich ihr gegenüber. Sie kamen ins Gespräch, fanden Gemeinsames. Sie war fünfundzwanzig und studierte Pädagogik in Gießen. Ihr leichter Akzent ließ ihn fragen: „Kasachstan?“

      Selten, aber immer wieder, passierte es. Man redete mit jemandem zum ersten Mal und hatte plötzlich das Gefühl, sich schon lange zu kennen. Er sagte es, sie bestätigte. Schnell verging die Zeit. Kaum bemerkte er die Bewegung. Schade, dachte er, schaute auf die Uhr und stutzte. Jetzt kam er doch etwas zu spät, vermutete er.

      Sie arbeitete an einigen Tagen in der Woche in Frankfurt, bediente in einem Café, finanzierte damit ihr Studium.

      „Was machen Sie in Frankfurt?“

      Ohne nachzudenken sagte er die Wahrheit, was ihn wunderte. Sofort spürte er ihr Ressentiment, obwohl sie dieses nicht in Worte fasste. PDS – SED – Stalinismus – Vertreibung von der Wolga nach Kasachstan. Sie schien seine Gedanken erraten zu haben.

      „Ich kann nicht vergessen, was meine Großeltern erlebt haben.“

      Alexander entgegnete nichts, wollte die Stimmung nicht noch weiter trüben.

      „Ich kenne die Kurfürstenstraße. Sie können an der Station Frankfurt-West aussteigen, gehen dann durch den Park gegenüber des Bahnhofs, und schon sind Sie da.“

      Der Zug hielt.

      „Das ist schon Frankfurt-West.“

      Alexander raffte schnell seine Sachen zusammen. „Tschüs.“

      „Tschüs.“

      Warum habe ich sie nicht gefragt, war das Erste, was er dachte, als er auf dem Bahnsteig stand. Er kannte weder ihren noch den Namen des Cafés, in dem sie arbeitete.

      Sie ging ihm in den nächsten Tagen nicht aus dem Kopf. Längst war er wieder zu Hause in Wetzlar, im Haus am Fischmarkt. Dann die Idee. Heute ist Mittwoch. Mittwoch nächster Woche, 17.30 Uhr, Bahnsteig Drei, Gießen.

      Um 17.15 Uhr stand er auf dem Bahnsteig. Er hatte einen Platz an der Haupttreppe gewählt, konnte von hier aus den ganzen Bahnsteig überblicken.

      Sie schaute verdutzt, erkannte ihn aber sofort wieder.

      „Wieder zur Parteisitzung?“

      „Nein, ich bin Ihretwegen hier. Ich habe gehofft, Sie wiederzutreffen.“

      „Sie sind offen, dann bin ich es auch. Wir haben uns letzte Woche gut unterhalten, und dabei möchte ich es auch belassen.“

      Alexander wusste nicht, was er sagen sollte. Inzwischen war der Zug eingefahren. Sie nickte ihm zu und wendete sich zum Einsteigen. In der Tür wandte sie sich noch einmal um. „Mittwochs und freitags arbeite ich im Café Mainbrücke.“

      Am Freitag schon fuhr er nach Frankfurt. Er fand das Café und hatte Glück. Alexander stellte sich vor. Sie hieß Borjanka und hatte in zehn Minuten eine Pause. Sie liefen ein Stück und setzten sich im Park auf eine Bank.

      „Mein Freund und ich, wir studieren beide an der Gießener Uni. Seit einem Monat wohnen wir auch zusammen. Wir werden heiraten.“

      Was sollte er sagen? Eine Stellungnahme verbot sich für ihn, sowohl zu der einen als auch zu der anderen Frage. Stattdessen erzählte er von sich. Erzählte von der Trennung, die nun schon über ein Jahr zurücklag. Von Renate erzählte er nichts. Und auch heute verging die Zeit wie im Fluge.

      „Wann haben Sie Feierabend?“

      Sie zögerte. „Ich möchte eigentlich nicht ...“ Sie ließ offen, was sie eigentlich nicht wollte. „Um sieben.“

      Sie fuhren zusammen zurück bis nach Gießen. Es war wie beim ersten Mal, doch schon zehn Minuten vor der Ankunft des Zuges in Gießen wurden sie einsilbig. Draußen, im Bahnhofsparkhaus, standen sie sich gegenüber. Abschiedsumarmung, sie bot ihm ihre Wange. Alexander zögerte, wartete, wie es ihm vorkam, eine Ewigkeit. Borjanka wandte ihm ihr Gesicht zu. Flüchtig berührten sich ihre Lippen. Hastig wandte sie sich ab, fast rannte sie. Sie drehte sich nicht um. Alexander schaute ihr nach, bis sie ihr Auto erreicht hatte und eingestiegen war.

      Er setzte sich in seinen Wagen. Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Warum verhält sie sich so abweisend zuwendend? Wenn sie sich ihrer Liebe zu ihrem Freund sicher wäre, warum lässt sie sich dann von mir auf den Mund küssen?

       Fünf

       von: [email protected]

       Hallo Herr Fabuschewski,

       vielen Dank für Ihre prompte Antwort und dafür, dass Sie mir helfen wollen. Als sehr angenehm habe ich es empfunden, dass Sie mit keinem Wort eine Erklärung dafür von mir verlangt haben, dass ich meine letzte Nachricht so abrupt beendet habe. Ich denke, dass es noch oft so sein wird, da mich meine Erinnerungen immer wieder dazu bringen werden, zu verstummen.

       Klaus Wagner erwähnte den Vorfall vor Ihrer Haustür zunächst nicht mehr. Ich war froh darüber und wollte ihm auch keinen weiteren Anlass zur Eifersucht bieten. In seinem Verhalten mir gegenüber gab es auch Veränderungen, die mich positiv stimmten und hoffen ließen, dass wir nun auch offener miteinander umgehen könnten. Jetzt fällt es mir schwer, diese Veränderungen zu beschreiben, da sie auch sexueller Art waren. Er wurde zärtlicher und ließ mir mehr Zeit, mich auf ihn einzustellen – du meine Güte, wie formal das doch klingt. Aber egal, fragen Sie einfach nach, sollte ich mich ungenau ausgedrückt haben.

       Manchmal dachte ich, er ginge immer noch davon aus, dass wir, Sie und ich, miteinander geschlafen hätten, und dass er deshalb versuchte, „besser“ zu werden. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er mich überwachte oder kontrollierte. Wenn wir uns abends trafen, fragte er zwar stets freundlich, was ich tagsüber getan hätte, kritisierte aber nichts. Dann fragte er mich eines Tages, ob wir nicht zusammenziehen könnten. Er könnte so die Miete für seine Wohnung sparen, dann hätte er auch genug Geld, dass ich nicht mehr in der Kneipe, wie er sagte, arbeiten müsste.

       Zunächst habe ich ablehnend reagiert. Besonders darauf, dass ich nicht mehr im Bistro arbeiten sollte. Wieder tat er sehr verständnisvoll und gab zu, dass seine Eifersucht der Grund für seine Bitte gewesen sei. Und das auch nur deshalb, weil er mich so sehr lieben würde. Ich gab nach, kündigte im Bistro und ließ ihn in meine Wohnung einziehen.

       Beides, so weiß ich heute, waren große Fehler.

       Bis dann

       Michelle Carladis

       PS.: Sollten Sie zu meinen Ausführungen keine Fragen haben, genügt es, wenn Sie den Eingang meiner Mail bestätigen.

      Alexander Fabuschewski entsprach dieser Bitte.

       Sechs

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