Michelle. Reiner Kotulla

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Michelle - Reiner Kotulla

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gesagt. Also waren sie, traditionell betrachtet, verlobt. Sie studierten, befanden sich damit in derselben Lebenssituation und bauten sich gemeinsam etwas auf. Er würde sich somit zwischen sie drängen. Hatte er das nicht bereits getan? Und warum war Borjanka, zumindest ansatzweise, darauf eingegangen? Nur weil sie sich gut unterhalten hatten? Hatte er sie bedrängt? Fragen, die ihn nicht ruhen ließen. Das Einfachste wäre doch, so ging es ihm durch den Kopf, die Sache auf sich beruhen zu lassen, zumindest zu warten. Und er wartete.

      Er hatte ihr seine Telefonnummer und E-Mail-Adresse gegeben. Ob sie die Visitenkarte aufgehoben hatte? Jedes Mal, wenn er ins Netz ging, schaute er nach. Vergebens. Sie ging ihm nicht aus dem Kopf und dem Sinn. Er fragte sich nach dem Unterschied zwischen Kopf und Sinn. Fühlen und Denken, bildeten sie nicht eine Einheit? Er war davon überzeugt. Zumindest negatives Empfinden beflügelte die Gedanken, ließ sie nach Abhilfe suchen. „Faulheit kann der Motor sein für technischen Fortschritt“, hatte ihm Juri Brelow seinerzeit erklärt, als sie über die Motivation menschlichen Handels gesprochen hatten.

      Jetzt musste er innerlich über das Abgleiten seiner Gedanken lachen. Was hat Borjanka mit Faulheit und technischem Fortschritt zu tun? Mit ihr nichts, aber mit Juri Brelow, an den er so oft denken musste. Juri Brelow, der, hätten sie beide die Chance gehabt, sich länger zu kennen, ein Freund geworden wäre. Seine Gedanken kehrten wieder zu Borjanka zurück. Morgens, wenn er wach wurde und abends, bevor er einschlief, dachte er an sie. Sehnsucht war das wohl, die ihn nach Befriedigung suchen ließ.

      Also fuhr er am Freitag wieder hin.

      Sie verschaffte sich und ihm etwas mehr Zeit, indem sie einen späteren Zug nehmen wollte. Zwei Stunden hatten sie Zeit. Sie erzählte von ihren Großeltern, der Vertreibung nach Kasachstan. Sie berichtete von dem Leid, das sie ertragen mussten, aber auch davon, dass ihr Großvater vorgehabt hatte, wären die Deutschen in ihr Dorf an der Wolga gekommen, mit diesen zusammenzuarbeiten und an ihrer Seite gegen Stalin zu kämpfen. Doch Stalin war ihnen zuvorgekommen.

      Wieder unterhielten sie sich ununterbrochen. Ihr Gespräch hatte nur selten Berichtscharakter, meist äußerten sie ihre Gedanken, Eindrücke und Meinungen. So lernten sie sich kennen. Ein paar Mal berührten sich ihre Hände, als sie zum Bahnhof gingen. In Gießen dann der Kuss, wieder auf den Mund und etwas länger.

       Sieben

       von: [email protected]

       Hallo Herr Fabuschewski,

       ich wende mich heute mit einer Bitte an Sie. Ich bin noch nicht wieder in der Lage, in meine Wohnung in der Langgasse zu gehen. Obwohl ich auch Ihnen meinen derzeitigen Aufenthaltsort noch nicht nennen kann, vertraue ich Ihnen.

       Deshalb möchte ich Sie bitten, in meine Wohnung zu gehen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Meine Nachbarin, die auf derselben Etage wohnt, hat einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Sie bewahrt auch die Post für mich auf. Ich habe ihr mitgeteilt, dass Sie sie um den Schlüssel für meine Wohnung bitten werden. Vor meiner Flucht habe ich alle Topfpflanzen verschenkt, das heißt, ich habe sie einfach vor der Haustür auf die Straße gestellt. Jetzt werden Sie fragen, wonach Sie denn dann schauen sollen.

       Schon Tage vor meiner Flucht habe ich Klaus Wagner aus meiner Wohnung gewiesen. Er hat mir zwar die Schlüssel gegeben, aber ich bin mir nicht sicher, ob er sich nicht vorher einen Zweitschlüssel hat machen lassen.

       Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Computer an sich nähmen. Er steht im Wohnzimmer auf dem Schreibtisch.

       Herzliche Grüße

       Michelle Carladis

      Sogleich ging Alexander Fabuschewski zum Parkhaus gegenüber, in dem er einen Dauerparkplatz gemietet hatte. Er fuhr, weil er hinterher noch Einkäufe zu erledigen hatte, zur Hospitalkirche und stellte sein Auto auf dem Haarplatz ab. Frau Peter händigte ihm, ohne Fragen zu stellen, den Schlüssel aus. Auf seine Frage hin erklärte sie, dass sie niemanden beim Betreten der Wohnung beobachtet habe. Alexander begab sich in Michelles Wohnung, die er von einem früheren Besuch her kannte. Im Wohnzimmer, der Schreibtisch – leer. Kein Computer, nur ein Monitor und der Drucker standen dort. Er suchte auch in den anderen Zimmern, jedoch ohne Erfolg. Er verließ die Wohnung und gab den Schlüssel bei Frau Peter ab.

      Wieder zu Hause sandte er sofort eine E-Mail an Michelle ab. Kurz darauf, als hätte sie auf seine Nachricht gewartet, schrieb sie ihm, dass sie das befürchtet habe. Den Computer habe sie zusammen mit Klaus Wagner genutzt. Beide seien über ein jeweiliges Passwort zu ihren Dateien gelangt. Auf das Passwort habe Klaus bestanden. Sie hätte seinen Wunsch akzeptiert, zumal er ihn damit begründet hätte, dass sich in seinen Ordnern Dateien befänden, die Interna über eine politische Organisation enthielten, mit der er zusammenarbeite. Sie habe nicht weiter nachgefragt, da er von sich aus nichts Näheres erläutert habe. Sie habe auch ein Beispiel dafür abgeben wollen, dass sie ihm vertraute, in der Hoffnung darauf, dass er sich ihr gegenüber ähnlich verhielte. Ihre Befürchtung, er besäße einen Zweitschlüssel zu ihrer Wohnung, hatte sich ja nun bestätigt. Alexander wunderte sich ein wenig darüber, dass Michelle nichts über den Verlust ihrer eigenen Daten geschrieben hatte. Er dachte aber nicht weiter darüber nach.

       Acht

      Worüber hatten sie das letzte Mal gesprochen, fragte er sich. Er erinnerte sich nicht an alles. Ein Thema hatte er jedoch nicht vergessen, auch deshalb nicht, weil er damit ein Bild verband.

      Sie hatten einen freien Tisch am Fenster gefunden. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit hatte er sich nicht so gesetzt, dass er den gesamten Raum im Blickfeld hatte, eine Eigenart, deren Ursprung er nicht kannte. Wenn er sonst mit anderen in ein Lokal ging, erklärte er oft, dass er sich dieses Verhalten damals im wilden Westen angeeignet hätte. Das hätte ihm dort so manches Mal das Leben gerettet, hatte er doch in Deckung gehen können, wenn einer der Gäste seinen Colt zog. Jetzt unterließ er diesen Hinweis. Borjanka saß mit dem Rücken zum Fenster. Die Sonne schien herein und erleuchtete ihren äußeren Haarkranz. Wie ein Heiligenschein, dachte er. Das milde Licht des Raumes ließ ihr Gesicht besonders weich erscheinen. Sie ist wunderschön, dachte er. Sie hatte ein olivgrünes Top an, das entweder so kurz oder dessen dünne Träger so lang waren, dass es ihre Brüste zur Hälfte freigab. Goldbraune Haut unter olivgrünem Stoff und die Sonne in ihrem Haar erregten ihn so sehr, dass er am liebsten sofort seine Wünsche geäußert hätte. Stattdessen sprachen sie über Liebe und Lust im Allgemeinen.

      Borjanka hatte, so erzählte sie, im letzten Semester ein Seminar mit dem plakativen Titel „Die Last mit der Lust“ belegt und dort ein Referat gehalten, in dem es um die Schwierigkeit für die Wissenschaft ging, das Sexualleben der Frauen in Messkurven zu erfassen. Sie begann sogleich, in etwas dozierender Weise Auszüge aus dem Referat zu liefern. Alexander musste sie wohl so aufmerksam angeschaut haben, dass sie in seinem Blick Interesse an ihrem Referat zu entdecken geglaubt hatte. In Wirklichkeit war er von ihrem Anblick so fasziniert, dass er kaum auf ihre Worte achtete. Nur Bruchstücke ihres Vortrages blieben ihm in Erinnerung. Von zwei unterschiedlichen Untersuchungen sprach sie. Bei der einen war von neunzehn Prozent der Frauen die Rede, die beim Sex selten zum Orgasmus kamen. Eine andere Erhebung belegte dagegen, dass 72 Prozent der befragten Frauen ihrem Sexualverhalten ein befriedigendes Zeugnis ausgestellt hätten. „Was meinst du, wie es zu derart unterschiedlichen Ergebnissen kommt?“

      Er muss sie wohl weiterhin interessiert angesehen haben, reagierte aber nicht auf ihre Frage.

      „Alexander“, sprach sie ihn nun direkt an, „hörst du mir überhaupt zu?“

      „Ja,

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