Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim. Jürgen Ruszkowski
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Es folgte ein Job als 1. Steward mit Passagieren an Bord bei der Reederei Bruns mit Fahrtgebiet Ecuador. Bei Reederei Llaeisz fuhr er danach in Charter für die Standard Fruit Company im Mittelamerikadienst. Dabei lernte er in Honduras seine zweite Frau kennen. Während der Seefahrt hatte er erst Englisch und später auch Spanisch gelernt. Anfangs verständigten wir uns mit Händen und Füßen. Ein Kapitän, der während des Krieges in Südamerika interniert gewesen war, erteilte uns an Bord den ersten Spanischunterricht. Heute spreche ich perfekt spanisch.“ 1970 blieb er in Honduras an Land und machte sich in La Ceiba mit einem Restaurant selbständig. Es lief alles recht gut, bis 1974 ein Hurrikan wütete und das ganze Land zerstörte: 10.000 Tote, sein Lokal „total abgesoffen“. Er richtete es notdürftig wieder her, kam aber geschäftlich nicht wieder auf die Beine. 1976 kam er nach Deutschland zurück und fing bei der Hamburg-Süd auf der „CAP SAN LORENZO“ wieder als 2. Steward an. Als er keine Aufstiegschancen sah, wechselte er als 1. Steward zu Reederei Bornhofen und war dort auf drei Schiffen, zunächst auf der „LUISE BORNHOFEN“. Die Reederei ging pleite. Danach musterte er auf der „NEUENBURG“ bei Barthold Richters an. Er hatte wieder Pech: Das Schiff wurde wegen Werftschulden in Rostock an die Kette gelegt. Er blieb für 8½ Monate mit einigen weiteren Seeleuten als Notbesatzung an Bord und lernte dadurch Rostock zu DDR-Zeiten kennen. „Als wir merkten, dass der Umgang mit den Stasi-Miezen im FDGB-Seeleute-Interclub zu heikel war, mieden wir den Club.“
Nach kurzfristiger Arbeitslosigkeit vermittelte ihm das Arbeitsamt eine Stelle bei Ahrenkiel. Dort fuhr er noch von 1981 bis 1988, zunächst auf der „CALEDONIA“. 1986 kamen auch dort die ersten Ausflaggungen und ausländischen Besatzungen. „1988 kam dann auch für mich das Aus!“ „Am schönsten war die Seefahrt für mich in der Südamerika-, Ostasien- und Nordatlantik-Passagierfahrt bis etwa 1965. Damals waren die Hafenstädte noch interessant. Wir kamen auf unsere Kosten und hatten noch unser Vergnügen. Die meisten Seeleute blieben zwar in der nächsten Hafenkneipe und wankten dann besoffen an Bord zurück. Aber ich unternahm mit dem Linienbus oder per Sammeltaxi, in Mittelamerika „Kollektivos“ genannt, Ausflüge bis zu 50 und 100 km die Berge hoch ins Landesinnere, probierte einheimische Kost, hatte dabei auch schon mal Darmverstimmungen, aber lernte dabei Land und Leute kennen. - Dann kamen die ersten Container auf und damit der große Wandel in der Schifffahrt.“
Seinen Lebensabend verbringt Michael jetzt wieder in Honduras.
Otto, der Lebenskünstler
„Nennen Sie mich „Otto, der Schräge“ oder „Otto, der Weltenbummler“ oder auch „Otto, der schlaue Jude“, das trifft alles auf mich zu.“ - Das erste Mal kam Eberhard Otto im Sommer 1991 zu uns ins Seemannsheim und fiel gleich durch seine Kontaktfreudigkeit und Quirligkeit auf. Jeden spricht er sofort an und redet dann meistens in der Muttersprache des Gegenübers ohne Pause wie ein Wasserfall auf ihn ein. Als Zuhörer ist man sich nie sicher, ob man es mit Dichtung oder Wahrheit, mit Seemannsgarn oder echten Abenteuern zu tun hat. Sein Sprachgenie scheint es zu bestätigen, dass er von den Erzvätern Israels abstammt: „Ich spreche fließend deutsch, englisch, französisch, spanisch, italienisch, portugiesisch, griechisch, hebräisch, jiddisch und etwas polnisch und russisch, obwohl ich nur wenige Jahre Schulbesuch genießen konnte. Überhaupt war die Schule nicht mein Fall. Meine Sprachkenntnisse habe ich mir im Kollegenkreise an Bord der Schiffe und in den Ländern angeeignet, durch die ich gekommen bin.
Im Juni 1936 wurde ich von einer jüdischen Mutter namens Dolecek in Breslau geboren. Sie lebte unverheiratet mit meinem Vater, einem reisenden Händler, zusammen. Im jüdischen Kulturkreis ist immer die Mutter am wichtigsten für die Prägung des Kindes und ausschlaggebend für die religiöse Erziehung. Etwa eine Woche nach meiner Geburt wurde ich beschnitten. Meine Eltern wurden 1942 verschleppt. Ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Mit etwa sieben Jahren kam ich zu katholischen Pflegeeltern, die mich später adoptierten und mir ihren Namen Otto gaben. Warum ich die Nazijahre in Deutschland überleben konnte, weiß ich nicht, vielleicht habe ich die düsteren Erlebnisse verdrängt. Überhaupt habe ich wenige Erinnerungen an meine frühe Kindheit. Durch die turbulenten Ereignisse am Ende des Krieges kam ich von Schlesien in die Mitte Deutschlands und, als meine Adoptiveltern an Tuberkulose verstarben, in Rosdorf bei Göttingen in das von katholischen Ordensschwestern geleitete Waisenhaus „Himmelstür“. Dort mussten wir mehr beten, als wir zu essen bekamen, uns bei jeglicher Gelegenheit bekreuzigen, jeden Morgen zur Heiligen Messe gehen und wurden um 6 Uhr abends eingeschlossen. Das empfand ich wie im Knast. So haute ich alle Nase lang ab, meistens zusammen mit anderen Jungen aus dem Heim, und entwickelte einen ausgeprägten Wandertrieb, der noch heute in mir sitzt. Deshalb kam ich mit knapp 17 Jahren in das abgelegene, ebenfalls katholische Erziehungsheim „Johannisburg“ im Börgermoor bei Papenburg im Emsland, nahe der holländischen Grenze, das von den Brüdern des Ordens St. Vinzenz von Paul geführt wurde. Wir mussten im Moor Torf stechen. Flucht war kaum möglich, da der Fußweg zum zehn Kilometer entfernten Bahnhof durch unwegsames Moor führte. Bei guter Führung durfte man einmal jährlich, mit einigen Mark Taschengeld ausgestattet, für eine Woche bei Verwandten Urlaub machen. Im Alter von 18 Jahren wurde ich 1953 in Emden in die Schiffsjungenschule vermittelt. Wir bekamen dort eine Glatze geschoren, eine blaue Uniform verpasst und wurden drei Monate lang für den Decksdienst getrimmt: Pullen, Wache schieben, Bootsdrill, Spleißen, Knoten üben, Rost klopfen, Farbe malen.
Mit dem frisch erworbenen Seediensttauglichkeitszeugnis bestieg ich als Decksjunge mein erstes Schiff, das Kümo „GLÜCKSBURGT“, Heimathafen Glückstadt. Mit einer Ladung Koks ging es von Emden über Wilhelmshaven, Bremerhaven und um Jütland herum nach Kopenhagen. Ich blieb sechs Monate an Bord. Zu meinen Aufgaben gehörte auch Küchenarbeit: Kartoffelschälen, Kaffee aus der Kombüse auf die Brücke zu holen. Auf See durfte ich steuern. Zum Schlafen kam ich nur sechs Stunden zwischen 24 und 6 Uhr. Als Heuer bekam man damals als Decksjunge 150,- DM plus Überstundenvergütung.“
Anschließend war Eberhard als Messejunge auf den Schiffen „VULKAN“ und „BALKAN“ bei der Reederei Komrowski und ein gutes halbes Jahr auf dem Hapag-Dampfer „BRANDENBURG“ als Steward tätig.
In den fünfziger Jahren nahm er in Bochum auf der Kohlenzeche „Unser Fritz“ eine Lehre im Bergbau auf und arbeitete 800 Meter unter Tage. „Da unten gab es keine Seeluft. Man kam schwarz wie ein Neger ans Tageslicht zurück und musste sich in der Waschkaue erst vom Kollegen den mit Schweiß und Kohlestaub verschmierten Rücken „buckeln“ lassen. Nach Feierabend war ich schlapp und hundemüde. Nach einem Jahr hatte ich die Schnauze voll. Schlagende Wetter und andere Gefahren im Berg schreckten mich ab.
Ich ging nach Kassel und arbeitete neun Monate lang als Schlafwagen-Kellner in noch von Dampflokomotiven gezogenen Fernzügen auf der Strecke über Bebra und Nürnberg nach München oder Richtung Frankfurt. Durch Bierverkauf und Trinkgelder war der Verdienst gut, aber auf Dauer ganz schön schlauchend. Die lange Nacht arbeiten und morgens am Zielbahnhof noch alle Betten neu beziehen.“
Auf dem von der NAL bereederten norwegischen Tanker „KONGSFJORD“ fuhr Eberhard 1958/59 ein knappes Jahr als Messesteward nach Madagaskar und zu den südafrikanischen Häfen Durban und Capetown. Er hatte dabei einige Mark zusammensparen können und ging auf Wanderschaft. In Marseille meldete er sich im Fort Saint Nicolaus bei einer Anwerbestelle der französischen Fremdenlegion und ließ die gründliche ärztliche Untersuchung über sich ergehen. „Eine Woche hatte ich Zeit für die Entscheidung. Da mir der Sold zu niedrig für das hohe Risiko erschien, unterschrieb