Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim. Jürgen Ruszkowski
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Was ich über das Verhältnis der Seeleute zu Frauen berichte, trifft natürlich nur für ledige Seeleute zu. Die Ehemänner waren immer treu und gingen mit einem Heiligenschein überm Kopf in den Hafenstädten nur spazieren. Was denn sonst?
Ich war fast elf Jahre lang für Orion, Reith & Co. tätig. Darüber waren viele meiner Kollegen erstaunt, und ich musste mir manchmal böse Beleidigungen anhören. Natürlich war bei Orion nicht alles rosig, besonders in punkto Ausrüstung und Geldüberweisungen, aber ich habe in meiner „Orion-Zeit“ noch die „echte“ Seefahrt kennen gelernt, zumal ich fast immer auf „wilder Fahrt“ war. Über eine Reise in den frühen siebziger Jahren möchte ich berichten, weil da gleich mehrere ernsthafte, aber auch amüsante Geschichten passierten. Das Schiff war in Puerto Plata in der Dominikanischen Republik fertig gelöscht, und der Kapitän hatte noch keine neue Order. Der Agent, der wusste, dass wir von der Besatzung alle unsere Bräute im Hafen hatten, bot dem Kapitän weiteres kostenloses Warten in diesem Hafen an. Aber so etwas kam für unseren Kapitän nicht in Betracht, also: Leinen los und bei den Bahamas vor Anker! Jetzt begann meine typische Orion-Koch-Story: Der Kapitän kam später zu mir in die Kombüse und fragte mich, ob ich noch bis New York, wo wir Ladung nehmen sollten, mit dem Proviant auskommen würde. Ich entgegnete, ich würde das wohl, wie gewohnt, hinkriegen. Als wir dann schon stundenlang auf Fahrt waren, erfuhr ich, dass die neue Order nach Brasilien zur Amazonasmündung lautete. Dort werden alle Schiffe, die flussaufwärts gehen, auf Belem-Reede einklariert. Mit den Behördenvertretern kam auch ein Boot mit genau 18 Mädchen. Der Käptn sah das alles von seinem Salonfenster aus und gab dem 1. Offizier sofort die Order, die Mädchen zu zählen, damit keine an Bord verblieb. Ein Matrose war aber schneller, hatte sich sofort eine der Frauen „ausgeschaut“ und war mit ihr auf Nimmerwiedersehen unter Deck verschwunden. Ich wurde natürlich zwecks Verpflegung eingeweiht. Für diese Reise hatten wir zwei Lotsen und einen Supercargo mit. Als wir dann später wieder mit Vollschiff nach Belem-Reede zurückkamen, musste - wie der Teufel es will - der Alte wieder zum Deck herunterschauen. Und wen sieht er da mit den anderen Brasilianern von Bord gehen, natürlich diese überzählige junge Schöne. Daraufhin schimpfte er wie ein Rohrspatz auf die doch so frechen Einheimischen.
Auf dieser Reise bemerkte ich, dass mir langsam das Brot ausging. Ich hatte wohl noch Mehl, jedoch kaum noch Hefe. Der Zufall wollte es, dass wir bei einem kleinen Urwald-Hüttendorf lagen, um die weltbekannten Edelhölzer an Bord zu nehmen. Frühmorgens ging ich sorgenvoll an Deck hin und her und beobachtete von oben, dass unten zwischen den Häuschen offenbar eine Bäckerei war. Ich ging sofort zu unserem von den Kapverden stammenden Matrosen Vicente und machte ihn darauf aufmerksam. Er mit seiner portugiesischen Muttersprache und gleicher Hautfarbe sorgte im Handumdrehen dafür, dass ich mit dem mir verbliebenen restlichen brasilianischen Geld schnellstens den Brotvorrat auffüllen konnte. Später stellte sich heraus, dass das nur ein Brotdepot für den täglichen Bedarf des Dorfes war. Das tat mir natürlich schrecklich leid.
Einige Tage später waren wir wieder bei so einem kleinen Hüttendorf. Abends ging ich mit einigen anderen Seeleuten an Land, um mal wieder ordentlich einen zur Brust zu nehmen. Das taten wir dann auch reichlich, und als ich mal wieder mit meinem „dicken Kopf“ vor der Kneipentür stand, bemerkte ich ein paar kleine schwarze Schweine, die da herumrannten. Schon erinnerte ich mich daran, dass ich fast kein Fleisch mehr an Bord hatte. Schnell kam ich mit dem Wirt, dem die netten Tierchen gehörten, ins Geschäft. Ich konnte es von meinen restlichen Dollars bezahlen. Er brachte mir eines ausgeschlachtet an Bord. So konnte ich davon einen gut gewürzten kräftigen Gulasch und einige kraftvolle Saucen machen, denn für etwas anderes war das Fleisch nicht zu gebrauchen.
Wer von den Hamburg-Touristen oder den verbliebenen wenigen jüngeren Seeleuten weiß heute noch, dass dort, wo jetzt am Hamburger Hafen hoch über den Landungsbrücken das moderne Hotel „Hafen Hamburg“ prangt, sich noch der alte Bau des Hamburger Seemannshauses befindet, von den Seeleuten das „weiße Haus“ genannt, in dem sich jahrzehntelang der „Heuerstall“ für die „große Fahrt“ befand. Darin residierte der Heuerbaas „Max“, der Inbegriff der Heuervermittlung für die Mannschaftsdienstgrade ganzer Seemannsgenerationen. Auch die „kleine Heuerstelle“ in der Großen Elbstraße für die Küstenfahrt und die Fischerei-Heuerstelle am Fischmarkt waren für uns wichtig. Wie hilfreich war es für viele „abgebrannte“ Seeleute damals, dass vor der Tür der Heuerstelle oft ein Händler für Seemannsklamotten stand, bei dem sie, wenn sie glücklich mit einem Heuerschein herauskamen, mit diesem Händler mitfahren und erst einmal „auf Kreide“ auf Grund des Heuerscheines einkaufen konnten. Aber wir haben uns damals nicht nur auf Max und seinen Heuerstall verlassen, sondern haben die Reedereikontore abgeklappert. Nur ein Teil der Reedereien residierte um den Baumwall, Vorsetzen, Cremon und die Mattentwiete herum. Oft musste man erhebliche Strecken zu Fuß oder mit der Hochbahn zurücklegen. Zwar kam man sich dabei oft wie ein Bettler vor, aber ein guter Personalchef wusste durchaus die Eigeninitiative bei der Jobsuche zu würdigen. Die beiden Kneipen im „weißen Haus“ waren, soweit man noch „Mäuse“ hatte, beliebter Seemannstreff.
Als ich mal wieder bei „Orion“ vorbeischaute, wollte mir das Personalbüro eine Freude bereiten und mich damit überraschen, mir den Job als Koch im Yachtclub in Travemünde anzubieten. Man war dann entsetzt, als ich diesen aus deren Sicht lukrativen Landjob ablehnte und lieber weiterhin den nervenaufreibenden Einsatz auf ihren Schiffen wollte. Ich war nun mal 35 Jahre lang mit Leib und Seele Seemann.“
Günter wohnte zwischen Anfang 1961 und 1984 fünfmal im Seemannsheim am Krayenkamp in Hamburg.
„Das alles gehört heute der Vergangenheit an. Es ist Schluss mit der echten alten romantischen Seefahrt!" Seit 1995 ist er Rentner und lebt in Trier. Er unternimmt im Sommerhalbjahr monatelange Radtouren durch die Gegend.
Im Frühjahr und Sommer 1996 legte er mit seinem Drahtesel mit über 100 kg Gepäck „an Bord“ eine Europarundtour zurück: Seine Reise führte ihn von Trier über den Pfälzer Wald, Straßburg und das Elsass nach Freiburg. Von dort aus ging es in die Schweiz nach Basel und dann quer durch Frankreich bis nach Séte am Mittelmeer. Von nun an radelte Schröder die Küste entlang. Auf diese Weise umrundete er die Iberische Halbinsel mit Spanien und Portugal. Gibraltar, das er bislang nur von See her kannte, wollte er sich einmal von Land aus ansehen. Auf der Atlantikseite kehrte Schröder über Biaritz und Lourdes auf Zwischenstationen, wie Metz und Luxemburg nach Trier zurück. Anschließend radelte er nach Polen, wo er in Hinterpommern Verwandte besuchte. „Ich habe in diesem Jahr auf 77 europäischen Campingplätzen geschlafen.“
Im Frühjahr 1998 unternahm Günter Schröder wieder eine große Tour und radelte von Trier aus über Frankreich und durch Italien bis Brindisi, setze dort mit der Fähre nach Griechenland über und wollte in Piräus die Station der Deutschen Seemannsmission besuchen. Seine Enttäuschung war groß, dass ihm das Haus verschlossen blieb und er dort den ihm bekannten langjährigen Stationsleiter, Diakon Walter Bott, nicht mehr antraf, dem er mehrfach von Bord aus begegnet war.
An Bord geboren, an Bord geblieben