Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim. Jürgen Ruszkowski
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„Mein schlimmstes Erlebnis war ein erzwungener Warteaufenthalt von sechs Wochen im Winter in Solina / Rumänien. Wir sollten Ladung von Donau-Flussschiffen übernehmen, die wegen Eisgangs erhebliche Verspätung hatten. Solina - das ist das verlassenste und ärmste Nest der Welt. Kein Auto, auch der Agent kam mit dem Pferdewagen zum Schiff. Unser Proviant ging durch das unplanmäßige Warten zur Neige. In dem Nest konnte man nichts zukaufen. Die hatten dort selber nichts zu beißen. Es gab täglich Kartoffelpuffer. Der Koch hatte nichts anderes mehr zu bieten. Die 18 Mann Besatzung nagten an den Fingernägeln. Der Zigarettenvorrat war aufgebraucht. Das Schiff war eingefroren. Wir konnten von Bord aus über das Eis spazieren gehen. Die Wasserversorgung an Bord funktionierte nicht mehr. Keiner konnte mehr duschen. Die Toiletten wurden mit zerhacktem Eis notdürftig „gespült“. Es stank bestialisch an Bord. In einem Laden, der sich „Diskoteca“ nannte, stand in der Mitte ein Kanonenofen, an dem man sich etwas wärmen konnte und es gab nur so richtigen Blindmacher-Wodka. Wir waren alle mit den Nerven fertig, als die Binnenschiffe endlich eintrafen. Denen kauften wir dann zu Wucherpreisen Zigaretten und Proviant ab. Als wir die Ladung übernommen hatten und die Leinen losmachten, gab es ein Freudengeheul an Bord. Leinen los in Solina! Wir waren alle außer Rand und Band und haben wie kleine Kinder an Bord getanzt, als uns zwei verrostete Schlepper halfen, uns aus dem Hafeneis zu befreien. In Istanbul habe ich dann sofort abgemustert. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll!“
Hingegen schwärmt er von Liegezeiten in Rio de Janeiro, wo er drei Wochen lang mit seinem Schiff lag oder von Westafrika. „Da kamen die Einheimischen mit ihren schmalen Booten außenbords längsseits zum Handeln. Wir haben dann mit Leinen Buddeln mit Whisky hinabgelassen und dafür wunderschöne Mangos oder Holzmasken eingehandelt. Einmal habe ich erlebt, dass Piraten - ebenfalls auf Holzbooten - einem Händler blitzschnell die Flasche Whisky entrissen und davonruderten. In Abidjan haben mich halbwüchsige, mit Messern bewaffnete Burschen beim Landgang ausgeraubt: Geld, Armbanduhr, Hemd, Hose, Schuhe und sogar mein Seefahrtbuch, das ich beim Landgang als Ausweis brauchte, alles weg. Ich stand nackt in der Unterhose vor der Passkontrolle und hatte ohne Seefahrtbuch größte Schwierigkeiten, wieder an Bord zu kommen. Wegen Beamtenbeleidigung wollte man mich einsperren, und der Alte musste mich mit einer Geldbuße auslösen. - Wenn wir nach Polen fuhren, haben wir vorher immer en gros Damenstrumpfhosen gekauft. Dafür bekam man in Polen alles.“
„Das Verzeichnis der ICMA (International Christian Maritime Association) mit den Adressen der Seemannsheime in aller Welt ist für mich so wichtig wie für andere Leute die Bibel! In Lomé war ich im deutschen Seemannsheim. Das ist ganz herrlich, mit Swimmingpool unter Palmen, aber die Moskitos stachen wie die Weltmeister!“ Seit 1984 verkehrt Marc regelmäßig im Seemannsheim am Krayenkamp in Hamburg.
Im August 1991 stieg er in Cuxhaven auf einem alten unter Antigua-Flagge fahrenden, wie er sagt, Schrott-Kümo namens „SUND“ ein, das nur noch 3.Wahl-Ladung fand. Als man den Hafen in Richtung Bilbao verließ, war die Lademarke schon zwei Handbreit unter Wasser. Die Besatzung ahnte nichts Gutes, weil der Alte immer einen seltsam abwesenden Eindruck machte. Als man in den Hafen von Bilbao einlief, wurde Marc durch lautes Rufen eines Kollegen aus dem Schlaf gerissen: „Quickly outside! The Captain kill us!“ Die heimischen Fischerboote gaben bereits Warnsignale. Einen Lotsen hatte der Kapitän abgelehnt. Das Schiff raste auf eine Steinschütte im Hafen zu, die der Alte offenbar übersehen hatte. Ein Besatzungsmitglied konnte das Ruder noch im letzten Moment herumreißen, bevor das Schiff gegen die Steinbarriere gerammt wäre. „Auf den Schreck mussten wir uns erst einen trinken! Später stellte sich heraus, dass der Alte in Mengen Beruhigungsmittel schluckte und diese mit Alkohol kombinierte. Als ich abgemustert hatte, musste ich mir selber die Heuerabrechnung schreiben und dem Eigner drohen: Erst wenn ich mein Geld habe, kriegt Ihr meine Zeugenaussage über die Vorfälle in Bilbao für das Seeamt!“
Sein letztes Schiff war ein kleiner Tanker. Marc war als Ersatzmann für einen an Bord tödlich Verunglückten angemustert worden. Der hatte trotz strengen Verbots vorne am Kabelgat „einen Smok gemacht“ und war dabei in den Tanker-Abgasen verbrannt. „Als wir in der Elbe auf Grund liefen, habe ich das auf meine Kappe genommen, damit der Offizier keine Scherereien mit seinem Patent kriegen sollte. Als Dank hat man mir die Kündigung präsentiert, als ich wegen eines Hexenschusses vorübergehend von Bord musste.“
„Ich wollte ja schon längst wieder einsteigen, aber der Wirt vom „Taifun“ hat mich kürzlich zusammengeschlagen: Zähne raus, blaues Auge! Ich hatte 2,6 %o und war somit nicht zurechnungsfähig. Es mag sein, dass ich Scheiße gebaut hab. Der hätte mich auch gerne vor die Tür setzen können. Ich hätte mich dann am nächsten Tag bei ihm entschuldigt, aber mich in dem Zustand dermaßen zusammenzuschlagen! Das lasse ich nicht mit mir machen. Er kann mir 2.000 Mark bieten, die werde ich ausschlagen. Der soll mir das büßen! Ich habe Anzeige erstattet und mir einen Rechtsanwalt genommen.“
Kürzlich hatte Marc Gelegenheit, auf einer privaten Segelyacht anzuheuern, die von Hamburg für kurzzeitige Vercharterungen in die Karibik segeln sollte. „Dort verdiene ich zwar nicht so viel und muss mit drei anderen eine Kammer teilen, aber so einen Abenteuerjob habe ich immer schon gesucht. Da fühle ich mich auf Störtebeckers Spuren.“ Als sich aber herausstellte, dass für Wochen mit einer Heuerzahlung nicht zu rechnen war, gab er diesen abenteuerlichen Job schnell wieder auf.
Er versuchte sich noch als Straßenkehrer bei der Stadtreinigung auf dem Altonaer Fischmarkt und als Versicherungsvertreter. Dann verloren wir ihn aus den Augen.
Das Nordlicht im Maschinenraum
Herbert Heins (†) wurde 1933 in Apensen im Kreis Stade geboren. Sein Vater war dort Bahnagent, dass heißt, er betreute einen Einmannbahnhof an einer Kleinbahnstrecke, auf der täglich vier bis fünf Züge verkehrten. Nebenher führte er eine Kunstdüngerhandlung mit einer Fahrzeugwaage. In diesem Dorf verbrachte Herbert die frühe Kindheit und die ersten beiden Schuljahre. Dann zog die Familie nach Hollenstedt im Kreis Harburg um. Nach Abschluss der achtjährigen Volksschule durchlief er von 1948 bis 1951 eine dreijährige Lehre als Maschinenschlosser in einem Betrieb, der Landmaschinen, Traktoren und auch Sägewerk-Dampfmaschinen reparierte. Danach arbeitete er gut drei Jahre lang von 1951 bis 1954 in einem Reparaturbetrieb der Britischen Rheinarmee in Finkenwerder, wo Lastkraftwagen, Panzer und Kanonen grundüberholt wurden. Finkenwerder liegt bekanntlich am Elbstrom, und er konnte die vorbeifahrenden Schiffe beobachten. Einige seiner Kollegen waren früher einmal zur See gefahren und berichteten ihm, welche Fahrgebiete die Schornsteinfarben dieser