Mails aus dem Jenseits. Walter Rupp
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Natürlich habe ich nach meiner Ankunft hier sofort nach allen Verwandten und Bekannten Ausschau gehalten, aber leider erfolglos. Auf meine Nachfrage beim Aufnahmebüro hat man mir gesagt, ich sollte mich deswegen nicht beunruhigen. Wenn ich sie noch nicht gefunden hätte, bedeute das nicht, dass sie nicht irgendwann einmal ankommen. Es komme öfter vor, dass die, die früher gestorben sind, später, manchmal sogar, je nach Lebensweise erst nach Jahrhunderten, ankommen.
Ihr möchtet vielleicht wissen, ob man sich mit der Verwandtschaft noch weiter verwandtschaftlich verbunden fühlen muss und ob es wirklich ausgeschlossen ist, dass sich Ehepartner noch einmal begegnen oder – sollten sie diesen Wunsch verspüren – in einem eheähnlichen Verhältnis miteinander verbunden bleiben dürfen. Werden die ermordet wurden, ihren Mördern danken, dass sie sie, früher als geplant, in Jenseits schickten? Bekommt man wirklich einen neuen Leib oder seinen alten Leib nur runderneuert, vielleicht mit Flügeln ausgestattet, zurück? Und was sind das für Speisen, die man bei den neuen Gastmählern reicht?
Dass das Eingewöhnen etwas dauert, hängt wohl damit zusammen, dass man eine Menge falscher Erwartungen mitbringt, von denen man sich erst einmal lösen muss, bis man für das Neue empfänglich geworden ist. Ihr wundert euch vielleicht, dass ich noch nicht nach-gefragt habe, wie es Euch geht; wie Euer Erbschaftsprozess ausging; ob Elisabeth ihr Abitur bestanden hat und Erwins Bewerbung angenommen wurde? Unsere himmlischen Zeitungen berichten über irdische Ereignisse nichts, denn dafür würde sich auch keiner interessieren. Ich verspüre auch nicht die geringste Lust, auf die Erde herunterzuschauen. Dieses blöde Herum-rennen da unten interessiert mich nicht mehr und ich kann noch immer nicht verstehen, warum mich das überhaupt einmal interessierte.
Es ist ein überwältigendes Erlebnis, gleich nach der Ankunft hier zu erleben, wie viele verschiedene Menschen – von denen keiner nach Herkunft, Eigenart und Lebensgeschichte dem anderen gleicht - ohne jede Spannung einträchtig zusammen leben, wie man das ihnen nie zugetraut hätte. Die himmlische Seligkeit ist weit mehr als der Zustand eines gleichbleibenden Wohlbehagens, wie man das in Meditationskursen erfährt. Die unvorstellbare Fülle unbe-schreiblicher und beglückender Eindrücke, die man in jedem Augenblick aufnimmt, wollen verarbeitet werden. Wenn man allerdings ein Leben lang immer nur in die Glotze geguckt und sich sinnlichen Reizen ausgesetzt hat, braucht es seine Zeit, bis man fähig ist, übersinnliche Eindrücke zu genießen.
Die Umstellung von Zeit auf Ewigkeit fällt mir immer leichter. Es gelingt mir auch langsam, dieses blöde Herumstochern in der Vergangenheit, das man mir in einer irdischen Therapie beibrachte, endlich zu lassen. Erst wenn man nicht mehr auf das starrt, was war, ist man in der Lage, sich an der ewigen Gegenwart zu erfreuen. Heute ist einer bei uns angekommen, der gestern mit großem Pomp und unter Beteiligung der gesamten Prominenz des Landes feuer-bestattet wurde. Er war auf einen großen Bahnhof eingestellt und sehr enttäuscht, dass niemand sich von Nachrufen oder pathetischen Grabreden beeindrucken ließ, und dass man ihn hier nicht anders empfing als die vielen Tausend, die in jeder Minute hier eintreffen.
Entschuldigt bitte! Georg Friedrich Händel, der Euch ja als genialer Musiker bekannt sein dürfte, möchte mit uns Neuangekommenen das „Halleluja“ einstudieren. Einige Engel haben schon über unseren Gesang gelacht und die spöttische Frage gestellt, ob wir denn Sänger bei einem Kirchenchor gewesen wären. –
Ich lasse wieder von mir hören.
Der lange Abschied
Glaubt ja nicht, "das Leben sei sozusagen ein erster Entwurf,
zu dem das zweite die Reinschrift bilden wird!"
Man kann das Leben nicht noch einmal beginnen.
Liebe Hinterbliebene!
Entschuldigt, dass ich mich nicht gleich nach meinem Ableben bei Euch gemeldet habe. Wahrscheinlich hattet Ihr Euch schon Sorgen gemacht, ob ich im Jenseits überhaupt angekommen bin. Ich war einfach nach all dem, was nach dem operativen Eingriff geschehen war, wie gelähmt. Ich war in einem mir bisher unbekannten Zustand: noch nicht tot und auch nicht mehr lebendig.
Die Ärzte meinen ja, man könne keine Träume und Empfindungen mehr haben, wenn die Beatmungsgeräte abgeschaltet werden. Noch lange nachdem ich auf dem Operationstisch ge-legen hatte, gingen mir die Worte der Operateure durch den Kopf: „Das Beste wäre gewesen, wir hätten gar nicht reingeschaut. Aber man soll uns nicht nachsagen, wir hätten nicht das Menschenmögliche getan.“ Ich hörte immer nur die Sätze: „Man soll uns Ärzten nicht vorwerfen, wir hätten versagt, wenn die Natur versagt. Nähen wir wieder zu, dass er wenigstens drüben nicht entstellt herumlaufen muss.“ Ein Arzt fügte die lakonische Bemerkung hinzu: „Manchmal müssen wir eben Operationen durchführen, auch wenn ein Patient nicht zu retten ist, weil es nicht nur um Menschen geht, sondern auch um die Medizin. Auch sie will Fortschritte machen.“ – Ich wundere mich noch immer, was man so alles in einer Narkose mitbekommt.
Eine Operation war für mich, wie für so viele andere, die jetzt hier sind, das letzte große Ereignis des Lebens. Obwohl ich leblos dalag, nahm ich doch wahr, dass man mich danach in eine hässliche Abstell-Kammer schob, die für ‚Moribundi‘, für Jenseits-Kandidaten vorgesehen war. Von dem hellen Licht, von dem die schwärmen, die Nahtod-Erfahrungen machen konnten, bemerkte ich in dieser Zeit nichts, im Gegenteil, es war überall finster. Es war auch ausge-schlossen zu erkennen, ob ich noch hier war oder schon drüben bin. Ich war zwar tot, aber gestorben war ich trotzdem noch nicht. Das sollte man auseinanderhalten, das sind zwei sehr verschiedene Zustände. Leider sind die meisten längst tot, bevor sie gestorben sind.
Solange ich sterile weiße Wände sah, war mir klar, dass ich mich in einem Krankenhaus befinde. Aber als mich ein merkwürdiger, apathischer Gemütszustand überfiel, dieses Gefühl des Entspanntseins, wie ich es einmal bei einem Zen-Kurs erlebte, musste ich mich an eine Religionsstunde erinnern, wo uns die himmlische Seligkeit als ein gleichbleibendes Gefühl des Wohlbehagens, das niemals aufhört, beschrieben wurde. Da ging mir plötzlich der Gedanke durch den Kopf: das wird doch nicht die himmlische Seligkeit sein?
Aber es ist nun einmal so: „Wir wurden ins Dasein geworfen wie Würfel aus einem Becher“ (Wilder) und dürfen den Tag unserer Geburt und den unseres Todes nicht bestimmen.
Ihr hört bald wieder von mir.
Im Niemandsland
Nach seiner Ankunft hier ruft mancher:
„Hilfe! Man braucht mich noch da drunten!“
Ihr Lieben!
Auch ich dachte, solange ich unten war, wie das Gabriele Wohmann in einem ihrer Romane formuliert hat: „Ich lebe überhaupt nicht ungern. Sterben würde ich frühestens dann erst wollen, wenn ich unumstößlich sicher wäre, dass es auch nach dem Sterben nicht aus ist mit mir. In das gar nichts kann ich einfach nicht einwilligen.“
Ich habe Euch das letzte Mal erzählt, dass ich mich in diesem dunklen Abstellraum für Moribundi lange mit der Frage herumquälte,