Mails aus dem Jenseits. Walter Rupp

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Mails aus dem Jenseits - Walter Rupp

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hundert Jahre alten Mann, der freundlich zu mir sagte: So, ein Neuankömmling. Aber die Krankenschwester wäre Dir wohl lieber gewesen. Ich bin der Senior hier. Als ich sagte: Ich bin viel zu früh hier. Unten liegen meine Arbeiten unerledigt herum, man sollte mir noch etwas Zeit lassen und mich beschwerte, dass man mich so plötzlich wegholt, meinte er: Wo kämen wir hin, wenn wir jeden fragen würden, wann er mit seinem Ableben einverstanden ist. Den Gläubigen kenne ich nicht, der fiebernd darauf wartet, wann er endlich die Reise nach drüben antreten darf. Da muss ein Arzt unvorsichtig gewesen sein. Ja die Ärzte, sie sind unsere zuverlässigsten Lieferanten. Auf diese ironische, ja spöttische Bemerkung war ich nicht gefasst.

      Als ich stotternd fragte: „Bin ich im Himmel“, lachte er und sagte: „Nein, so schnell geht das nicht. Im Himmel bist du noch nicht. Hier schaut man sich die Neuzugänge sehr genau an. Jetzt bist du erst einmal im Jenseits. Wer hier ankommt, sollte froh sein, dass man ihn ins Fegefeuer lässt, wo er Gelegenheit erhält, all das abzustreifen, was an ihm hässlich ist.“

      Ich wollte protestieren und fragte: „Fegefeuer, muss das sein?“ Als ich ihm klarmachen wollte, dass ich immer offen war für jede Religion und mir eigentlich nichts vorzuwerfen habe, gab er mir zur Antwort: „Solche Unschuldsbeteuerungen hören wir hier täglich. Aber bald muss jeder, wenn er auf sein Leben zurückschaut, einsehen, dass es bei ihm einiges in Ordnung zu bringen gibt. Man wird dir ausreichend Zeit zum Nachdenken geben, dabei wird dir einiges einfallen. Hier kommt - soweit ich das in den vielen Jahren, die ich hier bin, beobachten konnte, vielleicht so alle hundert Jahre einmal einer ohne Läuterung durch.“

      Da fiel mir ein, was Paul Sartre, der sich ja nicht gerade durch Frömmigkeit auszeichnete, kurz vor seinem Ableben in einem Interview geäußert hatte: „Vieles in unserem Leben bleibt unfertig. Wir haben etwas angefangen, aber nicht zu Ende gebracht. Wir haben einen Lebensentwurf versucht und sind gescheitert. Ewiges Leben kann nicht Verewigung unserer misslungenen Ansätze oder gescheiterten Versuche zum Leben sein. Ob als Fegfeuer oder Seelenwanderung, es bleibt der Eindruck: Ich muss oder werde noch einmal auf dieses Leben zurückkommen, um das Verquere zurechtzurücken, das Angefangene zu Ende zu bringen, das versäumte nachzuholen, die Schulden zu bezahlen und die Schmerzen auszuheilen und das Unvollendete zu vollenden. Ich glaube, dass Gott das Werk, das er mit einem Menschen angefangen hat, auch vollenden wird ... dass die Geschichte Gottes mit unserem Leben nach unserem Tod weitergehen wird, bis jene Vollendung erreicht ist, in der eine Seele Ruhe findet.“

      Dann forderte er mich der Senior auf: “Gehen Sie mal mit mir in die Kleiderkammer und legen Sie diese öde Krankenhauskleidung ab. Anschließend warten Sie im Wartezimmer, bis Sie aufgerufen werden. Ich hoffe, dass Sie nicht so lange warten müssen wie ich. Ich warte schon über 3000 Jahre.” Auf meine Frage: Was haben Sie Schlimmes getan, sagte er: Ja, etwas ganz Schlimmes. Vielleicht haben Sie einmal in der Bibel die Geschichte von Simson gelesen, der mit seiner Kraft eine Tribüne zum Einsturz brachte? Dieser Simson bin ich, ein Selbstmord-attentäter. Ich habe in meiner Verzweiflung einige tausend Philister mit in den Tod gerissen. Da kamen ihm die Tränen.

      Dann verabschiedete sich der mit den Worten: Wir werden uns noch öfter sehen. Ich scheine Dich erschreckt zu haben. Aber das ergeht allen Neuzugängen so. Vorgestern kam einer an und rief laut: „Bin ich nicht mehr in der Intensivstation? Ich werde doch nicht im Himmel sein?“ – Ja die Reaktionen der Neuankömmlinge sind oft recht merkwürdig.“

      Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mich auf eine Zeit der Läuterung einzustellen. Hauptsache: ich habe ein Etappenziel erreicht.

      Sobald ich wieder Zeit habe, hört Ihr wieder von mir.

      Im Aufnahmebüro

       Die sogenannten Lebenden sind nicht so lebendig, wie sie es sich einbilden,

       und die Toten sind nicht so tot wie Ihr vermutet!

       Ihr Lieben!

      Die Aufnahmeformalitäten gingen bei mir nicht so zügig voran wie ich gehofft hatte, weil ich gleich bei meiner Ankunft mit einem grauhaarigen, älteren Herrn in einen heftigen Disput geriet, der, wie ich später erfuhr, Petrus heißt, einmal als Papst tätig gewesen sein soll, und jetzt für den Zugang zum Himmel verantwortlich ist, und außerdem den Auftrag erhalten hat, hier eine Kirche zu errichten, die keine Reformen mehr braucht und in jeder Hinsicht vollkommen ist. Er wollte von mir wissen, wie ich rückschauend mein Leben beurteile und was ich als misslungen betrachte. Ich sagte ihm, dass man da nicht mich, sondern die zur Rechenschaft ziehen sollte, die mir ständig Prügel in den Weg legten. Diese Antwort schien ihm nicht zu gefallen, denn er erwiderte schlecht gelaunt, hier müsse jeder bereit sein, über sich selbst zu richten. Aber Gewissenserforschungen habe ich schon auf der Erde gehasst.

      Das Aufnahmebüro hier ist mit den modernsten technischen Hilfsmitteln ausgestattet und hat alle Lebensläufe aller Erdenbewohner, auch die bei Euch geschützten Daten in den Computern gespeichert. Man kann sie jederzeit abrufen und ist auf zusätzliche Informationen überhaupt nicht angewiesen. Bitte beachtet: Wenn ich von technischen Geräten oder Computern spreche, dann deshalb, weil Ihr Euch geistige Hilfsmitteln nicht vorstellen könnt.

      Die vielen, die sich zeitlebens nie mit der Frage: ‘Was ist dann’ befassten und einfach so dahin lebten, sind bei ihrem Eintreffen höchst überrascht, wie schnell sie die ungeheuren Entfernungen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits zurücklegen konnten. Manche bedauern, dass sie sich nicht, wie das in den vergangenen Jahrhunderten noch möglich war, behutsam auf das Nahen ihres Endes vorbereiten konnten, und dass Ihre Abreise von unten überhastet geschah. Man habe sie, sagen sie, hintergangen und auf heimtückische Weise einfach weggeholt, oft mit den modernsten medizinisch-technischen Geräten oder den sorgfältig getesteten Pharmaka, von denen sie sich Heilung erwartet hatten. In letzter Zeit wird bei Euch drunten nicht mehr gestorben. Die Leute sind einfach nicht mehr da.

      Es ist merkwürdig, auf wie verschiedenen Weise die Leute hier ankommen. Eine Umwelt-Aktivistin zeigte sich überaus zufrieden, dass sie hierher geholt wurde. So sei sie, beteuerte sie, der nahe bevorstehenden Klima-Katastrophe entronnen. Das ökologische Gleichgewicht auf der Erde sei sosehr ins Wanken geraten und die Veränderungen in der Natur hätten ein solches Ausmaß angenommen, dass auch mit Hilfe der Wissenschaft die Funktionsfähigkeit der Naturgesetze künftig nicht mehr gewährleistet werden könnte. Auch ein Bankvorstand empfand Genugtuung darüber, dass man ihn nun drunten nicht mehr für die Milliarden Schulden, für die man ihn verantwortlich machen wollte, verantwortlich machen kann.

      Der Prominenteste unter uns ist sicher Karol Wojtyla, der kürzlich verstorbene polnische Papst, den Eure Medien nicht in Ruhe sterben lassen wollten und mit ihren Kameras bis zum letzten Atemzug gierig verfolgten. Er macht einen etwas nervösen und ungeduldigen Eindruck. Er hatte sich wohl wegen der pausenlosen „Santo-subito-Rufe“, die hier sehr deutlich zu hören waren, Hoffnungen gemacht, man werde ihn schnell und unbemerkt an den Wartenden vorbei zu den Seligen bringen. Aber solche Forderungen, jemand aufgrund seines Amtes oder seiner imponierenden Erscheinung ungeprüft zum Heiligen zu erklären, hinterlassen hier keinen Eindruck. Man hält hier nichts von Volksentscheiden und ist hier nicht bereit, sich einem Plebiszit zu beugen.

      Auffallend viele kommen schlecht gelaunt hier an und murren darüber, dass sie nicht länger drunten bleiben durften, auch die, die dem Leben gegenüber Ekel empfanden und froh sein sollten, dass sie von der Last des Lebens, unter der sie litten, nun befreit sind. Auch die Frommen, die drunten bei Euch ständig beteuerten, wie sehr sie sich nach dem Himmel sehnen, können ihre Enttäuschung nicht verbergen, dass sie nicht mehr auf der Welt sein dürfen

      Einige Male musste ich mich wundern, wie sich mancher bei seiner Ankunft hier aufführt. Ein Neuankömmling von 41 Jahren – ein Jurist - wollte unter allen Umständen, dass man sein Ableben rückgängig macht.

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