Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich страница 18
Der junge Officier betrat übrigens kaum das Gemach, als er auch rasch den sehr verschlimmerten Zustand des Alten in seinen eingefallenen Wangen und hohlen Augen erkannte.
„Lieber Freund," sagte er theilnehmend, „es thut mir wahrhaft leid, Sie so krank und matt zu finden, und ich will /69/ Sie nicht lange stören. Aber ich weiß auch Niemanden weiter hier im Ort, um eine bestimmte Auskunft zu erlangen, und um die wollte ich Sie bitten."
„Des Grabes wegen?" sagte der Alte.
„Nein, der Tochter jener Frau wegen, die von hier fortgezogen sein soll," lautete die Antwort. „Können Sie mir ihren genauen Namen und jetzigen Wohnort angeben?"
„Und weshalb?" frug Brenner scheu zurückhaltend.
„Es ist eine weitläufige Geschichte," fuhr der Officier fort, „die Sie wohl ermüden würde anzuhören; aber so viel kann ich Sie versichern, daß es dem jungen Mädchen keinenfalls zum Schaden gereichen soll; ja es ist möglich, daß wir durch sie auf die Spur eines lange verlorenen Theils unserer Familie kommen."
„Durch die Falleri?"
„Wie heißt sie?"
„Wie ihre Mutter - Valerie, aber hier im Haus und im Dorf nannten sie sie nur die Falleri."
„Und wo hält sie sich jetzt auf? - wie geht es ihr?"
Der Alte war todtenbleich geworden, seine Lippen zitterten, seine ganze Gestalt bebte, und er fiel auf sein Kissen zurück, wo er mehrere Minuten regungslos liegen blieb. Der junge Mann hatte ihn indeß besorgt betrachtet, wenn er sich auch die Aufregung des Kranken bei der einfachen Frage nicht erklären konnte. Dessen sonst so kräftige Natur siegte aber bald wieder, über die augenblickliche Schwäche des Körpers wenigstens, und sich mühsam aufrichtend sah er den jungen Fremden zuerst wie erstaunt an, als ob er sich nicht gleich besinnen könne, was ihn hierhergeführt; doch kehrte die Erinnerung bald zurück und mit ihr das Gefühl seiner Schwäche, seines Leidens.
„Es geht mit mir zu Ende," sagte er leise, „ich merk' es wohl, es kann nicht mehr lange dauern, und vielleicht ist's gut, daß Sie hierher gekommen sind. Ich habe den Geistlichen schon einmal rufen lassen, aber - ich mag die Pfaffen nicht leiden; sie stecken voller Redensarten und Sprüche und beweisen Einem aus der Bibel, daß schwarz roth und roth gelb ist."
„Aber Sie haben wahrscheinlich meine Frage nicht ver-/70/standen," unterbrach ihn der Officier, der natürlich glauben mußte, das Gefühl seiner Krankheit habe ihn alles Andere vergessen lassen; „ich wollte gern wissen, wo jenes junge Mädchen -"
„Ich weiß, was Sie fragen wollen," winkte ihm der Alte mit der Hand, „und Sie sollen Antwort haben. Sie sitzt im Zuchthaus."
„Im Zuchthaus?" rief der Fremde, erschreckt von dem Kasten emporspringend, auf dem er neben dem Bett des Kranken gesessen - „was um Gottes willen ist da vorgefallen?"
„Bleiben Sie auf Ihrem Platz," winkte der alte Mann; „ich kann nicht laut reden - Sie sollen Alles erfahren - ich muß Jemanden haben, dem ich es erzählen, dem ich mein Herz ausschütten kann, ehe ich sterbe, und ich glaube, es - ist die höchste Zeit dazu."
„Aber was, um Gottes willen, hat die Unglückliche verbrochen?" rief der junge Officier.
„Hören Sie zu - Sie erfahren Alles zusammen," sagte der Alte, „vielleicht - läßt sich auch noch Alles wieder gut machen - Vieles wenigstens, denn Alles doch nicht mehr. - Also um mit dem Kind, der Falleri, zu beginnen: ihre Mutter, die eigentlich nicht recht hierher paßte und jedenfalls einmal früher vornehm und reich gewesen sein mußte, aber herunter gekommen und wahrscheinlich zu stolz war, das die vornehme Sippe merken zu lassen, zog hier in's Dorf und lebte von ihrer Hände Arbeit. Weshalb sie so oft auf den Kirchhof ging und das Grab mit dem spitzen Stein besuchte, weiß ich nicht; sie hat's Niemandem erzählt, auch nichts über sich und ihre frühere Zeit. Da starb ihr Knabe, und von der Stunde an war sie ebenfalls reif. Sie starb und hinterließ nichts als ein paar Sachen, die verkauft werden mußten, um die Begräbnißkosten zu decken - ein Leinentuch war darunter mit ein paar Buchstaben und einer Krone darüber."
„Was für Buchstaben?" rief der junge Mann rasch.
„Wer hat sich darum gekümmert," seufzte der Alte - „ich dächte, ich hätte einmal gehört, es wäre ein F. dabei gewesen, aber ich weiß es nicht mehr. Das einzige Erinnerungs¬/7l/zeichen an die Zeit trägt die Falleri noch um den Hals - ein Kreuzchen und den Trauring ihrer Mutter selig."
„Ist das gewiß?"
„Wenn sie ihn ihr nicht im Zuchthaus weggenommen haben," nickte Brenner - „aber lassen Sie mich reden, oder ich komme nicht zu Ende. Die Falleri kam in's Gemeinde-Armenhaus. Armes Kind! Sie war hier wie verrathen und verkauft, und hat eine böse Zeit mit durchgemacht - aber nachher wurd's noch schlimmer. Wie sie confirmirt worden, mußte sie natürlich in Dienst, und wie sie erst zu der Schulzin kam, hatte sie die Hölle auf Erden -"
„Armes, armes Kind!"
„Ja wohl, armes Kind! Ich mochte sie leiden und half ihr einmal aus der Verlegenheit, als sie ihr den Schmuck wegnehmen wollten, um ihr eine lappige Fahne zur Confirmation zu kaufen - und wie dankbar war sie mir dafür!"
Er schwieg eine Weile still, um wieder Athem zu schöpfen, denn das Reden griff ihn an, und fuhr endlich, leiser als vorher, fort:
„Ich hab' auch ein Hundeleben geführt, so lange ich denken kann - ich weiß gar nicht, wie einem Menschen zu Muthe ist, den Jemand lieb hat. und herumgestoßen und getreten haben sie mich aus einer Ecke in die andere, bis ich endlich das wurde, was ich auch geblieben bin bis zur heutigen Stunde - ein Lump. Das Kind machte zuerst einen andern Menschen aus mir, denn es hatte mich lieb, und von da an war's, wenn ich sie nur mit Augen sah, als ob es immer und ewig dunkel um mich her gewesen wäre, und nun auf einmal hell würde. - Und weshalb war sie dankbar gegen mich? Lieber Gott, was hatte ich denn gethan? - weiter nichts, als ein paar geräucherte Schinken gestohlen und von dem Ertrag ihren Confirmationsrock bezahlt! - Von da an wachte ich über sie, und das Herz drehte mir's im Leib herum, wenn ich sah, wie sie behandelt wurde, wie sie von Tag zu Tag mehr abmagerte und elender und jammervoller aussah, und ich ihr doch nicht helfen konnte. Da kam das Aergste. Die Falleri hielt's selber nicht mehr aus, wenn auch sonst kein Mucks, keine Klage über ihre Lippen kam. Sie lachte nie, wie andere Kinder, aber /72/ sie weinte auch nie, und was sie trug, trug sie still mit sich herum. Sie kündigte den Dienst beim Schulzen, und ich war schon lange mit mir einig, wie ich alles das, was sie dort ausgestanden, wett machen wollte. Ich legte mich in‘s Bett und that, als ob ich sterbenskrank wäre, und wollte so etwa eine Woche liegen bleiben. Da kam eines Abends die Falleri herüber, um Abschied zu nehmen, das Gesicht zerschlagen, das arme schwache Kind mißhandelt und als Diebin aus dem Haus gejagt. So wanderte sie allein in die Nacht hinaus in die Stadt, um einen neuen Dienst zu suchen, und nun kochte es auch bei mir über. Wie ich Alles im Bett wußte - denn der Nachtwächter schlief regelmäßig, bei schönem Wetter, unter der Linde - kroch ich leise aus meinem Fenster, ein paar Päckchen Schwefelhölzer hatte ich mir schon verschafft, schlich durch's Dorf, machte dem Schulzen hinten in seiner Scheune ein hübsches Feuer an, und war richtig wieder in meinem Bett, ehe sie die Flamme spürten und Lärm machen konnten. Natürlich konnte kein Mensch glauben, ich wär's gewesen, denn ich war ja nicht einmal im Stande aufzustehen, viel weniger in's Dorf zu laufen."
„Und da fiel der Verdacht auf die Unglückliche," rief